Osteoidosteom
Definition
Unter einem Osteoidosteom versteht man einen benignen, knochenbildenden Tumor, der von den Osteoblasten ausgeht und einen Durchmesser von bis zu zwei Zentimetern erreichen kann. Er tritt vor allem in der Kortikalis der langen Röhrenknochen auf.
Epidemiologie
Es handelt sich um eine häufige Erkrankung, wobei das Osteoidosteom etwa vier Prozent aller und 10 % der gutartigen Knochentumoren ausmacht. Männer sind doppelt so häufig betroffen. Die Erkrankung tritt vor allem zwischen dem 10. und dem 35. Lebensjahr auf.
Ätiopathogenese
Die genaue Ursache des Osteoidosteoms ist derzeit (2020) unklar. Das Osteoidosteom macht eine phasenhafte Entwicklung mit unterschiedlicher Aktivität durch:
- Frühphase bzw. Phase der Hohlraumbildung
- Füllungsphase: Füllung mit osteogenem Mesenchym und Ausdifferenzierung eines Osteoidgitters bei peripher fortschreitender Osteoklasie
- Spätphase mit Wachstumsstillstand und ggf. spontaner Ausheilung
Pathohistologie
Das Osteoidosteom ist charakterisiert durch einen zentralen Nidus, den eigentlichen Tumor. Er besteht aus Osteoid mit Übergängen in Knochen mit fibrillärer Matrix, die v.a. spongiös vorliegt. Die Knochenbälkchen sind mit aktiven Osteoblastensäumen besetzt, die von Osteoklasten unterbrochen werden. Dazwischen liegt lockeres Stroma mit vielen Kapillaren und sinusoidalen Blutgefäßen. Neben Stromazellen finden sich vereinzelt Lymphozyten und Plasmazellen. Das Niduszentrum neigt zur Sklerosierung, sodass häufig eine konzentrische Zonierung vorliegt:
- Tumorzentrum mit Osteoid und Faserknochen
- nach außen anschließender Ring von puzzleartigen Osteoidtrabekel mit aktiven Osteoblasten in gefäßreichem Stroma.
- peripher oft sehr stark ausgebildete reaktive Sklerose des ortständigen Knochens.
Klinik
Prädilektionsstellen des Osteoidosteoms sind die langen Röhrenknochen, insbesondere der unteren Extremität (Femur, Tibia). Etwas seltener werden Fuß- und Handskelett sowie die posterioren Anteile der Wirbelkörper befallen. Prinzipiell kann das Osteoidosteom aber in allen Skelettregionen auftreten.
Ungefähr 75 % der Patienten klagen über konstante Schmerzen, die nachts betont sind. Als typisch gilt die Rückbildung der Schmerzen unter NSAR (v.a. ASS). Ursächlich ist die Reizung von afferenten Nervenfasern im Nidus aufgrund des erhöhten Gefäßdrucks und des Ödems. Der erhöhte Gefäßdruck wird durch vom Nidus produzierte Prostaglandine mit konsekutiver Vasodilatation ausgelöst. Bei den wenigen Fällen ohne Schmerzen lässt sich eine Einkapselung des Nidus (z.B. bei subperiostaler Lage) feststellen.
Als Folge der schmerzbedingten Reduktion der körperlichen Aktivität finden sich Muskelatrophien. Bei Befall der Lendenwirbelsäule kann es aufgrund von paravertebralen Muskelspasmen zu einer reaktiven Skoliose kommen.
Diagnostik
Das Osteoidosteom wird i.d.R. durch bildgebende Verfahren diagnostiziert. Selten ist eine Biopsie mit histologischer Untersuchung notwendig.
Bildgebung
Ein Osteoidosteom zeigt in der Bildgebung charakteristischerweise eine Auftreibung der Kortikalis mit einer ca. 1-2 cm großen, runden Sklerose und einer kleinen Aufhellungszone (Nidus) im Zentrum. Wenn das vom Tumor produzierte Osteoid ossifiziert, findet sich im osteolytischen Nidus eine solide oder gesprenkelte Dichtezunahme, z.T. in Ringform. Dabei besteht die Verwechslungsgefahr zum Sequester bei Osteomyelitis. Die Ossifikation kann so dicht und gleichmäßig sein, dass der Nidus im konventionellen Röntgen nicht mehr abgrenzbar ist. Die Computertomographie (CT) eignet sich hervorragend zur Charakterisierung der Läsion bzw. zum Nachweis des Nidus und stellt daher die Methode der Wahl dar.
Weitere radiologische Verfahren können ebenfalls zur Anwendung kommen:
- Skelettszintigraphie: Nidus stellt sich innerhalb der Aktivitätsanreicherung der Sklerose als zusätzliche umschriebene starke Anreicherungszone dar (double density sign).
