Kounis-Syndrom
Synonyme: Angina allergica, allergisches Angina-Syndrom, allergische Angina pectoris, allergischer Myokardinfarkt
Englisch: Kounis syndrome
Definition
Das Kounis-Syndrom ist eine Form der Angina pectoris bzw. des Herzinfarktes, die auf eine Allergie, Anaphylaxie oder allgemein eine Hypersensitivitätsreaktion zurückzuführen ist. Es kann sich in Form eines Vasospasmus der Koronararterien, als typischer Herzinfarkt aufgrund einer Plaqueruptur oder als Stentthrombose manifestieren.
Epidemiologie
Das Kounis-Syndrom kann unabhängig von Alter und Herkunft auftreten. Obwohl es in der Literatur bisweilen noch als seltene Erkrankung beschrieben wird, muss man davon ausgehen, dass das Kounis-Syndrom signifikant unterdiagnostiziert ist und die tatsächliche Prävalenz deutlich höher liegt. Grund dafür ist u.a. das geringe Bewusstsein der Ärzte für das Vorhandensein dieses Syndroms. Bislang wird die Inzidenz auf ca. 7,9– 9,6 pro 100.000 Einwohner pro Jahr geschätzt.
Ätiologie
Das Kounis-Syndrom kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden. Dazu gehören z.B.:
- allergische Reaktionen gegen verschiedene Lebensmittel (z.B. Fisch, Obst, Gemüse, Konserven)
- Medikamente (z.B. Losartan, Glukokortikoide, Antibiotika)
- Umwelteinflüsse (z.B. Gräser, Metalle, Latex)
- weitere Ursachen (z.B. Asthma bronchiale, Mastozytose, Koronarstents)
Pathophysiologie
Zentraler Pathomechanismus des Kounis-Syndroms ist die Freisetzung von Mediatoren durch aktivierte Mastzellen. Dazu gehören: biogene Amine (v.a. Histamin), Proteasen, Zytokine, Produkte des Arachidonsäurestoffwechsels wie Leukotriene, Thromboxan, Prostacyclin, sowie Platelet Activating Factor (PAF) und der Tumornekrosefaktor (TNF). All diese Entzündungsmediatoren aktivieren und verstärken sich gegenseitig über multidirektionale Signale im Sinne eines Circulus vitiosus.
Histamin hat eine Reihe von Wirkungen, die eine koronare Ischämie hervorrufen können. Es kann u.a. eine Vasokonstriktion induzieren, Thrombozyten aktivieren und die Ausschüttung von Tissue Factor anstoßen. Proteasen, wie z.B. Tryptasen können eine Instabilität der Plaques bewirken. Andere Substanzen, wie z.B. Chymasen und Cathepsin D, bewirken die Umwandlung von Angiotensin I in Angiotensin II, das ebenfalls eine stark vasokonstriktive Wirkung hat. Thromboxan wirkt thrombozytenaktivierend und vasokonstriktiv.
Die Wirkung der Mediatioren manifestiert sich primär am Herzen, insbesondere an den Koronararterien. Es existieren jedoch auch Kounis-ähnliche Syndrome, welche die Hirn- oder Mesenterialarterien betreffen.
Einteilung
Anhand der Befunde in der Koronarangiographie und der möglichen Ätiopathogenese unterscheidet man drei Formen:
- Typ I: Unauffälliges koronares Gefäßsystem. Kommt sowohl bei Erwachsenen ohne relevante kardiovaskuläre Risikofaktoren, als auch bei Kindern und Jugendlichen vor. Als Ursache wird von einer endothelialen Dysfunktion ausgegangen. Dieser Typ führt einerseits zum Koronarspasmus mit oder ohne Anstieg der Herzenzyme und Troponine, und kann in einen typischen Herzinfarkt mit Anstieg der entsprechenden Parameter übergehen.
- Typ II: In der Koronarangiographie können zumindest atherosklerotische Wandveränderungen nachgewiesen werden. Typischerweise bei Vorliegen von kardiovaskulären Risikofaktoren. Durch Ausschüttung vasoaktiver und plättchenaktivierender Botenstoffe kommt es zu Koronarspasmen mit oder ohne Einreißen von Plaques. An den Wandverletzungen bilden sich Thromben, die in der Folge die Koronararterie verschließen und so einen Herzinfarkt auslösen.
- Typ III: Allergisch getriggerte Reaktionen gegen Komponenten bei medikamentenfreisetzenden Stents oder Nickelallergie mit konsekutiver Stentthrombose.
