Bardet-Biedl-Syndrom
nach dem französischen Allgemeinmediziner Georges Bardet (1885–1966) und dem ungarischen Pathologen Arthur Biedl (1869–1933)
Englisch: Bardet-Biedl syndrome
Definition
Das Bardet-Biedl-Syndrom, kurz BBS, ist eine Erbkrankheit aus der Gruppe der Ziliopathien. Das Syndrom ist klinisch und genetisch äußerst heterogen. Zu den wichtigsten Symptomen zählen Retinopathia pigmentosa, Adipositas, Polydaktylie und Fehlbildungen der Nieren.
Abgrenzung
Historisch wurde das Bardet-Biedl-Syndrom häufig mit dem Laurence-Moon-Syndrom assoziiert. Beide Erkrankungen sind durch eine ähnliche Symptomatik gekennzeichnet, werden jedoch heute meist als separate Entitäten betrachtet.
Epidemiologie
Das Bardet-Biedl-Syndrom ist eine seltene Erkrankung. Die Prävalenz liegt in Europa bei etwa 1 zu 160.000, ist jedoch in anderen Populationen deutlich höher (z.B. 1 zu 18.000 in Neufundland). Inzest fördert das Auftreten der Erbkrankheit.
Ätiologie
Auslöser für die Erkrankung sind Mutationen, die verschiedene Gene betreffen können. Sie kodieren für BBS-Proteine, die für die Funktion von Zilien essentiell sind. Einige der Proteine (BBS1, 2, 4, 5, 7, 8, 9, and 18) bilden einen Komplex, der BBSome genannt wird. Der Komplex reguliert den antero- und retrograden Vesikeltransport innerhalb des Ziliums. Die anderen Proteine assistieren als Chaperone oder Cofaktoren bei der Bildung des BBSomes.
Genetik
Die Vererbung erfolgt i.d.R. autosomal-rezessiv. Bislang (2023) wurden 22 verschiedene Gene mit dem Bardet-Biedl-Syndrom assoziiert:
- BBS1: Mutation betrifft BBS1 am Genlokus 11q13
- BBS2: Mutation betrifft BBS2 am Genlokus 16q13
- BBS3: Mutation betrifft ARL6 am Genlokus 3q11
- BBS4: Mutation betrifft BBS4 am Genlokus 15q22
- BBS5: Mutation betrifft BBS5 am Genlokus 2q31
- BBS6: Mutation betrifft MKKS am Genlokus 20p12
- BBS7: Mutation betrifft BBS7 am Genlokus 4q27
- BBS8: Mutation betrifft TTC8 am Genlokus 14q32
- BBS9: Mutation betrifft BBS9 am Genlokus 7p14
- BBS10: Mutation betrifft BBS10 am Genlokus 12q21
- BBS11: Mutation betrifft TRIM32 am Genlokus 9q33
- BBS12: Mutation betrifft BBS12 am Genlokus 4q27
- BBS13: Mutation betrifft MKS1 am Genlokus 17q23
- BBS14: Mutation betrifft CEP290 am Genlokus 12q21
- BBS15: Mutation betrifft WDPCP am Genlokus 2p15
- BBS16: Mutation betrifft SDCCAG8 am Genlokus 1q43
- BBS17: Mutation betrifft LZTFL1 am Genlokus 3p21
- BBS18: Mutation betrifft BBIP1 am Genlokus 10q25
- BBS19: Mutation betrifft IFT27 am Genlokus 22q12
- BBS20: Mutation betrifft IFT172 am Genlokus 9p21
- BBS21: Mutation betrifft CFAP418 am Genlokus 8q22
- BBS22: Mutation betrifft IFT74 am Genlokus 9p21
Symptome
Je nach betroffenem Gen kann es zu einer Vielzahl klinischer Symptome kommen, die sich von Patient zu Patient in ihrer Ausprägung und Kombination stark unterscheiden.
Okuläre Symptome
Eines der häufigsten Symptome (90 bis 100 % d.F.) ist eine fortschreitende retinale Dystrophie, die sowohl Zapfen als auch Stäbchen betrifft. Sie setzt in der Regel frühzeitig ein und äußert sich zu Beginn durch eine Nachtblindheit. Bei fast allen Patienten kommt es im 3. Lebensjahrzehnt zum vollständigen Sehverlust. Weiterhin können Myopie, Astigmatismus, Strabismus und Katarakte aufteten.
Adipositas
Adipositas ist ein weiteres Kardinalsymptom und manifestiert sich meist bereits im Kleinkindalter. Sie ist auf die Störung verschiedener neuroendokriner Signalwege zurückzuführen.
Fehlbildungen der Gliedmaßen
Eine postaxiale Polydaktylie tritt bei 63 bis 81 % der Fälle auf. Hierbei sind die Zehen häufiger betroffen als die Finger. Weitere radiologisch-erkennbare Fehlbildungen sind verkürzte Mittelhandknochen, Mittelfußknochen und Fingerknochen.
Gesichtsdysmorphien
- tief liegende Augen
- Hypertelorismus
- nach unten geneigte Lidspalte
- breite Stirn
- flacher Nasenrücken
- antevertierte Nasenlöcher
- langes Philtrum
- dünne Oberlippe
Weitere Symptome
Diagnose
Die Diagnose des Bardet-Biedl-Syndroms basiert auf den klinischen Merkmalen und dem molekulargenetischen Nachweis der Genmutation. Bildgebende Verfahren werden eingesetzt, um die verschiedenen Organfehlbildungen darzustellen.
Differentialdiagnosen
Therapie
Eine ursächliche Therapie existiert nicht. Die Behandlung erfolgt symptomatisch und erfordert eine multidisziplinäre Betreuung der Patienten. Zur Reduktion des Hungergefühls und Gewichtsabnahme kann Setmelanotid eingesetzt werden.
Quellen
- OMIM - BBS1, abgerufen am 21.06.2023
- Priya et al., Bardet-Biedl syndrome: Genetics, molecular pathophysiology, and disease management, Indian J Ophthalmol 2016