Hypokalzämie
Synonyme: Hypocalcämie, Hypokalziämie
Englisch: hypocalcemia
Definition
Bei einer Hypokalzämie ist der Calciumspiegel im Blut, d.h. das Serumcalcium, vermindert. Der Referenzwert liegt zwischen 2,2 und 2,65 mmol/l.
Hintergrund
Im Routinelabor wird überwiegend das Gesamtcalcium gemessen, funktionell wirksam ist aber nur das ionisierte Calcium. Ein großer Teil des Calciums befindet sich in Plasmaeiweißbindung. Ein vermindertes Gesamtcalcium liefert daher in erster Linie einen Hinweis auf eine Hypoproteinämie. Echte Hypokalzämien sind selten, da der Calciumspiegel vom Körper sehr gut reguliert wird.
Ätiologie
Eine Hypokalzämie hat vielfältige Ursachen. Grundsätzlich ist eine akute Hypokalzämie von der chronischen Hypokalzämie zu unterscheiden.
Es lassen sich drei grundsätzliche ätiologische Gruppen zusammenfassen:
- Verluste oder ungenügende Aufnahme mit gestörter Calciumbilanz
- Endokrine Ursachen (Hormonmangel, -überschuss)
- Verteilungsstörungen durch Verschiebung und Bindung des Calciums
Gestörte Calciumbilanz
- Malassimilation (verminderte enterale Resorption, Albuminmangel, Vitamin-D-Mangel)
- erhöhter Calciumverbrauch (Pubertät, Schwangerschaft)
- erhöhter Calciumverlust (renal-tubuläre Azidose)
Endokrine Ursachen
- Hypoparathyreoidismus (Parathyroidektomie, Autoimmunerkrankung)
- Mangel an Vitamin D (Rachitis, Mangel an Sonnenlicht z.B. bei komplett verschleierten Frauen)
- Mangel an Calcitriol (Niereninsuffizienz)
- Überproduktion von Calcitonin (z.B. beim medullären Schilddrüsenkarzinom)
- Akutes Nierenversagen in der polyurischen Phase (starke Calciumverluste)
- Therapie mit Schleifendiuretika (z.B. Furosemid)
- Hypomagnesiämie (gestörte Parathormon-Sekretion, Alkoholismus, Malabsorptionssyndrom)
- Glukokortikoid-Überdosierung
Verteilungsstörungen
- Hyperphosphatämie (Ausfall von Calciumphosphat bei Überschreiten des Löslichkeitsproduktes)
- Hypoalbuminämie (fehlende Bindungskapazität des Blutes)
- Alkalose (Mit steigendem pH-Wert erhöht sich die Bindungskapazität der Blutproteine (Albumin) für Kalzium - es entsteht eine relative Hypokalzämie, z.B. im Rahmen einer Hyperventilation)
- Sepsis
- Verbrennung
- akute Pankreatitis (mit Kalzifikation)
Klinik
Eine Hypokalzämie kann asymptomatisch verlaufen und ist häufig ein Zufallsbefund, der bei Blutuntersuchungen oder als EKG-Veränderung auffällt.
Bei symptomatischer Hypokalzämie ist die Tetanie das klinische Leitsymptom. Die Tetanie ist Ausdruck einer übersteigerten muskulären Erregbarkeit und äußert sich im Extremfall als Krampf mit Spasmen der Hände und Füße (Pfötchenstellung, Spitzfußstellung).
Leichtere Anzeichen sind perioral und an Händen und Füßen betonte Parästhesien und eine Hyperreflexie.
Am Herzen äußert sich eine Hypokalzämie als Bradykardie mit verminderter Kontraktionskraft (Inotropie). Im Extremfall kann es zur Herzinsuffizienz kommen, meist im Sinne einer Verschlechterung einer vorbestehenden Herzschwäche.[1] Eine proarrhythmogene Wirkung der Hypokalzämie konnte nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.[2]
Bei länger bestehender Hypokalzämie ohne organische Symptome können auch psychische Symptome wie Verstimmtheit, Depression und Angstzustände auftreten.
Diagnostik
Die Diagnostik einer Hypokalzämie umfasst die spezifische Anamnese sowie labormedizinische Untersuchungen und deren Interpretation.
