Mikrobiom
Definition
Als Mikrobiom bezeichnet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen (Bakterien, Archaeen, Viren, Pilze und Protozoen), die einen Makroorganimus (Mensch, Tier, Pflanze) besiedeln. Mikrobiome können u.a. das Immunsystem, den Stoffwechsel und das Hormonssystem ihres Wirts beeinflussen.
Nomenklatur
Der Begriff Mikrobiom wird in der Literatur unterschiedlich definiert. Häufig wird das Mikrobiom als ein mikrobielles Ökosystem definiert, d.h. als eine mikrobielle Gemeinschaft, die einen definierten Lebensraum mit spezifischen physikalischen und chemischen Eigenschaften bewohnt. Diese Definition bezieht also auch das Wirkungsfeld der Mikroorganismen incl. ihrer Metabolite, ihres Genoms und ihrer Umweltbedingungen mit ein.
Häufig bezieht sich die Bezeichnung Mikrobiom lediglich auf das kollektive Genom der Mikrobiota, also der Ansammlung von Mikroorganismen in einer bestimmten Nische. In diesem Sinne wird Mikrobiom als Synonym zu Metagenom verwendet.
Nach J. Lederberg umfasst das Mikrobiom die ökologische Gemeinschaft aus kommensalen, symbiotischen und pathogenen Mikroorganismen innerhalb eines Körperraums oder einer anderen Umgebung.[1] Die Koevolution zwischen Wirt und seiner assoziierten Mikrobiota kann entsprechend als antagonistisch (basierend auf negativen Interaktionen) oder mutualistisch beschrieben werden. Die Einheit aus Wirt und Mikrobiota wird auch als Holobiont bezeichnet. Ein gesunder Zustand des Holobionten geht einher mit Eubiose, hoher Diversität und Uniformität der Mikrobiota, der Krankheitszustand (Pathobiom) mit Dysbiose, geringer Diversität und Variabilität. Teilweise werden opportunistische bzw. fakultativ pathogene Mikroorganismen jedoch nicht zum Mikrobiom gezählt.
Humanes Mikrobiom
Die Zusammensetzung des humanen Mikrobioms ist bei jedem Menschen einzigartig. Dabei machen Bakterien den Großteil aus. Es wird heutzutage vermutet, dass 500 bis 1.000 verschiedene Bakterienarten gleichzeitig im und am Menschen leben. Bezogen auf die Gesamtdiversität finden sich in der humanen Mikrobiota über 10.000 Spezies. Trotz enormer taxonomischer Variabilität zwischen verschiedenen Körperbereichen und zwischen einzelnen Personen, werden die zentralen Stoffwechselwege aufrechterhalten.
Ursprünglich ging man davon aus, dass das Verhältnis zwischen humanen Zellen und Bakterien 1:10 beträgt, inzwischen scheint ein Verhältnis von 1:3 bzw. 1:1 realistischer. Jedoch werden dabei weder Viren noch Pilze oder Archaeen berücksichtigt.
Das Human Microbiome Project (HMP) hat das Ziel, das Genom der menschlichen Mikrobiota zu sequenzieren. Man geht derzeit von ca. 8 Millionen kodierenden Genen aus.
Die Mikrobiota besiedeln v.a. den Darm und die Haut, aber auch den Mund- und Nasenrachenraum sowie die Lunge und den Urogenitaltrakt. Man spricht hierbei z.B. von der Darm- oder Hautflora. Im Darm kann man je nach Zusammensetzung drei verschiedene Varianten des Mikrobioms, die so genannten Enterotypen (ET), differenzieren.
- ET 1: Bei diesen Typ dominiert die Gattung Bacteroides
- ET 2: Vorkommen v.a. von Prevotella-Bakterien
- ET 3: Bei diesem Typ dominieren Ruminococcus-Bakterien
Physiologie
Das Mikrobiom beeinflusst auf vielfältige Weise verschiedene Prozesse des Körpers, u.a. das Immunsystem und den Stoffwechsel. Im Darm produzieren die Mikrobiota beispielsweise kurzkettige Fettsäuren (z.B. Propionat, Acetat, Butyrat), die wichtig für die Induktion von regulatorischen T-Zellen sind. Weiterhin dekonjugieren Darmbakterien die Gallensäuren, die anschließend über komplexe Signalwege den Stoffwechsel von Lipiden sowie Kohlenhydraten und zudem Immunreaktionen beeinflussen.
Einflussfaktoren
Die individuelle Zusammensetzung des Mikrobioms ist dynamisch und verändert sich rasch in Abhängigkeit der Mikroumgebung. Grundsätzlich wird es von folgenden Faktoren beeinflusst:
Genetik
Zwillingsstudien haben gezeigt, dass die Wirtsgenetik einen geringen, jedoch statistisch signifikanten Effekt auf die Zusammensetzung der Mikrobiota hat. Einige Taxa (z.B. Christensenella spp.) sind stärker hereditär geprägt als andere.
