Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung
Synonyme: ARPKD, infantile polyzystische Nierenerkrankung,
Englisch: autosomal recessive polycystic kidney disease
Definition
Die autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung, kurz ARPKD, gehört zu einer Gruppe von angeborenen hepatorenalen fibrozystischen Syndromen mit signifikant verkürzter Lebenserwartung.
- ICD10-Code: Q61.1
Nomenklatur
Nach der früher gängigen, deskriptiven Potter-Klassifikation von zystischen Nierenerkrankungen, wird die ARPKD als Potter Typ I bezeichnet.
Epidemiologie
Die ARPKD ist eine seltene Krankheit: Die Prävalenz bei Geburt beträgt ungefähr 1:20.000–40.000, in der Allgemeinbevölkerung 1:85.000. Es besteht keine Geschlechtspräferenz. Die Allelfrequenz wird auf 1:70 geschätzt.
Ursachen
Die ARPKD wird autosomal-rezessiv vererbt. In fast allen Fällen liegt eine Mutation im Gen PKHD1 (polycystic kidney and hepatic disease gene 1) vor. Das Gen liegt in der Chromosomenregion 6p21.1-p12 und kodiert für das ziliäre Protein Fibrocystin, auch Polyductin genannt. Dieses Transmembranprotein ist wichtig für die Bildung der Nierentubuli und die Aufrechterhaltung der Lumenarchitektur der renalen Sammelrohre.
Pathophysiologie
Die zelluläre Pathophysiologie ist bisher unzureichend verstanden. Eine Fehlfunktion der Zilien spielt jedoch eine entscheidende Rolle, sodass die ARPKD auch den Ziliopathien zugeordnet wird. Entsprechend ist sie nicht als reine Nierenerkrankung, vielmehr als Systemerkrankung anzusehen.
Symptome
Die ARPKD zeigt eine ausgeprägte phänotypische Heterogenität. Außerdem unterscheiden sich die Hauptsymptome je nach Manifestationsalter. Generell ist die Lebenserwartung aber stark verkürzt.
Bei Beginn im Neugeborenenalter zeigt sich eine ARPKD meist durch eine respiratorische Insuffizienz und die deutlich tastbare Vergrößerung beider Nieren. In 50% der Fällen kommt es in den ersten 10 Jahren zur terminalen Niereninsuffizienz, meist mit letalem Ausgang. Seltener manifestiert sich die Erkrankung erst in der Kindheit. Dann sind v.a. die renalen und hepatischen Symptome vorherrschend. Die Überlebenswahrscheinlichkeit variiert stark und hängt ab vom Ausmaß der Niereninsuffizienz, welche jedoch meist erst ab dem 15. Lebensjahr beginnt. Außerdem entscheidet eine sich entwickelnde portale Hypertension über die Prognose.
Renale Symptome
Eine ARPKD kann sich über Bauchschmerzen und den beidseitig tastbaren Tumor bei Nephromegalie zeigen. Eine Tubulusfunktionsstörung führt zur Entwicklung von relativ gleichmäßig kleinen Zysten und zu Symptomen wie Polyurie, Polydipsie und Zeichen einer Dehydratation. Komplikationen sind rezidivierende Harnwegsinfekte, Hämaturie und Proteinurie sowie in der Folge eine chronische Nierenerkrankung und arterielle Hypertonie.
Hepatobiliäre Symptome
Zunächst haben Patienten mit ARPKD meist keine hepatobiliären Symptome, jedoch zeigt sich obligat histopathologische Veränderungen: Aufgrund einer primären Fehlbildung der Duktalplatte kommt es zur biliären Dysgenesie mit assoziierter periportaler Leberfibrose. Desweiteren findet man eine Dilatation der intrahepatischen Gallengängen, das sogenannte Caroli-Syndrom. In der Folge steigt das Risiko für rezidivierende Cholangitiden, Cholestase mit Malabsorption fettlöslicher Vitamine und das Auftreten von Gallensteinen. Im Verlauf entsteht eine Leberzirrhose und eine portale Hypertension mit entsprechenden Komplikationen (z.B. portokavale Anastomosen, Splenomegalie mit Hypersplenismus, exsudative Enteropathie).
