Englisch: stress fracture
Die Stressfraktur ist eine Frakturform, die aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen der Knochenfestigkeit und der mechanischen Belastung des Knochens entsteht - besonders im Rahmen von Überlastungssyndromen.
Nichttraumatische Frakturen können unterteilt werden in:
In der Literatur ist die Nomenklatur uneinheitlich. Häufig werden eigentlich getrennte Begriffe synonym verwendet. Dieser Artikel bezieht sich hauptsächlich auf Ermüdungsfrakturen.
Knochen unterliegt ständigen Umbauprozessen (Remodeling): Vermehrte Muskelaktivität bzw. die Belastung des Knochens fördert die Aktivität der Osteoblasten, sodass Knochen aufgebaut wird (positives Remodeling). Ohne Belastung überwiegt der Knochenabbau durch Osteoklasten (negatives Remodeling). Daher ist ein gewisses Maß an "Stress" für die Homöostase des Knochens notwendig. Wenn eine mechanische Belastung die elastische Kapazität des Knochens übersteigt, entstehen Mikrorisse, die innerhalb von 2-8 Monaten wieder repariert werden. Wenn diese Mikrofrakturen schneller akkumulieren, als der Knochen regenerieren kann, tritt eine Stressfraktur auf. Repetitive, submaximale Krafteinwirkungen können bei unzureichender Regenerationszeit auch zu einer Schädigung von Wachstumsfugen bei Kindern ("chronic physeal injury") führen. Weitere Stressverletzungen sind z.B. die Traktionsapophysitis sowie evtl. die juvenile Osteochondrosis dissecans (JOCD).
Die Remodeling-Prozesse in der Kortikalis unterscheiden sich von denen in der Spongiosa:
Ermüdungsfrakturen entstehen insbesondere bei jungen, sportlich aktiven Menschen mit erhöhter Belastung, wobei Frauen häufiger betroffen sind. Ein besonders hohes Risiko haben Laufsportler, Tänzer und Soldaten. Weitere Risikofaktoren sind:
Am häufigsten ist die untere Extremität betroffen. Typische Prädilektionsstellen sind:
Insuffizienzfrakturen sind am häufigsten mit einer Osteoporose assoziiert, sodass insbesondere postmenopausale Frauen betroffen sind. Weitere Ursachen sind z.B. Hyperparathyreoidismus, Osteomalazie, Morbus Paget oder die Einnahme von Glukokortikoiden.
Am häufigsten sind Wirbelkörper, Oberschenkelhals und Os sacrum betroffen.
Wegweisend ist die Angabe der vorangegangenen körperlichen Belastung in der Anamnese. Auf eine Stressfraktur deuten hin:
In diesen Fällen ist eine Bildgebung indiziert, um eine Stressfraktur nachzuweisen.
Die bevorzugte Erstdiagnostik ist die Röntgenuntersuchung in zwei Ebenen. Sie bietet einen orientierenden Überblick und dient dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen. Für frühe Formen der Stressfraktur ist die Sensitivität jedoch mit 10 % gering. Nach ca. 2-8 Wochen nach Schmerzbeginn steigt die Sensitivität aufgrund der reaktiven Knochenapposition im Frakturbereich auf 30-70 %.
Befunde in Röntgenaufnahmen sind:
Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist der diagnostische Goldstandard bei Stressfrakturen. Sie ermöglicht nicht nur eine Diagnose bereits in der Frühphase, sondern auch eine Auswahl der geeigneten Therapie sowie eine Beurteilung der Dauer der Ruhephase bei Sportlern.
Bereits vor Eintreten der Stressfraktur lässt sich oft als Zeichen der Überlastung ein periostales Ödem nachweisen, das mit zunehmender Belastungsdauer von einem bandförmigen Knochenmarködem begleitet wird. Knochenmarködeme können auch als subklinische, physiologisch auftretende Remodeling-Prozesse z.B. bei Langstreckenläufern auftreten, ohne dass es im Verlauf zu einer Stressfraktur kommt. Daher müssen die radiologischen Befunde immer mit dem klinischen Bild korreliert werden. Für die Darstellung der Ödeme werden flüssigkeitssensitive Sequenzen verwendet, beispielsweise T2-STIR, PD-FS, T2-FS, PD-Dixon oder T2w-Dixon.