Alter
Die mikrobielle Exposition beginnt bereits in utero, wobei es unklar ist, ob die bakterielle DNA in Plazenta, Fruchtwasser und Mekonium einer Kontamination oder dem Vorhandensein nicht lebensfähiger Bakterien entspricht. Entscheidend für das Mikrobiom des Säuglings ist die Art der Entbindung (vaginal oder Sectio) und der Ernährung (Muttermilch, Formulamilch, Zeitpunkt der Zufütterung).
Nach der Geburt nimmt die bakterielle Diversität und funktionelle Kapazität zu. Im Alter von 2-3 Jahren ähnelt das Mikrobiom dem eines Erwachsenen und bleibt anschließend relativ stabil. Jedoch unterscheidet es sich bei älteren Menschen (> 80 Jahren) deutlich von dem jüngerer Menschen (Zunahme von Bacteroides und Eubacterium spp., Rückgang von Bakterien der Familie Lachnospiraceae).
Ernährung
Die Ernährung spielt eine wichtige Rolle bei der Zusammensetzung des Mikrobioms, insbesondere im Gastrointestinaltrakt. Starke Verschiebungen treten beim Abstillen und Beginn mit der Zufütterung fester Kost auf, z.B. eine Abnahme von Bifidobacterium spp. Starke kurzfristige Veränderungen der aufgenommenen Makronährstoffe beeinflussen schnell die fäkale Mikrobiota, die nach Wiederaufnahme der normalen Ernährungsweise jedoch rasch zum Ursprungszustand zurückkehrt.
Eine vegetarische Ernährung fördert die Vermehrung von Bakterien, die pflanzliche Polysaccharide gut abbauen können (z.B. Roseburia spp., Eubacterium rectale, Ruminococcus bromii), während bei fleischreicher Ernährung Mikroorganismen einen großen Anteil ausmachen, die Gallensäuren tolerieren (z.B. Alistipes, Bilophila und Bacteroides spp.).
Medikamente
Fast alle Medikamente können die Mikrobiota verändern. Insbesondere Antibiotika haben einen erheblichen Einfluss auf das intestinale Mikrobiom, indem sie sensible Mikroorganismen abtöten, wobei auch viele resistente Stämme eliminiert werden. Dies erklärt sich durch Interaktionen zwischen den einzelnen Bakterien. Nach Antibiotikaeinnahme erholt sich das Mikrobiom häufig innerhalb von wenigen Wochen. Bei einigen Menschen sind jedoch lang anhaltende Veränderungen nachweisbar. Dabei ist auch die Häufigkeit der Medikamenteneinnahme entscheidend.
Lebensstil
Die kutane und fäkale Mikrobiota von Menschen, die in einem Haushalt leben, zeigt eine größere Ähnlichkeit als die von Bewohnern getrennter Haushalte. Noch ähnlicher ist die Hautflora, wenn ein Hund im Haushalt lebt, vermutlich da er als Vektor zur Übertragung von Mikroorganismen dient.
Weiterhin führt das Leben auf dem Land oder einem Bauernhof zu einer anderen fäkalen Mikrobiota als das Leben im städtischen Umfeld. Auch das Land, in dem eine Person lebt, beeinflusst das Mikrobiom aufgrund unterschiedlicher Umwelt und Ernährung.
Eine Studie aus dem Jahr 2014 kommt zu der Erkenntnis, das Familien ein stabiles und unverwechselbares Mikrobiom teilen, das bei Wohnungswechseln mit umzieht. Nach ca. 24 Stunden war ein neu bezogener Wohnraum von der vorigen Wohnung bezüglich der mikrobiologischen Besiedlung nicht mehr zu unterscheiden. Pro Familie waren 2.000 bis 20.000 unterschiedliche Bakterienarten nachweisbar.[2]
Zirkardianer Rhythmus
Auch das Mikrobiom unterliegt einem zirkadianen Rhythmus hinsichtlich der Lokalisation im Darm, der relativen Anteile der Arten und der Sekretion bakterieller Metabolite. Störungen des zikardianen Rhythmus des Wirtes (z.B. bei Schichtarbeit oder Jetlag) haben Einfluss auf die Oszillationen der Mikrobiota.
Klinik
Pathologie
Verschiedene epidemiologische Studien konnten einen inversen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber Mikroorganismen und der Inzidenz von autoimmunen bzw. atopischen Krankheiten beim Menschen belegen. Die Hygienehypothese postuliert, dass eine inadäquate mikrobielle Exposition (v.a. im jungen Alter) bei Vorliegen einer genetischen Suszeptibilität zum Zusammenbruch der homöostatischen Immunreaktion führt. Das Konzept wird inzwischen auch auf andere entzündliche Erkrankungen sowie auf Prozesse im späteren Leben erweitert.
