Ivosidenib
Handelsname: Tibsovo®
Synonym: AG-120
Englisch: ivosidenib
Definition
Ivosidenib ist ein Arzneistoff, der die Isocitrat-Dehydrogenase-1 hemmt. Er ist zur Behandlung von Cholangiokarzinomen und akuter myeloischer Leukämie (AML) zugelassen.
siehe auch: Enasidenib
Chemie
Ivosidenib besitzt die Struktur eines Peptidanalogons, da es ein Peptid-Rückgrat aus zwei Amidgruppen besitzt. Es setzt sich jedoch nicht aus proteinogenen Aminosäuren zusammen. Der C-Terminus ist durch ein 3,3-Difluorcyclobutanamin in eine Amidfunktion umgewandelt, während der N-Terminus in Form eines Lactams vorliegt. Die Summenformel lautet C28H22ClF3N6O3. Der chemische Name ist:
- (2S)-N-[(1S)-1-(2-chlorophenyl)-2-[(3,3-difluorocyclobutyl)amino]-2-oxoethyl]-1-(4-cyanopyridin-2-yl)-N-(5-fluoropyridin-3-yl)-5-oxopyrrolidine-2-carboxamide (IUPAC)
Die molare Masse beträgt 583,0 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 2,52. Die CAS-Nummer lautet 1448347-49-6. Ivosidenib ist bei Raumtemperatur in Wasser unlöslich.[1]
Wirkmechanismus
Ivosidenib hemmt die Isocitrat-Dehydrogenase-1. Dieses Enzym katalysiert die Umsetzung von Isocitrat zu α-Ketoglutarat. Bei manchen malignen Tumoren ist die Isocitrat-Dehydrogenase mutiert, sodass statt α-Ketoglutarat der Onkometabolit 2-Hydroxyglutarat (2-HG) entsteht. Erhöhte zelluläre Spiegel an 2-HG führen zu einem vermehrten oxidativen Stress und zur Hemmung von Enzymen, die Glutamat oder α-Ketoglutarat benötigen. 2-HG kann auch die DNA epigenetisch verändern, indem es indirekt zu einer DNA-Hypermethylierung führt.
Die Hemmung der Isocitrat-Dehydrogenase-1 mit Ivosidenib führt zu einer Verringerung der 2-HG-Konzentration in der Zelle, was die o.g. Veränderungen verhindert.[1][2]
Pharmakokinetik
Ivosidenib wird nach oraler Aufnahme rasch resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach 2 Stunden erreicht. Die Plasmaproteinbindung beträgt 92 bis 96 %, das Verteilungsvolumen ca. 3 l/kgKG. Die Biotransformation in der Leber erfolgt über das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP3A4, in geringem Umfang auch durch N-Dealkylierung und Hydrolyse. Die Elimination erfolgt überwiegend unverändert mit der Fäzes. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 98 Stunden bei Patienten mit AML, 129 Stunden bei Patienten mit Cholangiokarzinom.[2]
Indikationen
Die Behandlung mit Ivosidenib ist indiziert:[2]
- in Kombination mit Azacitidin bei neu diagnostizierter akuter myeloischer Anämie (AML) mit einer Isocitrat-Dehydrogenase-1 (IDH-1) R132-Mutation, bei Patienten, die für ein Standard-Induktionsschema nicht geeignet sind. Der Anteil der Patienten, bei denen diese Mutation vorliegt, beträgt 6 bis 16 % aller AML-Fälle. Deshalb hat Ivosidenib eine Zulassung als Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen (Orphan-Drug-Status) erhalten.
- als Monotherapie bei lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Cholangiokarzinom mit einer IDH-1 R132-Mutation, bei Patienten, die zuvor bereits mit mindestens einer systemischen Therapie behandelt wurden.
Darreichungsform
Ivosidenib steht in Form von Filmtablette zur oralen Anwendung zur Verfügung.
Dosierung
Die empfohlene Dosis beträgt 500 mg einmal täglich. Bei AML erfolgt die Therapie zusammen mit Azacitidin (75 mg/m2 Körperoberfläche), das in der ersten Woche eines dreiwöchigen Behandlungszyklus täglich gegeben wird. Ivosidenib wird an allen Tagen des Behandlungszyklus eingenommen. Bei gleichzeitiger Gabe eines CYP3A4-Inhibitors wird die Dosis auf 250 mg reduziert.[2]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Ivosidenib sind:[1][2]
- Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhö/Obstipation
- Neutropenie, Thrombozytopenie
- EKG-Veränderungen (Erregungsrückbildungsstörung)
- Insomnie, Fatigue, Gliederschmerzen, Arthralgie, Rückenschmerzen
- Schleimhautentzündungen (Halsschmerzen)
Unter der Behandlung kann sich bei Patienten mit AML durch eine rasche Proliferation und Differenzierung myeloischer Zellen ein sogenanntes Differenzierungssyndrom entwickeln. Dieses ist durch nicht-infektiöse Leukozytose, periphere Ödeme, Pyrexie, Hypotonie, Dyspnoe, Hypoxie, Lungenödem, Pneumonie, Pleuraerguss, Perikarderguss, Exanthem, Hyperhydratation, Tumorlysesyndrom und einen erhöhtem Kreatinin-Wert gekennzeichnet. Die Behandlung erfolgt mit Glukokortikoiden. Das Syndrom kann tödlich verlaufen.
