Hüftkopfnekrose im Erwachsenenalter
Definition
Als Hüftkopfnekrose im Erwachsenenalter wird eine erworbene Nekrose des Femurkopfes bei Erwachsenen bezeichnet. Sie wird von der Hüftkopfnekrose bei Kindern (Morbus Perthes) abgegrenzt.
Nomenklatur
Eine Hüftkopfnekrose kann durch eine Infektion entstehen; man spricht hierbei jedoch eher von einer septischen Arthritis. In den meisten Fällen ist die Nekrose Folge einer Ischämie (aseptische Hüftkopfnekrose).
Ätiopathogenese
Einteilung
Bei der aseptischen Hüftkopfnekrose des Erwachsenen unterscheidet man je nach Ätiopathogenese zwischen folgenden Formen:
- posttraumatische Hüftkopfnekrose: nach Verletzungen des Hüftgelenks (z.B. nach Schenkelhals- oder Hüftkopffrakturen)
- atraumatische Hüftkopfnekrose (aFKN):
- primäre (idiopathische) Hüftkopfnekrose: unklare Ursache.
- sekundäre Hüftkopfnekrose: Sichelzellanämie, Caisson-Krankheit, Morbus Gaucher, systemischer Lupus erythematodes, Kortisontherapie
Risikofaktoren
Als Risikofaktoren gelten:
- Hyperurikämie
- Diabetes mellitus
- Alkohol-, Nikotinabusus
- Hyperlipidämie, Adipositas
- Hypertonie
- Chemotherapie, Bestrahlung
Pathogenese
Die genaue Pathogenese der Hüftkopfnekrose ist noch (2023) nicht endgültig geklärt. Allen Formen liegt vermutlich eine partielle Durchblutungsstörung des Hüftkopfes zugrunde. Mögliche Gründe sind:[1]
- unterbrochener arterieller Zufluss
- venöse Stauung
- intravaskuläre kapillare Okklusion
- intraossäre kapillare Tamponade
Pathophysiologie
Von der Hüftkopfnekrose sind oft nur Teile des Femurkopfes betroffen, wobei die Nekrose am häufigsten in der Druckaufnahmezone im vorderen Abschnitt des Hüftkopfes auftritt. Die Nekrose führt zur Osteolyse oder zur Verdichtung der Knochenstruktur. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung ist ein Zerfallen in Fragmente (Sequester) möglich.
Die Erkrankung führt zu einer Deformität des Hüftkopfes und damit zu einer Inkongruenz des Hüftgelenkes. Dabei kann die Gelenkfläche einbrechen und eine Restitutio ad integrum unmöglich machen. Im Endstadium entsteht eine sekundäre Coxarthrose.
Epidemiologie
Die primäre Hüftkopfnekrose tritt gehäuft bei Männern im Lebensalter zwischen 35 und 45 Jahren auf. Häufig sind beide Seiten betroffen. Nach Diagnose einer Hüftkopfnekrose ist das Risiko für einen kontralateralen Befall in den nachfolgenden 2 Jahren sehr hoch, danach nimmt es ab. Der Befall kann jedoch zeitversetzt auftreten. Die jährliche Inzidenz beträgt in Deutschland ca. 5.000 bis 7.000.
Symptome
Klinische Symptome sind belastungsabhängige Schmerzen im Hüftgelenk bzw. im Bereich der Leiste und gelegentlich im Kniegelenk. Weiterhin entwickelt sich zunächst eine scheinbare, später eine definitive Beinlängendifferenz bis zum Vollbild der deformierenden Coxarthrose.
Häufig bestehen aufgrund der Schmerzen eine Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks und ein hinkendes Gangbild.
Diagnostik
Anamnese
- Schmerzen: Lokalisation, Ausstrahlung, Dauer, Progredienz, Intensität
- Funktionseinschränkung: Belastbarkeit, Beweglichkeit, schmerzfreie Gehstrecke
- Vorerkrankungen (v.a. rheumatische Erkrankungen), Trauma
- Risikofaktoren inklusive Medikamentenanamnese
Körperliche Untersuchung
- Beurteilung des Bewegungsumfangs und des Gangbildes
- Kontrakturen? Muskelatrophie?
