Extrakorpuskuläre hämolytische Anämie
Definition
Eine extrakorpuskuläre hämolytische Anämie ist eine Form der Anämie, bei der äußere Faktoren zu einem verfrühten Zerfall von Erythrozyten (Hämolyse) führen.
siehe auch: korpuskuläre hämolytische Anämie
Einteilung
Extrakorpuskulären hämolytischen Anämien liegen meist erworbene Ursachen zugrunde. Selten können auch angeborene Störungen zu einer extrakorpuskulären Hämolyse führen.
Erworbene Störung
Alloimmunhämolytische Anämien
Alloimmunhämolytische Anämien werden durch Alloantikörper ausgelöst. Beispiele sind:
- Morbus haemolyticus neonatorum (Rhesus-Inkompatibilität, AB0-Erythroblastose)
- Hämolytische Transfusionsreaktionen
Autoimmunhämolytische Anämien
Bei den autoimmunhämolytischen Anämien (AIHA) werden die durch Autoantikörper bedeckten Erythrozyten durch Makrophagen zerstört. Da sich diese insbesondere in der Milz befinden, ist die AIHA typischerweise eine extravasale Hämolyse. In einigen Fällen ist der Antikörper (meist IgM) als Antigen-Antikörper-Komplex in der Lage, auf der Erythrozytenoberfläche Komplement zu fixieren und die Zelle zu lysieren. Dabei entsteht eine intravasale Hämolyse.
Die Antikörper werden traditionell gemäß ihrer optimalen Reaktionstemperatur eingeteilt in:
- Kälteantikörper: Optimale Temperatur 4 - 30 °C, überwiegend IgM
- Wärmeantikörper: Optimale Temperatur 37 °C, überwiegend IgG
- zum Teil werden noch bithermische Antikörper (Donath-Landsteiner-Antikörper) unterschieden, die zur paroxysmalen Kältehämoglobinurie führen.
Klinische Situation | Kälteantikörper | Wärmeantikörper oder Mischform |
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Primär |
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Sekundär nach Infektionen |
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Sekundär nach/bei anderen Krankheiten |
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Sekundär durch Medikamente |
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Bei gleichzeitigem Vorliegen einer AIHA und einer Autoimmunthrombozytopenie (ITP) spricht man auch von einem Evans-Syndrom.
Mikroangiopathische hämolytische Anämie
Als mikroangiopathische hämolytische Anämie (MAHA) werden verschiedene Erkrankungen zusammengefasst:
- Typisches Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS, Gasser-Syndrom)
- Erworbene thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP, Moschcowitz-Syndrom)
- Medikamenteninduzierte MAHA (z.B. Östrogene, Sulfonamide, Mitomycin, Cyclosporin A, Pentostatin, Gemcitabin, Tacrolimus, Chinin)
- MAHA bei metastasierenden Karzinomen
- MAHA nach Stammzelltransplantation
- Weiterhin existieren zwei angeborene Formen der MAHA (siehe unten)
Physikalische Zerstörung
Erythrozyten können durch verschiedene physikalische Einwirkungen zerstört werden:
- Marschhämoglobinurie (Runner's anemia): Akut auftretende, selbstlimitierende Hämolyse durch direktes mechanisches Trauma auf die Erythrozyten nach intensivem Laufsport, langem barfüßigem Tanzen oder intensivem Trommeln
- Herzklappenersatz: Insbesondere bei paraprothetischer Regurgitation
- Thermische Schädigung bei Verbrennungen
Hämolyse durch Infektionen
Neben Auslösung einer AIHA und dem Shigatoxin-induzierten HUS können weitere Infektionen zur Hämolyse führen:
- Malaria: In Endemiegebieten häufigste Ursache einer infektassoziierten Hämolyse
- Clostridium perfringens: Lebensbedrohliche intravasale Hämolysen durch Lecithinaseaktivität; meist nach Wundinfektionen, nach septischem Abort oder durch kontaminierte Blutprodukte
- Gelegentlich entsteht auch eine Hämolyse bei Sepsis oder Endokarditis durch andere Erreger
- bei Oroyafieber, Babesiose oder Leishmaniose
- Bakterielle und virale Infekte können über indirekte Mechanismen eine hämolytische Anämie bedingen (z.B. bei Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel)
Hämolyse durch Toxine und Medikamente
Medikamente können durch verschiedene Mechanismen eine Hämolyse auslösen:
- Autoimmunreaktion: Das Medikament induziert die Bildung von (meist) IgG-Autoantikörper, die gegen ein erythrozytäres Antigen gerichtet sind, z.B. bei Methyldopa.
- Typ-II-Allergie: Das Medikament bindet als Hapten an die Erythrozytenmembran und induziert die Bildung von zytotoxischen IgG-Antikörpern. Sobald die Medikamenteneinnahme gestoppt wird, ist die Hämolyse selbstlimitierend, z.B. bei Penicillin
- Typ-III-Allergie: Das Medikament bildet mit IgM- oder IgG-Antikörpern einen Immunkomplex, der an die Erythrozyten bindet und über eine Komplementaktivierung zur Zelllyse führt, z.B. bei Chinidin oder Cephalosporinen.
Weiterhin können viele Substanzen können aufgrund ihrer oxidativen Eigenschaft eine Hämolyse auslösen, auch bei Individuen ohne G6PD-Mangel. Beispiele sind hyperbarer Sauerstoff, Nitrate, Chlorate, Methylenblau oder Cisplatin. Andere Verbindungen führen unabhängig von oxidativen Prozessen aufgrund von unklaren Mechanismen zur Hämolyse, z.B. Arsen, Monostiban, Kupfer, Blei. Schlangengifte und Spinnenbisse können ebenfalls eine schwere intravasale Hämolyse bedingen.
Zieve-Syndrom
Bei alkoholtoxischem Leberschaden kann eine Symptomkonstellation aus hämolytischer Anämie, Hyperlipidämie und Ikterus auftreten. Dies wird als Zieve-Syndrom bezeichnet. Die Pathogenese ist aktuell (2019) noch ungeklärt.
Angeborene Störung
Atypisches Hämolytisch-urämisches Syndrom
Als atypisches HUS wird eine angeborene MAHA bezeichnet, die unter anderem durch den mutierten Komplementfaktor H (CFH) entstehen können. Eine Infektion oder ein anderer Auslöser einer Komplementaktivierung führt dabei zur Überaktivierung des Komplementsystems mit Schädigung des Endothels und thrombotischer Mikroangiopathie. Folglich entsteht eine Hämolyse mit dem Risiko eines akuten Nierenversagens.
Angeborene Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
Die auch als Upshaw-Shulman-Syndrom bezeichnete angeborene Form einer TTP entsteht durch Mutationen im ADAMTS-13-Gen.
Literatur
- Suttorp N. et al., Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016
- Herold, G.: Innere Medizin 2019. Köln: Gerd Herold, 2018
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