- Ultraschall: Nidus zeigt sich hypoechogen mit dorsaler Schallverstärkung sowie hypervaskularisiert in der Doppleruntersuchung.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Unspezifisch, daher zur Diagnose nur begrenzt geeignet. Der nicht verkalkte Nidus zeigt sich im MRT hypointens in T1-Wichtung und hyperintens in T2-Wichtung. Verkalkungen sind signalfrei. Die starke Hypervaskularisation führt in über 80 % d.F. zu einem starken, frühen Kontrastmittel-Enhancement. Der Nidus ist von einer reaktiven Sklerosezone umgeben und bei vollständiger Verkalkung von dieser nicht mehr zu unterscheiden. In der aktiven Phase findet sich in der MRT oft ein begleitendes Knochenmark- und auch ein geringes Weichteilödem, das auch Kontrastmittel aufnimmt.
Einteilung
Die Ausdehnung der Sklerose und das Ausmaß der Kalzifikation werden von der Lokalisation im Knochen bestimmt. Daher werden radiologisch vier Formen unterschieden:
Kortikaler Typ
Die kortikale Lage des Nidus (80-90 % d.F.) geht mit dem größten Ausmaß an Knochenneubildung um den Nidus einher, meist in ovaler oder spindelförmiger Konfiguration. Bei starker Ossifikation ist der Nidus in der Umgebungssklerose im konventionellen Röntgen nicht mehr identifizierbar. Dann muss eine Computertomographie oder Szintigraphie durchgeführt werden.
Medullärer Typ
Beim medullären bzw. spongiösen Typ liegt der Nidus in der Spongiosa, insbesondere im Hand- und Fußwurzelbereich. Es findet sich eine weniger ausgeprägte Sklerose. Der Nidus demarkiert sich oft selbst als sklerotisches Areal (Target-Form). Im Röntgenbild ist die große, rundliche Verkalkung zu sehen, umgeben von einem schmalen Aufhellungssaum von bis zu 2 cm Breite. In der MRT erscheint die zentrale Verkalkung signalfrei, umgeben von einem schmalen Saum (hypointens in T1-, hyperintens in T2-Wichtung). In der Umgebung finden sich ein ausgeprägtes Knochenmarködem und ggf. Zeichen einer reaktiven Synovialitis mit Erguss.
Subperiostaler Typ
Liegt der Nidus subperiostal, fehlt meist eine umgebende Sklerose. Der Tumor wächst in die umgebenden Weichteile und ist von einer dünnen Schicht verknöcherten Periosts umgeben. Diese Form findet sich v.a. im Schenkelhals sowie im Hand- und Fußskelett. Im Röntgen zeigt sich eine uhrglasartige Vorwölbung des verknöcherten Periosts.
Intraartikulärer Typ
Das intraartikuläre Osteoidosteom zeigt sich als eine relativ diskrete rundliche bis ovale Aufhellung und kann sich in den Gelenkspalt vorwölben. Der Sklerosesaum ist meist gering ausgeprägt. Häufig liegt eine begleitende Synovialitis ggf. mit Entkalkung der gelenknahen Knochenabschnitte vor. Die Osteopenie ist insbesondere im Hüftgelenk stark ausgeprägt. Im Ellenbogengelenk findet sich primär eine Sklerose mit Verknöcherung des Periosts. Bei Nähe zur Epiphysenfuge kann es zu Wachstumsstörungen kommen.
Differenzialdiagnosen
- Osteomyelitis mit Sequesterbildung (z.B. Brodie-Abszess): Allgemeinsymptome (z.B. Fieber), eher ungleichmäßige Umgebungssklerose. Abszess zeigt verminderte Aktivität in der Szintigraphie. Ausschluss auch durch MRT mit Kontrastmittel möglich.
- periostales Osteosarkom: eher inhomogene Knochenneubildung
- Ermüdungsfraktur: Sklerose dreieckförmig mit Basis zur Kompakta, Nachweis eines Bruchspalts im CT
- Osteoblastom: meist größer; häufiger in der Spongiosa und in Wirbelkörpern; geringere reaktive Sklerose; meist schmerzfrei; gleiche radiologische Eigenschaften.
- kortikales Desmoid
- Osteochondrom
- kleines Chondroblastom
- eosinophiles Granulom
Therapie
Einzelbeobachtungen von Ausheilungen eines Osteoidosteoms ohne chirurgische Intervention lassen sich durch eine Langzeittherapie mit NSAR erklären. Die Wirkstoffe beeinflussen das Ödem und die begleitende Entzündung, sodass es zu einer zunehmenden Sklerosierung des Nidus mit "Verödung" des aktiven Tumorgewebes kommt. Jedoch müssen die Nebenwirkungen einer langfristigen NSAR-Einnahme berücksichtigt werden.
Bei ausgeprägten Schmerzen wird das Osteoidosteom operativ entfernt. Weiterhin sind eine Ablation durch toxische Substanzen sowie eine Radiofrequenztherapie möglich. Da die Kürettage häufig zu Rezidiven führt, wird sie nicht mehr durchgeführt. Der Nidusnachweis ist für die Therapie entscheidend, da bei unvollständiger Nidusentfernung Rezidive auftreten.
Prognose
Eine Entartung tritt nicht auf; die Prognose ist gut.
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