Hypophyse
von altgriechisch: ὑπόφυσις ("hypóphysis") - "das untere Gewächs"
Synonyme: Hirnanhangdrüse, Glandula pituitaria
Englisch: hypophysis, pituitary gland
Definition
Die Hypophyse ist ein etwa haselnussgroßes endokrines Organ im zentralen Nervensystem, das der Synthese- und Abgabeort für zahlreiche Hormone ist. Sie spielt eine wichtige übergeordnete Rolle bei der Regulation des endokrinen Systems im Körper.
Einteilung
...nach funktionellen Gesichtspunkten
- Adenohypophyse: enthält Drüsenzellen, deren Aktivität u.a. von Neuronen des Hypothalamus gesteuert wird
- Pars distalis
- Pars tuberalis (infundibularis)
- Pars intermedia
- Neurohypophyse: hier enden Axone von hypothalamischen Neuronen, die Effektorhormone produzieren
- Pars nervosa bzw. Lobus nervosus
- Infundibulum
...nach anatomischen Gesichtspunkten
- Drüsenkörper
- Hypophysenvorderlappen (Pars distalis und Pars intermedia der Adenohypophyse)
- Hypophysenhinterlappen (Lobus nervosus der Neurohypophyse)
- Hypophysenstiel (Pars tuberalis der Adenohypophyse und Infundibulum der Neurohypophyse)
Im klinischen Alltag werden jedoch Adenohypophyse und Hypophysenvorderlappen bzw. Neurohypophyse und Hypophysenhinterlappen synonym verwendet.
Embryologie
Adenohypophyse
Die Entwicklung der Adenohypophyse beginnt in der vierten Embryonalwoche: Im Rachendach vor der Buccopharyngealmembran bildet sich eine ektodermale Epithelausstülpung (Rathke-Tasche). Sie wächst nach kranial und lagert sich am Boden des Diencephalons an. Schließlich bildet sich der epitheliale Verbindungsstrang zurück, wobei Reste im Rachendach und im Corpus ossis sphenoidalis bestehen bleiben. Diese können zum Ausgangspunkt von Kraniopharyngeomen werden.
Im Verlauf vergrößert sich die Rathke-Tasche zur Pars distalis und Pars tuberalis. Der hintere Teil wird zur kleineren Pars intermedia. Anschließend obliteriert die Lichtung der Rathke-Tasche, wobei man gelegentlich noch Reste des Lumens in Form von kolloidgefüllten Zysten (Pseudofollikel) vorfindet.
Die embryonale Differenzierung der Adenohypophyse erfordert ein komplexes Zusammenspiel aus spezifischen Transkriptionsfaktoren, z.B. Prop-1, Pit-1, SF-1, T-Pit und DAX-1. Mutationen dieser Faktoren können zu seltenen selektiven oder kombinierten Hormondefiziten führen.
Neurohypophyse
Direkt nach Anlagerung der Rathke-Tasche an den Boden des dritten Ventrikels beginnt die Bildung der Neurohypophyse mit einer Verdickung des Epithels. Anschließend entsteht eine Ausbuchtung des Ventrikelbodens (Processus infundibularis), die sich später in das Infundibulum und den Lobus nervosus gliedert. Die epithelialen Zellen differenzieren sich ab dem dritten Monat in spezifische Gliazellen (Pituizyten). Parallel dazu wachsen unmyelinisierte Axone aus den Kernen des Hypothalamus ein. Im proximalen Abschnitt des Infundibulums bleibt als Recessus infundibularis ein Bereich des Ventrikellumens erhalten.
Anatomie
Die Hypophyse wiegt ca. 600 mg und hat eine Dimension von ungefähr 13 x 9 x 6 mm. Der Drüsenkörper ist in einen Vorderlappen (Pars distalis und Pars intermedia der Adenohypophyse) und einen Hinterlappen (Lobus nervosus der Neurohypophyse) unterteilt. Der ca. 3 mm lange Hypophysenstiel (Pars tuberalis der Adenohypophyse und Infundibulum der Neurohypophyse) verbindet den Drüsenkörper mit dem Boden des dritten Ventrikels.
Der größte Anteil der Hypophyse liegt an der Schädelbasis in der Hypophysenloge (Fossa hypophysialis). Die betreffende Knochenstruktur des Os sphenoidale wird Türkensattel (Sella turcica) genannt. Nach oben ist die Hypophysenloge vom Gehirn durch ein Durablatt (Diaphragma sellae) abgegrenzt. Es besitzt ein Loch für den Durchtritt des Hypophysenstiels.
Topographisch unterscheidet man einen suprasellären (oberhalb des Diaphragmas) von einem intrasellären Hypophysenanteil:
- Der supraselläre Teil besteht aus dem Hypophysenstiel, der in enger Beziehung zum Chiasma opticum verläuft. Dies erklärt einen ggf. bei Hypophysentumoren auftretenden Ausfall der temporalen Gesichtsfelder (bitemporale Hemianopsie).