Pulmonale Symptome
Bereits während der Schwangerschaft kann sich ein Oligohydramnion entwickeln. Eine Folge ist eine hypoplastische Entwicklung der Lunge mit erhöhtem Risiko für pulmonale Infekte und eine respiratorische Insuffizienz. Infolge der massiv vergrößerten Niere mit Zwerchfellhochstand entsteht zusätzlich eine restriktive Ventilationsstörung.
Weitere Symptome
Aufgrund des bereits erwähnten Oligohydramnion kann es auch zur sogenannten Potter-Sequenz (renofaziale Dysplasie) kommen, die sich unter anderem mit Fehlbildungen des Gesichts bemerkbar macht. Weiterhin sind Entwicklungsstörungen die Folge der mangelnden Nahrungsaufnahme durch den raumfordernden Effekt der Nieren, der Cholestase und der exsudativen Enteropathie.
Prognose
Ungefähr 25% der betroffenen Säuglinge sterben in der Neugeborenenperiode oder innerhalb des ersten Lebensjahres v.a. aufgrund einer respiratorischen Insuffizienz. Nach dem ersten Lebensjahr beträgt die weitere 1-Jahresüberlebensrate ca. 85% und die 10-Jahresüberlebensrate 82%, meist jedoch nur unter Dialyse oder Nierentransplantation. 10% der Patienten, welche die Neonatalperiode überstehen, benötigen später eine Lebertransplantation. Im Allgemeinen gilt: Je früher die Symptome beginnen, desto schlechter ist die Prognose.
Diagnose
Bei klinischem Verdacht, insbesondere wenn sich aus der Familienanamnese Hinweise auf eine autosomal-rezessive Vererbung ergeben, ist die Sonographie die diagnostische Methode der Wahl. Bereits pränatal finden sich hyperechogene, vergrößerte Nieren sowie in einigen Fällen ein Oligohydramnion. In der postnatalen Sonographie erkennt man vergrößerte Nieren mit diffuser Hyperechogenität und zum Teil mit echoleeren (flüssigkeitsgefüllten), gleichmäßig kleinen Zysten. Bei der Sonographie der Leber sieht man eine Ektasie der Gallengänge, eine heterogene Gewebsstruktur und zum Teil Zeichen einer portalen Hypertension.
Zusätzlich kann man mittels MRCP die Ektasie der Gallengänge gut darstellen. Außerdem ist ein Monitoring der Nierenfunktion notwendig. Dies schließt die Blutdruckmessung, Urindiagnostik, Blutbildbestimmung sowie Messung der Kreatinin-Clearance ein. Nach Diagnosestellung ist eine genetische Beratung obligat. Mögliche, jedoch meist nicht notwendige Untersuchungen sind:
- CT: Stark vergrößerte, scharf begrenzte Nieren mit hypodensem Parenchym
- Ausscheidungsurographie: Nach intravenöser Injektion von Kontrastmittel verbleibt dieses länger als normal in den radiär angeordneten, zystisch erweiterten Sammelrohren
- Nierenbiopsie: Radiär angeordnete, zystisch erweiterte Sammelrohre
- Leberbiopsie: Biliäre Dysgenesie mit erweiterten Gallengängen und periportaler Fibrose
Differenzialdiagnosen
Es gibt mehrere Erkrankungen, die sich ebenfalls mit Nierenzysten manifestieren. Die wohl wichtigste Differenzialdiagnose ist die autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD). Sie zeigt sich, im Gegensatz zur ARPKD, mit meist größeren Zysten, die auch in der Leber, in den Bläschendrüsen und im Pankreas auftreten können. Außerdem haben die Patienten ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von intrakraniellen Aneurysmen und thorakalen Aortenaneurysmen sowie für einen Mitralklappenprolaps. Nur selten kommt es zur kongenitalen hepatischen Leberfibrose und meist manifestiert sich die Erkrankung erst im Erwachsenenalter.
