Ermüdungsfraktur
Synonym: Ermüdungsbruch
Englisch: fatigue fracture, overuse fracture
Definition
Eine Ermüdungsfraktur ist eine Form der nichttraumatischen Fraktur, die durch eine dauerhafte mechanische Überbeanspruchung eines primär gesunden Knochens ausgelöst wird.
Nomenklatur
Ermüdungsfrakturen werden zusammen mit Insuffizienzfrakturen als Stressfrakturen zusammengefasst. Häufig werden die Begriffe jedoch synonym verwendet.
Epidemiologie
Ermüdungsfrakturen treten gehäuft im Kinder- und Jugendalter sowie bei sportlich aktiven Menschen jenseits des 40. Lebensjahres auf. Zudem sind insbesondere junge aktive Frauen von einem Ermüdungsbruch betroffen.
Ätiopathogenese
Ermüdungsfrakturen entstehen, wenn kumulative Mikroschäden nicht mehr durch den normalen Knochenumbau kompensiert werden können. Dabei erhöhen extrinsische und intrinsische Faktoren das Risiko einer Ermüdungsfraktur:
- extrinsisch: Art der sportlichen Aktivität, Ernährungsgewohnheiten, verwendete Ausrüstung, abrupter Wechsel der Trainingsintensität oder -methode
- intrinsisch: anatomische Veränderungen (z.B. Fehlstellungen), endokrine Störungen (Vitamin D, Parathormon, Menstruationszyklus), Alter, Geschlecht, Gewicht
Bei Athleten wird der Zusammenhang u.a. zwischen Störungen des Essverhaltens, des Stoffwechsels, des Menstruationszyklus, des Immunsystems, der Knochendichte, der Proteinsynthese und der kardiovaskulären Gesundheit mit dem Begriff des "relativen Energiedefizits im Sport" (RED-S) beschrieben.
Klinik
Ermüdungsfrakturen verursachen oft nur geringe Symptome und machen sich lediglich durch einen lokalen Druckschmerz oder eine Weichteilschwellung bemerkbar, die mit reduzierter Belastbarkeit einhergehen kann.
Lokalisation
Mit 80-95 % sind die gewichtstragenden unteren Extremitäten am häufigsten betroffen. Die Prädilektionsstellen sind jedoch abhängig von der Art der Belastung (siehe Tabelle). Bei Jugendlichen können Ermüdungsfrakturen auch im Bereich der LWS und des Os sacrums auftreten.
Lokalisation | Aktivitäten |
---|---|
Os hamatum (Hamulus) | Golf, Tennis, Baseball |
Ulna (Processus coronoideus, Olecranon) | Wurfsportarten, Rollstuhlfahrer |
Humerus (distale Diaphyse) | Wurfsportarten, Gewichtheben |
Femur (Femurhals, Femurschaft) | Laufsport, Ballett, Gymnastik |
Tibia | Laufsport, Langlauf, Ballett, Basketball |
Proximale Fibula | Sprungsportarten |
Distale Fibula | Laufsport, Langlauf |
Calcaneus | Sprungsportarten |
Os naviculare | Laufsport, Langlauf |
Metatarsalia | Marschieren, Laufsport, Ballett, Basketball |
Sesambeine der unteren Extremität | Laufsport, Fehlbelastung (Hallux valgus) |
Rippen | Golf, Rudern, Gewichtheben |
Lendenwirbelsäule (Spondylolyse) | Gewichtheben, Rudern |
Vorderer Beckenring, Os pubis | Gymnastik, Leichtathletik |
Lokalisationen mit eigener Bezeichnung sind:
- Schipperfraktur: Ermüdungsfraktur der Dornfortsätze der Halswirbelsäule
- Marschfraktur: Ermüdungsfraktur der Mittelfußknochen
Diagnostik
Konventionelles Röntgen
In der konventionellen Röntgenuntersuchung sieht man oft keine oder nur unspezifische Zeichen. In Diaphysen von langen Röhrenknochen zeigt sich typischerweise folgender Ablauf:
- initial unauffällig
- Gray Cortex Sign: Die Mikrofrakturen führen zu einer kortikal erhöhten Strahlentransparenz.
- Verdickung der Kortikalis: Reaktive Knochenapposition und eine endostale Verdickung als Zeichen der Knochenneubildung im Frakturbereich
- strahlentransparente Frakturlinie
In Metaphysen der Röhrenknochen ist initial eher eine Unschärfe der Spongiosa und eine geringe Sklerose wahrnehmbar, gefolgt von einer sklerotischen Linie. Wenn die Fraktur bis zur Kortikalis reicht, finden sich auch periostale Reaktionen.
Magnetresonanztomographie
Eine frühzeitige Diagnose ist mittels Magnetresonanztomographie (MRT) möglich. Sie ist die sensitivste Untersuchungsmethode und ermöglicht die Abgrenzung von Differenzialdiagnosen (Tumore, Osteomyelitis):
- T1-Wichtung: niedriges Knochenmarksignal, ggf. sehr hypointense lineare Frakturlinie, hypointense periostale und endostale Knochenneubildung
- T2-Wichtung: hohes Knochenmarksignal (Knochenmarködem), umgebendes Weichteilödem
- Kontrastmittel-Enhancement
Weitere Diagnostik
- Skelettszintigraphie: erhöhte Aktivität im Bereich der Ermüdungsfraktur
- Computertomographie (CT): in unklaren Fällen zur Darstellung einer Frakturlinie
Therapie
Die Therapie von Ermüdungsfrakturen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Therapie anderer Frakturen. Sie ist in erster Linie abhängig von der Lokalisation und der Ausprägung der Fraktur. Erstmaßnahme ist die sofortige Entlastung und Ruhigstellung. Der betroffene Extremitätenabschnitt kann oft konservativ mit einer Orthese oder einem Gipsverband versorgt werden. Bei Frakturen der unteren Extremität ist eine zusätzlich Entlastung durch eine Unterarmgehstütze notwendig. Abrutschgefährdete Frakturen müssen operativ mittels Osteosynthese behandelt werden.
Begleitend sind Analgetika (NSAR) zur Schmerzbekäpfiung sinnvoll.