- Der intraselläre Teil (Drüsenkörper) grenzt seitlich an den Sinus cavernosus, durch den die Arteria carotis interna sowie verschiedene Nerven (Nervus oculomotorius, Nervus trochlearis, Nervus abducens und Äste des Nervus trigeminus) ziehen. Die beiden Sinus sind durch querlaufende Sinus intercavernosi im vorderen und hinteren Sellabereich verbunden. Von dort fließt venöses Blut aus der Hypophyse zum Sinus petrosus inferior, der im Rahmen des Inferior Petrosal Sinus Sampling (IPSS) von Bedeutung ist.
Blutgefäßversorgung
Die Hypophyse wird beidseits von zwei Arterien mit Blut versorgt:
- Arteria hypophysialis inferior: entspringt der Arteria carotis interna und versorgt die Pars nervosa der Neurohypophyse
- Arteria hypophysialis superior: entspringt ebenfalls der Arteria carotis interna im Subarachnoidalraum und zieht nach medial zum Hypophysenstiel; versorgt das Infundibulum und (indirekt) den Großteil der Adenohypophyse. Sie anastomosiert über ihren Hauptast (Arteria trabecularis) mit der Arteria hypophysialis inferior
Die Adenohypophyse erhält ihr Blut v.a. über ein Portalgefäßsystem: Äste der Arteria hypophysialis superior treten in das Infundibulum ein und bilden ein Kapillarnetz. Im distalen Infundibulum bilden Anastomosen zwischen der Arteria trabecularis und der Arteria hypophysialis inferior ebenfalls Kapillarschlingen aus. Dieser Bereich wird als Eminentia mediana bezeichnet und gehört zu den zirkumventrikulären Organen, d.h. die Kapillaren besitzen ein fenestriertes Endothel und somit keine Blut-Hirn-Schranke.
Aus diesem ersten Kapillarnetz fließt das Blut in Portalvenen (Venae portales hypophysiales) zur Adenohypophyse. Dort verzweigen sich die Gefäße erneut und münden in sinusoidalen Kapillaren, die in engem Kontakt zu den Drüsenzellen stehen. Das Blut dieses zweiten Kapillarsystems sammelt sich in kleinen Venen, die in den Sinus cavernosus und Sinus intercavernosi münden.
Das hypophysäre Portalgefäßsystem bildet die Grundlage für die funktionelle Verknüpfung von Hypothalamus und Adenohypophyse. Kleinste Mengen hypothalamischer Hormone gelangen auf kürzestem Weg und in hoher Konzentration zu den Drüsenzellen der Adenohypophyse.
Die Pars nervosa der Neurohypophyse wird überwiegend aus der Arteria hypophysialis inferior und einzelnen Ästen der Arteria hypophysialis superior versorgt. Sie bilden hier ebenfalls einen dichten Kapillarplexus mit fenestriertem Endothel ohne Blut-Hirn-Schranke.
Histologie
Adenohypophyse
Die Adenohypophyse besteht aus epithelialen Zellen, die sich in Gruppen und Strängen anordnen. Dazwischen breitet sich kollagenes Bindegewebe aus, das weitlumige Kapillaren (Sinusoide) mit fenestriertem Endothel beinhaltet.
Die Epithelzellen lassen sich nach der Anfärbbarkeit des Zytoplasmas in azidophile, basophile und chromophobe Zellen unterteilen. Durch immunhistochemische Untersuchungen unterscheidet man weiterhin zwischen folgenden Zelltypen, die unterschiedliche Hormone produzieren:
- kortikotrope Zellen: basophil, bilden Derivate von POMC (Proopiomelanocortin), z.B. ACTH
- thyreotrope Zellen: basophil, synthetisieren Thyrotropin (TSH)
- gonadotrope Zellen: basophil, produzieren Follitropin (FSH) und Lutropin (LH)
- somatotrope Zellen: azidophil, bilden Somatotropin (STH)
- laktotrope Zellen: azidophil, bilden Prolaktin (PRL)
Zwischen den hormonproduzierenden Epithelzellgruppen liegen follikuläre Sternzellen, die mit ihren langen Fortsätzen Netzwerke über Zellkontakte ausbilden. Durch Sekretion von Signalmolekülen beeinflussen sie die Funktion der Epithelzellen.
Während sich der Großteil der hormonproduzierenden Zellen in der Pars distalis befindet, ist die Pars intermedia nur rudimentär ausgebildet. Hier befinden sich überwiegend kortikotrope Zellen, die verschiedene Derivate von POMC (z.B. α-MSH, β-, γ-Lipotropin und β-Endorphin) produzieren. Die genaue Wirkung dieser Hormone ist noch (2019) unklar.