Symptome
Beim Kounis-Syndrom vereinen sich die Symptome einer allergischen Reaktion mit denen eines akuten Koronarsyndroms:
- Anaphylaxie: mit Hautrötung, Hautausschlag, Schwellung der Zunge und des Gesichts, Schwitzen, Durchfall, Kopfschmerzen und in schweren Fällen ggf. Bronchospasmus und Schock
- Angioödem
- Urtikaria
- Hypotonie, Tachykardie
- Übelkeit, Erbrechen
- Brustschmerzen oder Angina pectoris, ggf. mit Ausstrahlung
- Dyspnoe
Diagnostik
Bei überlappenden Hinweisen auf eine systemische allergische Reaktion in Kombination mit einer akuten Myokardischämie sollte stets an das Kounis-Syndrom gedacht werden.
Labor
Messung von Tryptase, Histamin, Herzenzymen und Troponin: Hier zeigen sich häufig erhöhte Werte der Creatinkinase (v.a. CK-MB), eine signifikante Erhöhung der kardialen Troponine (v.a. Troponin I) sowie eine Eosinophilie.
Elektrokardiogramm
Im EKG fallen ST-Streckenhebungen oder -senkungen, eine Sinustachykardie oder eine -bradykardie sowie Vorhofflimmern, Blockbilder oder Herzrhythmusstörungen auf.
Bildgebung
In der Echokardiographie lassen sich ggf. Herzwandanomalien detektieren. In der Koronarangiographie kann man Koronarspasmen bzw. eine Thrombose nachweisen.
In den letzten Jahren haben weiterhin die kardiale Magnetresonanztomographie (MRT) und die Myokardszintigraphie dazu beigetragen, die Diagnose eines Kounis-Syndroms zu stellen.
Therapie
Die möglichst zeitgleiche Behandlung von Allergie und akutem Koronarsyndrom (ACS) kann herausfordernd sein. Grund dafür ist u.a. die Problematik, dass sich die jeweiligen spezifischen Therapien für die beiden Krankheitsbilder untereinander negativ beeinflussen.
...bei Typ I
Beim Kounis-Syndrom Typ I steht die Behandlung der allergischen Symptomatik im Vordergrund. Es kommen sowohl intravenöse Kortikosteroide (z.B. Hydrocortison), sowie die langsame Verabreichung von H1- (z.B. Diphenhydramin) und H2-Rezeptorantagonisten (z.B. Ranitidin) zum Einsatz.
Zur positiven Beeinflussung des Vasospamus werden zudem vasodilatatorisch wirksame Substanzen wie Calciumkanalblocker und Nitrate (Vorsicht bei Hypotonie) verwendet.
...bei Typ II
Bei der Behandlung vom Kounis-Syndrom Typ II ist die Behandlung des akuten Koronarereignisses zusammen mit der Gabe von Kortikosteroiden und Antihistaminika wichtig. Zusätzlich können Nitrate und Calciumkanalblocker verabreicht werden.
Auf Beta-Blocker sollte in der Therapie, wenn möglich, eher verzichtet werden. Auch die Indikation von Adrenalin zur Therapie der Anaphylaxie wird zurückhaltend gestellt, da es sowohl die Ischämie als auch den Vasospasmus verstärken kann. Wenn die Gabe jedoch unausweichlich ist, sollte auf sulfitfreies Adrenalin i.m. zurückgegriffen werden. Bei Nichtansprechen von Adrenalin besteht die Möglichkeit, das Alpha-1-Sympathomimetikum Methoxamin zu verabreichen.
Morphin kann ebenfalls allergische Reaktion verschlimmern. Zur Analgesie werden daher alternative Präparate (z.B. Fentanyl) präferiert.
...bei Typ III
Beim Kounis-Syndrom Typ III steht die Therapie des akuten Myokardinfarkts im Vordergrund. Mittels Koronarangiographie sollte eine Aspiration des sich im Stent befindenden Thrombus erfolgen. Anschließend wird das Material histologisch aufgearbeitet. Reagiert ein Patient in Zusammenhang mit einer Stentimplation mit allergischen Symptomen, ist die Gabe von Antihistaminika und Kortikosteroiden indiziert. Weiterhin werden mittels Prick-Test mögliche Unverträglichkeiten auf Bestandteile des Stents getestet. Als Ultima ratio kommt die Extraktion des Stents in Frage.
Vor der Verwendung von beschichteten Stents wird deshalb eine Epikutantestung auf die entsprechenden Bestandteile empfohlen.
Literatur
- Kounis NG: Kounis syndrome: an update on epidemiology, pathogenesis, diagnosis and therapeutic Management, Clin Chem Lab Med 2016; 54(10): 1545–1559 (frei zugänglich)
Weblinks
- Soriano M et al. Amiodarone triggered Kounis syndrome complicated by refractory cardiac arrest rescued with VA- ECMO. Clin Case Rep. 2024 - Fallbericht