Die Hygienehypothese bildete die Grundlage für translationale Mikrobiomstudien. Sie haben das Ziel, die Mikrobiota von verschiedenen Körperbereichen bei Personen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern zu analysieren. Dabei wurde festgestellt, dass sich das Mikrobiom bei Vorliegen einer Erkrankung von dem gesunder Kontrollpersonen unterscheidet. Dabei lässt sich häufig eine Abnahme der Anzahl der Spezies (Alphadiversität) oder der mikrobiellen Verwandschaft (Betadiversität) feststellen. Weiterhin sind Entzündungen oft mit einer relativen Zunahme der Enterobacteriaceae und einer Abnahme der Lachnospiraceae assoziiert.
Ob die krankheitsassoziierten Veränderungen im Mikrobiom jedoch lediglich als Biomarker der Krankheit fungieren oder sogar Ursache der Erkrankung sind, ist noch Gegenstand aktueller Forschungen. Hilfreich sind dabei Tierexperimente an gnotobiotischen Mäusen, also keimfreien Mäusen, die mit festgelegten mikrobiellen Gemeinschaften kolonisiert werden.
Ein Zusammenhang liegt z.B. bei folgenden Erkrankungen vor:
- Adipositas: u.a. geringere Alphadiversität, Bacteroidetes/Firmicutes-Quotient
- Diabetes mellitus Typ 2
- Kwashiorkor
- chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED): u.a. geringere Diversität, Reduktion von Faecalibacterium prausnitzii, pathogenetische Rolle von Caudovirales bacteriophages, erhöhtes Verhältnis zwischen Basidiomycota und Ascomycota
- kardiovaskulären Erkrankungen: u.a. Chlamydophila pneumoniae in atherosklerotischen Läsionen, Porphyromonas gingivalis, Synthese von Trimethylaminoxid (TMAO) aus Carnitin und Cholin durch Darmmikrobiota
- Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD) nach hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSCT): Verlust der intestinalen Diversität geht mit erhöhten Mortalität einher. Bestimmte Bakterien wirken protektiv (z.B. Blautia-Spezies)
- Autoimmunerkrankungen: z.B. Diabetes mellitus Typ 1, rheumatoide Arthritis, multiple Sklerose
- atopischen Erkrankungen: Atopische Dermatitis, Nahrungsmittelallergien, Asthma bronchiale, allergische Rhinitis
- neurologischen und psychischen Krankheiten: z.B. Autismus, Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson)
- Psoriasis
- bakterieller Vaginose
- hepatischer Enzephalopathie
Des Weiteren beeinflussen die Mikrobiota die Infektionsneigung, das Ansprechen auf Impfungen und die Wirksamkeit der Arzneimitteltherapie. Beispielsweise gehen Bifidobacterium spp. mit einem erhöhten Ansprechen auf PD-L1-Inhibitoren und Bacteroides thetaiotaomicron und Bacteroides fragilis auf CTLA-4-Inhibitoren einher. Weiterhin kann das duktale Adenokarzinom des Pankreas Gammaproteobacteria enthalten, die Gemcitabin metabolisieren können.
Therapeutische Anwendung
Das Mikrobiom eines Menschen kann durch eine sogenannte fäkale Mikrobiota-Transplantation (Stuhltransplantation) über eine transnasale Magen- oder Duodenalsonde, eine Koloskopie, einen Einlauf oder in Form oral einzunehmender Kapseln übertragen werden. Sie wird v.a. bei therapierefraktären Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhöen durchgeführt.
Ein potentiell zukünftiger Therapieansatz ist der Einsatz einzelner Bakterienstämme oder bakterieller Metabolite. Für den gezielten Einsatz von Probiotika ist die Datenlage derzeit (2020) unzureichend.
Forschung
Die Erforschung der residenten Mikroflora beim Menschen und anderen Säugetieren wird als Mikrobiomik bezeichnet. Die Metagenomik untersucht das Genom von in der Umwelt vorkommenden Spezies, die die Fähigkeit besitzen, in die menschliche Biologie direkt oder indirekt einzugreifen.
Podcast
Literatur
- Gilbert JA et al. Current understanding of the human microbiome, Nat Med. 2018 Apr 10;24(4):392-400, abgerufen am 29.08.2020
- Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin, 2020 ABW Wissenschaftsverlag
Quellen
- ↑ Lederberg J, McCray AT. 'Ome Sweet 'Omics - A Genealogical Treasury of Words, Genealogical Treasury of Words. Scientist. 2001;15(7):8, abgerufen am 29.08.2020
- ↑ Lax S et al. Longitudinal analysis of microbial interaction between humans and the indoor environment, Science 29 Aug 2014. Vol. 345, Issue 6200, pp. 1048-1052, abgerufen am 29.08.2020
Bildquelle
- Bildquelle für Podcast: © Amelia Speight / Unsplash
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