Die Pars tuberalis ist vom Infundibulum der Neurohypophyse durch eine dünne Schicht aus Bindegewebe getrennt. Die hormonproduzierenden Zellen bilden FSH, LH und TSH, wobei die Funktion der meisten Zellen aktuell ebenfalls (2023) unbekannt ist.
Neurohypophyse
Die Neurohypophyse besteht zu über 70 % aus unmyelinisierten Axonen, deren Perikarya im Hypothalamus liegen. Neben Axonen, die zur Adenohypophyse verlaufen, finden sich Axone magnozellulärer Neurone des Nucleus supraopticus und des Nucleus paraventricularis, die zum Lobus nervosus ziehen (magnozelluläres neuroendokrines System).
Außerdem lassen sich in der Neurohypophyse spezielle Gliazellen (Pituizyten) nachweisen, die ca. 25 % des Volumens des Lobus nervosus ausmachen. Sie stehen untereinander über weit verzweigte Fortsätze mit Nexus in Verbindung.
Weiterhin finden sich im Lobus nervosus viele sinusoidale Kapillaren mit fenestriertem Endothel. Er gehört somit wie die Eminentia mediana zu den zirkumventrikulären Organen, denen eine Blut-Hirn-Schranke fehlt.
Die magnozellulären hypothalamischen Neurone bilden Oxytocin und ADH. Sie werden als Prohormon synthetisiert, aus dem ein Peptid abgespalten wird, das Neurophysin I bzw. II. Die Hormone werden an diese Neurophysine gebunden in sekretorische Vesikel verpackt und über einen axonalen Transport in den Lobus nervosus befördert. Größere Ansammlungen der Hormongranula lassen sich als sog. Herring-Körper nachweisen. Als Antwort auf neuronale Erregungen kommt es zur Ausschüttung der Hormone (Neurosekretion), die über die fenestrierten Endothelzellen in die Blutbahn gelangen.
Physiologie
Adenohypophyse
Die Adenohypophyse sezerniert pulsatil verschiedene Hormone und wird selbst durch Releasing- und Inhibiting-Hormone des Hypothalamus gesteuert. Diese werden über Axone der hypothalamischen Neurone in die Eminentia mediana des proximalen Infundibulums transportiert und dort gespeichert. Nach bestimmten neurogenen Stimuli können die hypothalamischen Steuerhormone freigesetzt und in die Kapillaren des Portalgefäßsystems abgegeben werden, sodass sie in hoher Konzentration zur Adenohypophyse gelangen.
Funktionell unterscheidet man zwischen glandotropen Steuerhormonen, die auf endokrine Organe wirken, und nichtglandotropen Effektorhormonen, die direkt auf Erfolgsorgane wirken:
- Glandotrope Hormone:
- Thyreoideastimulierendes Hormon (TSH)
- Adrenokorticotropes Hormon (ACTH)
- Follikelstimulierendes Hormon (FSH)
- Luteinisierendes Hormon (LH)
- Nichtglandotrope Hormone:
- Somatotropes Hormon (STH)
- Prolaktin
- Melanozytenstimulierendes Hormon (MSH)
siehe auch: Hypothalamus-Hypophysen-Achse
Neurohypophyse
Die Neurohypophyse sezerniert zwei Hormone:
- Oxytocin: stimuliert Uteruskontraktionen und löst die Wehentätigkeit aus, postnatal bewirkt es eine Milchejektion aus der laktierenden Mamma durch Kontraktion von Myoepithelzellen; die Rolle beim Mann ist nicht endgültig geklärt.
- ADH: fördert in distalen Tubuli und in den Sammelrohren der Niere die Wassserrückresorption durch Einbau von Aquaporin 2 in die apikale Membran
Die Aktivität der magnozellulären neuroendokrinen Neurone des Hypothalamus wird durch humorale und neuronale Informationen gesteuert, z.B. durch die Osmolarität des Blutes oder durch Afferenzen aus dem limbischen System.
Krankheiten der Hypophyse
- Hormonmangel (Hypopituitarismus): Jeder hormonproduzierende Anteil der Hypophyse kann einzeln oder kombiniert ausfallen. Ist die gesamte Hypophyse ausgefallen, spricht man vom Panhypopituitarismus.
- Hormonüberschuss (Hyperpituitarismus): Jeder hormonproduzierende Anteil der Hypophyse kann einen gutartigen Tumor bilden, der einen Hormonüberschuss produzieren kann. In diesem Fall spricht man von einem Hypophysenadenom. Bei einer vermehrten Sekretion von Somatotropin entsteht z.B. das Krankheitsbild der Akromegalie.
Podcast
Literatur
- Benninghoff, Drenckhahn: Anatomie Band 2, 16. Auflage 2004, Elsevier: Urban & Fischer
Bildquelle
- Bildquelle Podcast: © Rachael Gorjestani / Unsplash
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