Eine manifeste Fraktur stellt sich in T1-gewichteten MRT-Sequenzen als hypointense Linie dar. Ergänzende Kontrastmittelsequenzen können die Darstellung der Stressfraktur teilweise erleichtern.
Anhand des MRT-Befundes werden vier Schweregrade unterschieden, wobei Grad 1-3 als Stressreaktion und Grad 4 als Stressfraktur im engeren Sinne bezeichnet werden. Häufig werden die Klassifikationen nach Fredericson, Arendt oder Nattiv verwendet.
Grad | Fredericson et al. | Arendt et al. | Nattiv et al. |
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1 | mildes periostales Ödem in T2, normales Knochenmark in T1 und T2 | Signalveränderung in STIR | mildes Knochenmark- oder periostales Ödem in T2 und normal in T1 |
2 | moderates bis starkes periostales Ödem in T2, Knochenmarködem in T2, normal in T1 | Signalveränderung in STIR und T2 | moderates Knochenmark- oder periostales Ödem in T2, normal in T1 |
3 | moderates bis starkes periostales Ödem in T2, Knochenmarködem in T2 und T1 | Signalveränderung in STIR, T2 und T1 | starkes Knochenmark- oder periostales Ödem in T2 und T1 |
4 | moderates bis starkes periostales Ödem in T2, Knochenmarködem in T2 und T1, Frakturlinie nachweisbar | Frakturlinie in T2 und T1 | starkes Knochenmark- oder periostales Ödem in T2 und T1 und Frakturlinie in T2 oder T1 |
Besonderheiten |
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Die Klassifizierung ist insbesondere im Hochleistungssport wichtig zur Beurteilung der erforderlichen Ruhephase bis zur Wiederaufnahme des vollen Leistungsumfangs:
Die Computertomographie (CT) kommt nur selten zum Einsatz. Sie ist hilfreich zur präzisen Darstellung von Frakturlinien, insbesondere bei komplexen anatomischen Verhältnissen (z.B. im Bereich der Wirbelsäule oder des Beckens). Mittels Dual-Energy-CT kann auch direkt das Knochenmark sowie mögliche Knochenmarködeme beurteilt werden.
Die Dreiphasen-Skelettszintigraphie mit 99mTc-DPD war früher der diagnostische Goldstandard bei Stressfrakturen. Sie weist innerhalb von 3-5 Tagen nach Symptombeginn einen erhöhten Knochenstoffwechsel im betroffenen Gebiet nach. Sie hat eine Sensitivität von über 90 %, jedoch eine geringe Spezifität, da auch Entzündungen, Metastasen und degenerative Veränderungen mit einem erhöhten Stoffwechsel einhergehen. Heutzutage wird die Szintigraphie nur bei unklaren MRT-Befunden oder Kontraindikationen einer MRT-Untersuchung durchgeführt.
Die Sonographie kann bei oberflächlich gelegenen Knochen (z.B. vordere Tibiakante, Mittelfußknochen) zum Einsatz kommen. Typische Befunde sind ein verdicktes Periost (hypoechogenes Band oberhalb der Kortikalis) und eine vermehrte Perfusion. Im Spätstadium kann man ggf. eine kortikale Unterbrechung und Stufenbildung erkennen. Das Knochenmark lässt sich nicht beurteilen.
Liegt ein klinischer Verdacht auf eine Stressfraktur vor, sollten initial eine Röntgenaufnahme und/oder ggf. eine Sonographie durchgeführt werden. Bei negativem Befund wird insbesondere bei Leistungssportlern oder High-Risk-Lokalisationen eine MRT durchgeführt. Ansonsten kann eine Röntgen/Sonographie-Kontrolle nach 2-3 Wochen bei persistierenden Schmerzen ausreichen. Bei weiterhin unklaren Befunden wird auch hier eine MRT durchgeführt.