Wechselwirkungen
- Arzneimittel mit Einfluss auf die QT-Dauer: Da Ivosidenib die QT-Zeit verlängert, sollten nicht gleichzeitig Arzneistoffe verabreicht werden, die ebenfalls die QT-Zeit verlängern.
- Inhibitoren und Induktoren von CYP3A4: Inhibitoren erhöhen die Plasmaspiegel von Ivosidenib, was zu mehr und schwereren Nebenwirkungen führen kann, während Induktoren die Plasmaspiegel von Ivosidenib bis unter die therapeutische Konzentration senken können.
- Ivosidenib hemmt P-gp, kann es aber auch induzieren. Deshalb sind die Plasmaspiegel von Substraten von P-gp, die mit Ivosidenib verabreicht werden, zu überwachen.
- Substrate von CYP3A4, CYP2B6, CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19 und UGT mit geringer therapeutischer Breite, da Ivosidenib diese Enzyme induzieren kann.[1][2]
Kontraindikationen
Die Anwendung ist kontraindiziert bei:[2]
- Überempfindlichkeit gegen Ivosidenib oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels
- gleichzeitiger Verabreichung von starken CYP3A4-Induktoren oder Dabigatran
- Herzrhythmusstörungen: kongenitales Long-QT-Syndrom; QT/QTc-Intervall > 500 msec; plötzlicher Herztod oder polymorphe ventrikuläre Arrhythmie in der Familienanamnese
Schwangerschaft und Stillzeit
Tierexperimentelle Studien ergaben Hinweise auf reproduktionstoxische Wirkungen von Ivosidenib. Eine Anwendung während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die keine wirksame Verhütung anwenden, wird nicht empfohlen.[2]
Es ist bisher (2024) nicht bekannt, ob Ivosidenib in die Muttermilch übertritt. Wegen des Risikos von Nebenwirkungen beim Säugling wird das Stillen nicht empfohlen.[2]
Toxizität
Es liegen aktuell (2024) keine Erfahrungen zur Symptomatik einer Überdosierung oder Vergiftung mit Ivosidenib vor. Es ist davon auszugehen, dass es zu stärkeren Nebenwirkungen kommt. Eine primäre Giftentfernung durch Verabreichung von Aktivkohle kann innerhalb einer Stunde nach der Ingestion erfolgen. Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch. Ein spezifisches Antidot steht bisher (2024) nicht zur Verfügung. Aufgrund seiner pharmakokinetischen Eigenschaften (hohe Plasmaproteinbindung) ist eine sekundäre Giftentfernung durch Hämodialyse nicht effektiv.
Zulassung
Die Zulassung in Europa erfolgte im Jahr 2023.
Nutzenbewertung
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat für die Behandlung mit Ivosidenib bei Erwachsenen mit neu diagnostizierter akuter myeloischer Leukämie (AML) mit einer Isocitratdehydrogenase-1 (IDH1)-R132-Mutation, die für eine Standardinduktionschemotherapie nicht geeignet sind, einen erheblichen Zusatznutzen festgestellt [3] Das ist die höchste Kategorie, die der G-BA vergeben kann, wenn sich die Verbesserung einer Therapie belegen lässt.
ATC-Code
- L01XX62 - Andere antineoplastische Mittel
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Full Prescribing Information Tibsovo, FDA, abgerufen am 22.01.2024
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Tibsovo, EMA, abgerufen am 22.01.2024
- ↑ Ivosidenib (Akute Myeloische Leukämie mit IDH1-R132- Mutation, Erstlinie, Kombination mit Azacitidin). Beschluss des G-BA vom 18.01.2024, abgerufen am 22.01.2024
Weblinks
- Drugbank - Ivosidenib, abgerufen am 22.01.2024
- Pharmazeutische Zeitung Arzneistoffe - Ivosidenib, abgerufen am 22.01.2024
- Gelbe Liste Wirkstoffe - Ivosidenib, abgerufen am 22.01.2024
- PubChem: 71657455
- MeSH: 2026879
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