Eisenvergiftung
Synonym: Eisenintoxikation
Englisch: iron poisoning, iron intoxication
Definition
Eine Eisenvergiftung ist eine akute oder chronische Vergiftung, die durch Aufnahme oder Gabe von Eisen in toxischer Dosierung entsteht. Ist der Eisenüberschuss auf eine Akkumulation durch wiederholte Bluttransfusionen zurückzuführen, spricht man von Hämosiderose.
Ursachen
Akute Eisenvergiftungen entstehen vor allem durch die orale Aufnahme von Eisenverbindungen:
- akzidentelle und suizidale Überdosierung eisenhaltiger Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel
- akzidentelle Vergiftungen mit eisenhaltigen Produkten (Düngemittel)
Chronische Vergiftungen (Siderose) werden verursacht durch
- iatrogene Medikationsfehler bei der Eisensubstitution
- fehlerhafte Selbstmedikation
- inhalative Aufnahme von Eisen(III)-oxid bei Schweißern
Intraokuläre Fremdkörper aus Eisen können darüber hinaus zu einer lokalen Intoxikation des Auges (Siderosis bulbi) führen.
Toxikologie
Betroffene Organsysteme
Von einer Schädigung durch Eisen können folgende Organsysteme des menschlichen Körpers betroffen sein:
- Augen
- Atemwege
- Hämostase
- Herz-Kreislauf-System
- Magen-Darm-Trakt
- Leber
- Nieren
- Stoffwechsel (Säure-Basen-Haushalt)
- zentrales und peripheres Nervensystem
Noxen
Metallisches, nichtionisiertes Eisen (Fe0) gilt als ungiftig. In pulverisierter Form kann es nach oraler Aufnahme durch die Salzsäure des Magens in Eisen(II)-chlorid (FeCl2) umgewandelt werden und wie Eisen(III)-chlorid (FeCl3) ätzend wirken. Verbindungen des zweiwertigen (Ferro-)Eisens (Fe2+) sind giftiger als die des dreiwertigen (Ferri-)Eisens (Fe3+), z.B. Eisen(III)-citrat.
Arzneimittel zur Behandlung eines Eisenmangels (Antianämika) können Eisenverbindungen beider Oxidationsstufen enthalten, z.B. Eisen(II)-glycinsulfat, Eisen(II)-fumarat, Eisen(II)-gluconat, Eisen(II)-sulfat oder Eisen(III)-maltol. Zur parenteralen Eisensubstitution werden ausschließlich dreiwertige Eisen-Komplexverbindungen eingesetzt, z.B. Eisen(III)-hydroxid-Dextran-Komplex, Eisen(III)-carboxymaltose, Eisen(III)-Natrium-D-gluconat-Komplex, Eisen(III)-hydroxid-Saccharose-Wasser-Komplex oder Eisen(III)-derisomaltose.
Entscheidend für die Bewertung der toxischen Dosis eines Wirkstoffs ist der Gehalt an Eisen pro Dosiseinheit.
Von den technisch genutzten Komplexverbindungen gilt Kaliumhexacyanoferrat(II) (K4[Fe(CN)6]) als wenig giftig, während aus Kaliumhexacyanoferrat(III) (K3[Fe(CN)6]) im Magen Cyanidionen (CN-) freigesetzt werden können.
Eisenhaltige Düngemittel in flüssiger und fester Form enthalten meist wasserlösliche Eisenchelate (Eisen(III)-Natrium-EDTA) oder Eisen(II)-sulfat in unterschiedlicher Konzentration. Es gibt auch organische eisenhaltige Dünger. Als Grünsalz wird Eisen(II)-sulfat-Heptahydrat (FeSO4 · 7 H2O) bezeichnet.[1]
Toxizität
Mit Vergiftungssymptomen muss gerechnet werden, wenn mehr als 20 mg Fe/kgKG oral aufgenommen werden. Mit einer mittelschweren Vergiftung ist ab 40 mg Fe/kgKG zu rechnen, mit einer schweren Vergiftung ab 60 mg Fe/kgKG.[2] Als akut letale Dosis gelten im Tierexperiment 150 bis 200 mg Fe/kgKG. Bei einem 21 Monate alten Kind endete eine Vergiftung mit 325 bis 650 mg Fe (entspr. 5 bis 10 Tabl. Eisen(II)-sulfat) tödlich.[3]
Als toxisch wird eine Konzentration im Plasma über 300 μg Fe/dL (54 μmol Fe/L) angesehen; bei schweren Vergiftungen werden 500 μg Fe/dL (89,5 μmol Fe/L), bei tödlichen Vergiftungen 1.000 μg Fe/dL (179 μmol Fe/L) überschritten.[2][4]
Wirkmechanismus
Der Mechanismus der Vergiftung ist bisher (2025) nicht genau geklärt. Neben der direkten ätzenden Wirkung im Magen-Darm-Trakt kommt es bei hohen Konzentrationen im Plasma zu zytotoxischen Effekten, die man auf die oxidative Wirkung des Eisens zurückführt. Beispiele sind die Lipidperoxidation sowie die Oxidation von Proteinen und Nukleinsäuren. Davon ist insbesondere das Leberparenchym in Form hepatozellulärer Nekrosen betroffen.