- pDMS (Durchblutung, Motorik, Sensibilität)
Röntgen
Bei klinischem Verdacht einer Hüftkopfnekrose (z.B. bei unklaren Hüftschmerzen seit über 6 Wochen) wird zunächst eine konventionelle Röntgenuntersuchung (Beckenübersicht und Lauenstein-Aufnahme) durchgeführt. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich meist erst nach Wochen oder Monaten Veränderungen zeigen. Die Femurkopfnekrose imponiert zunächst durch eine fleckige Knochenstruktur, die durch die Kondensation und die Osteolyse bedingt ist.
Der nekrotisierte Bereich kann durch einen Sklerosesaum abgetrennt sein, wenn nur ein einzelner Abschnitt des Kopfes betroffen ist. Knöcherne Veränderungen an der Hüftpfanne sind möglich.
Die Röntgen-Diagnostik spielt auch in der Stadieneinteilung eine wichtige Rolle (siehe dort).
Weitere Diagnostik
Nach initialer Röntgen-Untersuchung können folgende diagnostische Methoden sinnvoll sein:
- MRT beider Hüftgelenke: bei unauffälligem Röntgenbild und anhaltenden Beschwerden sowie bei ARCO-Stadium II-III im Röntgenbild (s.u.). Ermöglicht frühzeitige Beurteilung der Lokalisation und Größe der Nekrosezone, eines Gelenkflächeneinbruchs, einer subchondralen Fraktur und des Ausmaßes des Gelenkkollaps.
- CT der Hüftgelenke: im ARCO-Stadium II, wenn eine subchondrale Fraktur nicht ausgeschlossen werden kann.
- Szintigraphie: nur bei speziellen Fragestellungen
- Sonographie: z.B. Nachweis eines Gelenkergusses
- Labor: primär zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen
- Gelenkpunktion mit Analyse der Synovia: primär zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen
Stadieneinteilung
...nach ARCO-Klassifikation
Mithilfe der Ergebnisse der Bildgebung kann die Femurkopfnekrose nach der ARCO-Klassifikation in fünf Stadien eingeteilt werden:
Stadium | Röntgen- bzw. MRT-Veränderungen |
---|---|
Stadium 0 | Normalbefund in Röntgen, MRT und Szintigraphie. Nekrosezeichen in Histologie |
Stadium I | Röntgen/CT negativ; MRT/Szintigraphie positiv |
Stadium II | Röntgen positiv (fleckförmige Verdichtungen, Hüftkopfkontur erhalten); MRT positiv; normaler Gelenkspalt |
Stadium III | Subchondrale Fraktur im Röntgenbild in Form einer sichelförmigen Aufhellungszone (Crescent Sign). Abflachung der Femurkopfkontur, normaler Gelenkspalt. |
Stadium IV | Zusätzlich sekundär arthrotische Veränderungen, Gelenkspaltverschmälerung |
Die Differenzierung zwischen ARCO-Stadium I und II beruht auf dem Röntgenbild. Im Stadium I oder II gibt es keine spezifischen Befunde in der MRT oder CT, die eine Differenzierung ermöglichen.
siehe Hauptartikel: ARCO-Klassifikation
...nach Ficat und Arlet
Stadium | Röntgenbefund | Klinik |
---|---|---|
0 |
|
|
1 |
|
|
2 |
|
|
3 |
|
|
4 |
|
|
...nach Marcus
Die Klassifikation nach Marcus wird anhand von konventionellen Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen (a.p.-Projektion und Lauenstein-Aufnahme) vorgenommen.
Stadium | Röntgenbefund | Hüftkopfform | Arthrosegrad |
---|---|---|---|
1 | lokalisierte Sklerosierungen | rund | 0 |
2 | sklerotischer Randsaum | rund | 0 |
3 | subchondrale Aufhellung | leicht abgeflacht | 0 |
4 | laterale Impression | deutlich abgeflacht | 0-1 |
5 | laterale und mediale Impression | deutlich entrundet | 0-2 |
6 | sekundäre Coxarthrose | deutlich entrundet | 2-3 |
Differentialdiagnosen
- transiente Osteoporose (TO)
- Stress- oder Insuffizienzfrakturen
- primäre Coxarthrose incl. schnell destruierende Arthropathie
- septische Arthritis
- rheumatoide Arthritis
- Periarthropathia coxae (Bursitis, Insertionstendinopathie)
- Femoroacetabuläres Impingement
- Hüftgelenksdysplasien
- radikuläres und pseudoradikuläres Syndrom
- Tumoren, Metastasen
- Chondromatose
- Leistenhernie
Therapie
Eine kausale Therapie der aseptischen Hüftkopfnekrose ist derzeit nicht möglich. Die symptomatische Behandlung zielt auf die Verbesserung der Beweglichkeit und Lebensqualität sowie auf die Schmerzreduktion ab. Eine rein konservative Therapie kann die Progression der Erkrankung nicht aufhalten.