Viele Erkrankungen führen zu ähnlichen Befunden in der Bildgebung. Knochenmarködeme durch Stressläsionen sind meist unscharf begrenzt und das Fettsignal in der T1w-Sequenz ist nur partiell unterdrückt. Lineare Signalalterationen (meist quer zur Kortikalis) weisen auf die Frakturlinie hin.
Bei malignen Knochentumoren (z.B. Osteosarkom, Ewing-Sarkom) finden sich folgende Befunde:
Metastasen zeigen ebenfalls eine weichteildichte Verdrängung des normalen Fettmarks in T1w-Sequenzen mit umgebenden Ödem sowie ggf. ein "endostal Scalloping".
Das Osteoidosteom ist ein benigner Tumor mit kräftigem fokalen Knochenmarködem. In der MRT kann die Abgrenzung des Nidus schwierig sein. Die periostale und endostale Knochenneubildung kann eine Stressfraktur vortäuschen. Hier ist die CT das Mittel der Wahl.
Eine typische Komplikation von Stressfrakturen ist bei vorzeitiger Belastung die verzögerte Ausheilung mit Entwicklung einer kompletten Fraktur und Pseudarthrose. Dies gilt insbesondere für Hochrisiko-Stressfrakturen, die meist durch Zugkräfte entstehen und mit einer verminderten Durchblutung des Knochens assoziiert sind:
Niedrigrisiko-Stressfrakturen sind meist durch Druckbelastung verursacht und häufiger als Hochrisiko-Stressfrakturen. Dazu zählen:
Die Behandlung einer Stressfraktur ist abhängig von der Lokalisation und der damit verbundenen Wahrscheinlichkeit eines komplizierten Heilungsverlaufs. Bei Niedrigrisiko-Frakturen ist i.d.R. eine Verringerung der auslösenden Belastung ausreichend und eine zusätzliche Entlastung der Extremität nicht notwendig. Bei Hochrisiko-Stressfrakturen ist neben einer Entlastung auch eine Ruhigstellung mittels Orthese oder Gipsverband notwendig. In einigen Fällen sind operative Maßnahmen (z.B. Osteosynthese) sinnvoll. Begleitend werden NSAR zur Analgesie eingesetzt. Physikalische Maßnahmen (z.B. extrakorporale Stoßwellentherapie) sollen die Knochenregeneration fördern, wobei evidenzbasierte Wirkungsnachweise nicht vorliegen.
Der Beginn des Belastungsaufbau hängt von dem Schweregrad der Stressfraktur ab. Erst nach einer Schmerzfreiheit von 10-14 Tagen ist sportliche Aktivität sinnvoll, wobei die Intensität langsam gesteigert werden sollte. Bei Wiederaufnahme des sportlichen Trainings ist auf Technikmängel, Materialmängel, Trainingsprogramm und -pensum zu achten. Wenn keine Schmerzfreihiet besteht, ist die Heilung noch nicht abgeschlossen.
Eine Bildgebung zur Verlaufskontrolle ist bei Niedrigrisiko-Stressfrakturen meist nicht notwendig. Im Leistungssport wird i.d.R. eine MRT bei Wiederaufnahme der Aktivitäten durchgeführt. Sportlern ist ein temporärer Umstieg auf relevant entlastende Sportarten, je nach Fraktur etwa Radfahren oder Kraftraining zu empfehlen.
Tags: Ermüdungsfraktur, Fraktur, Knochen-Tbc, Knochenmetastase, Looser-Umbauzone, Marschfraktur, Osteoporose, Overuse-Syndrom, Plasmozytom, Spontanfraktur
Fachgebiete: Orthopädie, Sportmedizin
Diese Seite wurde zuletzt am 20. Januar 2022 um 18:41 Uhr bearbeitet.
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