Eine weitere - wenn auch seltene Differenzialdiagnose - ist die Glomerulozystische Nierenerkrankung (GCKD), die sonographisch nur schwer zu unterscheiden ist. Wenn die GCKD im Rahmen von genetischen Syndromen auftritt, z.B. Trisomie 13 oder tuberöse Sklerose, fällt die Abgrenzung einfacher.
Wenn neben Nierenzysten auch Genitaltraktanomalien oder ein Diabetes mellitus auftritt, sollte man an das Nierenzysten und Diabetes-Syndrom (RCAD, MODY5) denken. Wenn nur eine Niere beteiligt ist, kommt die multizystische Nierendysplasie (MCDK) als Differenzialdiagnose in Frage. Eine beidseitige Nierenbeteiligung ist nicht mit dem Leben vereinbar bzw. kommt es ohne Dialyse meist innerhalb weniger Wochen zum Tod. Die MCDK findet sich sowohl als spontan auftretende Erkrankung als auch im Rahmen von Syndromen (z.B. Joubert-Syndrom, MODY5, Trisomie 18, Williams-Beuren-Syndrom). Weitere Differenzialdiagnosen sind:
Therapie
Eine kausale Therapie ist nicht möglich, sodass das Management der Symptome und Komplikationen entscheidend für die Lebenserwartung ist.
...der pulmonalen Symptome
Bei respiratorischer Insuffizienz ist eine mechanische Ventilationstherapie notwendig. Für Säuglinge bis zum 24. Lebensmonat ist zur Prävention von RSV-Infektionen der monoklonale Antikörper Palivizumab indiziert. Bei starker restriktiver Ventilationsstörung kann eine bilaterale Nephrektomie notwendig werden.
...der renalen Symptome
Zur Verhinderung von renalen Komplikationen sind regelmäßige Verlaufskontrollen per Sonographie und Bestimmung der Nierenparameter obligat. Eine arterielle Hypertonie sollte frühzeitig v.a. mit ACE-Hemmer therapiert werden. Außerdem müssen nephrotoxische Substanzen (z.B. NSAR, Aminoglykoside) vermieden werden. Bei terminaler Niereninsuffizienz schließt sich eine Dialyse und ggf. die Nierentransplantation an.
...der hepatobiliären Symptome
Das Management der hepatischen Manifestationen umfasst regelmäßige Verlaufskontrollen der Hepatosplenomegalie durch körperliche Untersuchung, Sonographie, Kontrolle der Thrombozytenzahl und Hämostase sowie das Vermeiden von hepatotoxischen Substanzen (z.B. Ethanol). Bei Malabsorption müssen Nährstoffe und fettlösliche Vitamine substitutiert werden. Entscheidend ist das frühzeitige Erkennen mit entsprechender Therapie einer aszendierenden Cholangitis; ggf. kommt eine Antibiotika-Prophylaxe in Frage. Zur Prävention von Gallensteinen kann Ursodesoxycholsäure verwendet werden. Zudem ist es wichtig, eine portale Hypertension frühzeitig zu erkennen und zu therapieren. Als Ultima ratio kommt bei einigen Patienten eine Lebertransplantation in Frage.
Literatur
- Orphanet: Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs, abgerufen am 21.06.2019
- National Health Service: autosomal recessive polycystic kidney disease, abgerufen am 21.06.2019
- Sweeney WE, Avner ED. Polycystic Kidney Disease, Autosomal Recessive. 2001 Jul 19 [Updated 2019 Feb 14]. In: Adam MP, Ardinger HH, Pagon RA, et al., editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993-2019
- Zerres K et al., Autosomal recessive polcycystic kidney disease in 115 children: clinical presentation, course and influence of gender. Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Nephrologie, Acta Paediatr. 1996; 85:437-445
- Suttorp N et al., Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016
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