Eisen löst auch direkte kardiotoxische Wirkungen und negativ inotrope Effekte auf. Durch die Hemmung der plasmatischen Gerinnungsfaktoren wird zudem eine Koagulopathie verursacht. Im Plasma nicht gebundene Eisenionen reagieren mit Plasmawasser unter Freisetzung von Wasserstoffionen (Fe3+ + 3 H2O → Fe(OH)3 + 3 H+), sodass sich on top eine schwere metabolische Azidose manifestiert.[4]
Toxikokinetik
Eisen wird aus dem Magen-Darm-Trakt nur zu 5 bis 15 % aufgenommen. Nach Ingestion toxischer Dosen kommt es zur Verätzung der Mukosa. Die Resorption findet normalerweise im Duodenum und oberen Jejunum statt, wobei zweiwertiges Eisen (Fe2+) 10mal besser aufgenommen wird als Fe3+ wird, weil der divalente Metalltransporter 1 (DMT1) für Fe2+ spezifisch ist. Fe3+ kann im Magen-Darm-Trakt durch eine Eisenreduktase in Fe2+ umgewandelt werden. Aufgrund des pH-Werts des Chymus im oberen Dünndarm (pH 5 bis 7) bildet sich aber zunächst schwer lösliches Eisen (III)-hydroxid (Fe(OH)3).
Das von den Enterozyten aufgenommene Eisen (mukosales Ferritin) wird basolateral über das Transportprotein Ferroportin-1 ins Blut abgegeben und dort an an Transferrin gebunden. Bei einer Vergiftung kommt es durch die Sättigung der Transportkapazität (ca. 14 mg Fe) zur Zirkulation von freien Eisenionen im Blut. Maximale Eisenkonzentrationen werden bei einer Überdosierung erst nach 4 bis 6 h erreicht. Nur eine geringe Menge Eisen kann mit dem Urin (0,3 mg/d) und den Fäzes (0,5 mg/d) eliminiert werden. Das überschüssige Eisen wird vom retikuloendothelialen System aufgenommen.[4][5]
Symptome
Die Eisenvergiftung durchläuft typischerweise mehrere Phasen:[4]
- Initialphase: 30 min bis 6 h nach Ingestion
Die Verätzung des Magen-Darm-Trakts (bereits im Ösophagus beginnend) löst eine hämorrhagische Gastroenteritis aus, gekennzeichnet durch blutiges Erbrechen (Hämatemesis), Diarrhö und abdominelle Krämpfe. Bei schweren Vergiftungen kann es bereits in dieser Phase zum hypotensivem Schock, metabolischer Azidose, Hyperglykämie, Leukozytose, Koma und Krampfanfällen kommen.
- Remissionsphase: 4 bis 12 h nach Ingestion
Erholung bei leichten Vergiftungen, ansonsten nur vorübergehend mit latenter Hypoperfusion und einer beginnenden metabolischen Azidose.
- Phase der Organschädigung: 6 bis 72 h nach Ingestion
Leberversagen (Ikterus, Coma hepaticum nach 12 bis 92 h), Nierenversagen (Tubulusnekrose), kardiogener Schock (selten mit einer Latenz von mehreren Tagen), metabolische Azidose, Gerinnungsstörungen.
- Spätfolgen: 2 bis 4 Wochen nach Ingestion
Durch Narbenbildung mit Strikturen und Stenosen kommt es zur gastrointestinalen Obstruktion mit einer Gefährdung durch mechanischen Ileus.