Konservativ
Zur Behandlung der Schmerzen werden NSAR verabreicht. Die Verwendung von Unterarmgehstützen für einige Zeit kann zweckmäßig sein, eine Entlastung über Monate ist jedoch nicht sinnvoll. Zum Erhalt von Muskel- und Gelenkfunktionen sind Physio-, Thermo-, Hydro- und Balneotherapie sinnvoll.
Das Prostazyklin-Analogon Iloprost kann im ARCO-Stadium I zur Reduktion der Schmerzen und des Knochenmarködems off label eingesetzt werden, falls der Patient eine chirurgische Behandlung ablehnt oder Kontraindikationen vorliegen. Wenn bereits eine subchondrale Fraktur vorliegt, ist die Therapie ungeeignet.
Alendronat kann ebenfalls off label eingesetzt werden. Es dient der Schmerzreduktion und kann die Zeit bis zum Kollaps des Hüftkopfes verzögern.
Nicht empfohlen werden:
- Antikoagulanzien (z.B. Heparin, Warfarin)
- Statine
- hyperbare Sauerstofftherapie
- Stoßwellentherapie (ESWT)
- pulsierende elektromagnetische Felder (PEMF) bzw. elektrische Stimulation
Operativ
Bei der operativen Therapie der Hüftkopfnekrose unterscheidet man zwischen gelenkerhaltenden und endoprothetischen Behandlungen. Bei einem ARCO-Stadium IV ist eine gelenkerhaltende Operation nicht mehr möglich.
Medulläre Dekompression
Bei der medullären Dekompression (engl. core decompression) wird das nekrotische Areal angebohrt. Die Dekompression des Knochenmarkraums verbessert die Durchblutung und kann die Beschwerden lindern. Diese Methode wird im ARCO-Stadium I und II bei medialer oder zentraler Nekrose mit einer Ausdehnung von < 30 % des Hüftkopfes empfohlen. Im Stadium III mit Infraktion des Hüftkopfes kann sie zur kurzfristigen Schmerzreduktion durchgeführt werden.
Die Anbohrung kann mit einer Knochentransplantation kombiniert werden, jedoch nur bei kleinen Läsionen < 20 % bzw. < 200° Nekrosewinkel. Knochenersatzstoffe können ebenfalls eingesetzt werden. Weiterhin ist eine postoperative Infusion mit Iloprost möglich.
Umstellungsosteotomien
Umstellungsosteotomien des proximalen Femurs sind eine Therapieoption bei jungen Patienten mit frühen Formen der Hüftkopfnekrose. Dieser Eingriff kann mit einer Ausräumung des Nekroseherdes und einer Auffüllung mit Eigen- oder Fremdknochen kombiniert werden. Die Indikation für intertrochantäre Osteotomien (Flexions- oder Rotationsosteotomien) sollte aufgrund des hohen technischen Anspruchs kritisch gestellt werden.
Weitere gelenkerhaltende Therapieansätze
Osteochondrale Allografts und die autologe Spongiosatransplantation werden derzeit nicht empfohlen. Tantalum-Implantate (PTI) werden nicht mehr angewendet.
Zellbasierte Verfahren mittels mesenchymaler Stammzellen stellen experimentelle Behandlungsformen dar.
Endoprothetischer Hüftgelenkersatz
Insbesondere bei fortgeschrittener Zerstörung des Hüftgelenks und bei Zeichen einer sekundären Arthrose wird die Implantation einer Hüftgelenkstotalendoprothese (Hüft-TEP) empfohlen. Da mit zunehmender Implantationsdauer das Risiko einer Revision aufgrund von Implantatlockerung, Infektion oder periprothetischer Fraktur steigt, wird sie bevorzugt bei älteren Patienten und/oder bei starken Schmerzen durchgeführt.
Quellen
- ↑ S3-Leitlinie Atraumatische Femurkopfnekrose des Erwachsenen, Stand 2019, abgerufen am 06.05.2021