Anamnese
In der Anamnese sollten prädisponierende Faktoren wie Schilddrüsenoperationen, Niereninsuffizienz undDiuretikatherapie erfragt werden.
Körperliche Untersuchung
Der Verdacht auf eine Hypokalzämie kann durch die Prüfung der folgenden klinischen Zeichen erhärtet werden, die eine neuromuskuläre Übererregbarkeit anzeigen:
- Chvostek-Zeichen: Das Beklopfen des Nervus facialis im Bereich des Plexus parotideus löst ein Zucken der mimischen Muskulatur aus. Es tritt jedoch auch bei Gesunden auf und ist bei chronischer Hypokalzämie oft nicht nachweisbar.
- Trousseau-Zeichen: Das Anlegen einer Blutdruckmanschette über ca. drei Minuten provoziert eine Pfötchenstellung
Eine offensichtliche Hyperventilation ist ebenfalls als diagnostisches Zeichen zu verwerten.
Labormedizinische Untersuchungen
Folgende Parameter werden in der labormedizinischen Blutuntersuchung bestimmt:
- Gesamteiweiß, ggf. ionisiertem Kalzium (echte Hypokalzämie?)
- Kreatinin (Nierenfunktion?)
- Serumalbumin (Malassimilation?)
- Parathormon (Hypoparathyreoidismus?)
- Calcitriol und Metabolite (Vitamin-D-Mangel?)
- Magnesiumspiegel
Einen besonderen diagnostischen Stellenwert hat die Bestimmung von Phosphat. Aus der gemeinsamen Betrachtung der Veränderungen von Phosphat- und Calciumspiegel lassen sich Trends ableiten:
- Besteht eine Hypokalzämie bei Hyperphosphatämie, ist am ehesten an eine Störung des Parathormon-Stoffwechsels zu denken.
- Besteht eine Hypokalzämie bei Hypophosphatämie, liegt am ehesten an eine Störung des Vitamin-D-Stoffwechsels vor.
EKG
Im EKG findet sich typischerweise eine Verlängerung der QT-Zeit. Es wurden auch verschiedene T-Wellen-Anomalien beobachtet, wie z.B. die Abflachung oder Inversion der T-Welle.[3][4]
Therapie
Die Therapie der Hypokalzämie richtet sich nach der Ätiologie. Sehr einfach lässt sich eine Hypokalzämie und Tetanie bei Hyperventilation behandeln. Die respiratorische Alkalose kann durch Rückatmung in einen Beutel effektiv behoben werden. Dadurch erhöht sich der Kohlendioxidpartialdruck in der eingeatmeten Luft. Mit der Normalisierung des pH-Wertes steigt das Calcium wieder an.
Bei anderen Formen der Tetanie ist kurzfristig die intravenöse Gabe von Calciumgluconat hilfreich. Eine Kontraindikation stellt dabei jedoch jede Therapie mit Digitalisglykosiden dar (Digitalistoxizität bei Hypokalzämie).
Asymptomatische oder wenig symptomatische Hypokalzämien sollten durch orale Gabe von etwa 2 Gramm Calciumcarbonat pro Tag (z.B. als Brausetablette) langsam ausgeglichen werden. Bei Vitamin-D-bedingten Störungen kann die Gabe von Calcitriol sinnvoll sein.
Bei einem Magnesiummangel als Ursache ist die Substitution von Magnesium effektiv, der Calciumspiegel normalisiert sich darunter in der Regel.
Bei der Behandlung der Hypokalzämie sollte stets auch ein eventuell bestehender Phosphatüberschuss mit berücksichtigt werden. Wird zu viel Calcium bei zu viel Phosphat verabreicht, kann es zur Kalzifikation von Organen kommen.
siehe auch: Hyperkalzämie
Literatur
- Laborlexikon.de; abgerufen am 15.02.2021
Quellen
- ↑ Classen et al., Innere Medizin. 5. Auflage 2003, S. 1742
- ↑ Haverkamp et al. Moderne Herzrhythmustherapie Thieme, 2003
- ↑ El-Sherif et al., Electrolyte disorders and arrhythmogenesis Cardiology Journal, 2011
- ↑ MSD Manual – Hypokalzämie abgerufen am 10.05.2023