Diagnostik
Anamnese
Es sollte genau erfragt werden, welches Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel in welcher Dosierung eingenommen wurde. Daraus kann ggf. die aufgenommene Eisen-Dosis pro kgKG berechnet werden. Auch nach eisenhaltigen Düngemitteln ist zu fragen.
Während einer Schwangerschaft der Mutter verordnete Eisenpräparate oder Nahrungsergänzungsmittel sind eine der häufigsten Ursachen für schwere Vergiftungen bei Kindern.
Labor
- Bestimmung von Eisen im Serum, Transferrinsättigung
- Blutzucker
- Serumelektrolyte
- Blutgasanalyse
- Leberfunktion, Nierenfunktion
Bildgebung
- Röntgen-Abdomenübersicht: Darstellung von Eisentabletten (Pharmakobezoare) im Gastrointestinaltrakt; eisenhaltige Tropfen und Vitamintabletten mit geringem Eisengehalt stellen sich nicht dar.
Therapie
Bei leichten Vergiftungen (20 - 40 mg Fe/kgKG) ohne Erbrechen kann die Gabe von Milch erfolgen. Dabei bilden sich schwer lösliche Eisenkomplexe, sodass die Aufnahme des Eisen aus dem Magen-Dam-Trakt gehemmt wird. Auch die Einnahme von Natriumhydrogencarbonat-Lösung (1- bis 2%ig) hemmt durch Neutralisation der Magensäure die Eisenaufnahme. Eine primäre Giftentfernung durch Verabreichung von Aktivkohle ist nicht sinnvoll, da Eisen von Aktivkohle nicht effektiv gebunden und eine evtl. notwendige endoskopische Maßnahme behindert wird.[2]
Eine Magenspülung mit Natriumhydrogencarbonat-Lösung 1- bis 2%ig innerhalb einer Stunde nach Ingestion ist in der Regel nicht ausreichend und bei Verätzungssymptomatik kontraindiziert.
Stellt sich in der Abdomenaufnahme kontrastgebendes Material dar und ist die Ingestionsdosis > 20 mg Fe/kgKG, sollte eine Darmspülung mit Polyethylenglykol-Lösung in einer Dosis von 1,5 L/h (Erwachsene) oder 25–40 mL/kgKG/h (Kinder) durchgeführt werden. Die Instillationsgeschwindigkeit muss dem klinischen Zustand des Patienten angepasst werden und sollte so lange durchgeführt werden, bis rektal nur noch reine wasserklare Spüllösung erscheint bzw. bis im Röntgenbild kein kontrastgebendes Material mehr nachweisbar ist.
Nach Ingestion großer Mengen retardierter Tabletten kann eine endoskopische Entfernung des Konglomerats erforderlich sein, im Extremfall sogar eine Laparotomie.[4]
Bei schweren Vergiftungen (> 500 μg Fe/dL) wird zusätzlich Deferoxamin intravenös als Antidot mit einer Infusionsgeschwindigkeit von bis zu 15 mg/kgKG/h (maximale Gesamtdosis 80 mg/kgKG/24 h) verabreicht.[4][6]
Aufgrund seiner pharmakokinetischen Eigenschaften ist eine sekundäre Giftentfernung von Eisen durch Hämodialyse nicht effektiv, kann aber bei Nierenversagen im Verlauf der Vergiftung erforderlich werden, um auch den Deferoxamin-Eisen-Komplex effektiv zu entfernen.[3]
Bei vitaler Bedrohung ist bei Kindern eine Blutaustauschtransfusion zu erwägen.[3] Durch Austauschtransfusion kann 30-mal mehr Eisen aus dem Gewebe mobilisiert werden als durch Deferoxamin.[2]
Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Quellen
- ↑ Gloxhuber C. Toxikologie. 5. Aufl., Stuttgart, New York : Georg Thieme 1994
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 Mühlendahl K.E. von et al. Vergiftungen im Kindesalter. 4. Aufl., Stuttgart, New York : Georg Thieme 2003
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Olson KR et al. Poisoning and Drug Overdose. 8th Ed., McGraw-Hill Education 2022
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 Zilker T. Klinische Toxikologie. 2. Aufl., Bremen, London, Boston : Uni-Med 2023
- ↑ Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen: Pharmakologie - Klinische Pharmakologie - Toxikologie. 11, Aufl., Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2020
- ↑ F. Eyer, C. Rabe in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für klinische Toxikologie (GfKT). Antidotarium. Rote Liste, abgerufen am 13.04.2025
Podcast

Bildquelle
- Bildquelle Podcast: © Midjourney