Tuberöse Sklerose
nach dem französischen Arzt Désiré-Magloire Bourneville (1840-1909) und dem englischen Dermatologen John James Pringle (1855-1922)
Synonyme: Bourneville-Pringle-Syndrom, Morbus Bourneville-Pringle, Bourneville-Brissaud-Pringle-Pellizzi-Syndrom, hypertrophische Hirnsklerose, Neurinomatosis centralis, Neurospongiosablastosis diffusa, Spongioblastosis circumscripta
Englisch: tuberous sclerosis, tuberous sclerosis complex, Bourneville-Pringle disease
Definition
Die tuberöse Sklerose ist eine zu den Phakomatosen zählende Erkrankung, die durch die Entwicklung multipler benigner Tumoren ektodermalen Ursprungs gekennzeichnet ist.
- ICD10-Code: Q85.1
Epidemiologie
Die Inzidenz der tuberösen Sklerose beträgt ca. 1:6.000 bis 1:15.000.
Ätiologie
Die tuberöse Sklerose tritt in 50 bis 86 % der Fälle durch spontane Neumutationen auf. In den restlichen Fällen liegt ein autosomal-dominanter Erbgang vor. In ca. 80 % der Fälle finden sich Mutationen im:
- TSC1-Gen (Genlokus 9q34.13): kodiert für das Protein Hamartin
- TSC2-Gen (Genlokus 16p13.3: kodiert für das Protein Tuberin.
Die von TCS1- und TSC2-kodierten Proteine gehören zu einem TSC-Proteinkomplex, der ein kritischer negativer Regulator des mTOR-Komplexes 1 ist. Er ist für die Regelung des Zellwachstums und der Zellgröße essentiell.
Klinik
Die Symptome des Bourneville-Pringle-Syndroms treten üblicherweise bereits im Kleinkindesalter auf. Das Vollbild ist durch die sogenannte Vogt-Trias beschrieben, die jedoch nur bei ungefähr 30 % der Patienten vorliegt:
- Faziale Angiofibrome: oft irreführenderweise als Adenoma sebaceum bezeichnet; bei ca. 75 % der Patienten
- Epilepsie: v.a. Blitz-Nick-Salaam-Epilepsie bei periventrikulären Verkalkungen; in ca. 75 % der Fälle
- geistige Retardierung: in ca. 50 % der Fälle
ZNS
- Kortikale und subkortikale glioneuronale Hamartome (sog. "Tubera")
- Subependymale Hamartome: oft verkalkt
- Subependymale Riesenzellastrozytome (SGCA)
- Veränderungen der weißen Substanz: zystische und noduläre Veränderungen, radiale Bänder bzw. Migrationslinien
- Retinales Phakom
- Seltener: Kleinhirnatrophie, Infarkte durch Gefäßokklusionen, zerebrale Aneurysmen, Dysgenesie des Corpus callosum, Chiari-Malformationen, Mikrozephalie, Arachnoidalzysten, Chordome
Abdomen
- Renale Angiomyolipome
- Nierenzysten
- Nierenzellkarzinome, Renale Onkozytome
- Renale Lymphangiomyomatose
- Gastrointestinale Polypen
- Pankreatische neuroendokrine Tumore
- Hepatische Angiomyolipome
Thorax
- Pulmonale Lymphangioleiomyomatose
- Multifokale mikronoduläre Pneumozytenhyperplasie (MMPH)
- Kardiale Rhabdomyome
- Aneurysmen des Ductus thoracicus, der Aorta oder der Pulmonalarterien
- Fokale Fetteinlagerungen im Myokard
Muskuloskeletal
- Sklerotische Knochenläsionen
- Hyperostose der Tabula interna der Schädelkalotte
- Skoliose
- Knochenzysten
Haut
- Eschenlaubflecken: hypopigmentierte blattförmige Flecken am Körper (90 % der Patienten). Mittels Wood-Licht besser erkennbar
- Faziale Angiofibrome: in Akne-typischer Verteilung
- Fibröse Stirnplaques: ebenfalls Angiofibrome
- Konfetti-Hautläsionen: Bereiche mit punktierter Hypopigmentierung, typischerweise an den Extremitäten
- Chagrin-Flecken
- Periunguale Fibrome (Koenen-Tumoren)
Diagnostik
Der Verdacht auf eine tuberöse Sklerose ergibt sich nach sorgfältiger Anamnese und klinischer Untersuchung. In der bildgebenden Diagnostik finden sich insbesondere zerebrale Auffälligkeiten, renale Angiomyolipome und kardiale Rhabdomyome. In unklaren Fällen kann die Diagnose molekulargenetisch gesichert werden.
Diagnosekriterien
Der Nachweis einer pathogenen TSC1- oder TSC2-Mutation ist ausreichend für eine eindeutige Diagnosestellung. Bei 10 bis 25 % der Patienten kann jedoch durch konventionelle Gentests keine Mutation identifiziert werden. Besteht jedoch weiterhin der Verdacht, kommen klinische Kriterien zum Einsatz:
- Definitive tuberöse Sklerose: 2 Hauptmerkmale oder 1 Hauptmerkmal + ≥ 2 Nebenmerkmale
- Mögliche tuberöse Sklerose: 1 Hauptmerkmal oder ≥ 2 Nebenmerkmale
Hauptkriterien
- Angiofibrome (mindestens 3) oder fibröse Stirnplaques
- Nicht-traumatische unguale oder periunguale Fibrome (mindestens 2)
- Hypopigmentierte Makulae (mindestens 3 und mindestens 5 mm Durchmesser)
- Chagrin-Flecken
- Multiple retinale noduläre Hamartome
- Kortikale Dysplasien (incl. Tuber sowie radiäre Bänder)
- Subependymale Knötchen
- Subependymale Riesenzellastrozytom
- Lymphangioleiomyomatose
- Angiomyolipome (mindestens 2)
Die Kombination der Hauptmerkmale Lymphangioleiomyomatose und Angiomyolipome ohne weitere Merkmale erfüllt nicht die Kriterien für eine definitive Diagnose.
Nebenkriterien
- Zahnschmelzdefekte (mindestens 3)
- Intraorale Fibrome (mindestens 2)
- Nicht-renale Hamartome (incl. Rektumpolypen)
- Achromatischer Retinafleck
- Konfetti-Hautläsionen
- Multiple Nierenzysten
Therapie
Zur Zeit (2023) existiert keine kausale Therapie der tuberösen Sklerose. Die Behandlung ist rein symptomatisch (z.B. Antikonvulsiva, mTOR-Inhibitoren). Die Lebenserwartung der Patienten ist in schweren Fällen eingeschränkt. Die Haupttodesursachen sind:
- Status epilepticus
- Riesenzellastrozytome
- Niereninsuffizienz
- blutende Angiomyolipome
Zur topischen Behandlung fazialer Angiofibrome im Rahmen einer tuberösen Sklerose ist Sirolimus zugelassen.[1]
Quellen
- ↑ Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Hyftor, EMA. Abgerufen am 05.07.2023
Literatur
- Bourneville, DM. Sclérose tubéreuse des circonvolution cérébrales: Idiotie et épilepsie hemiplégique. Archives de neurologie, Paris, 1880, 1:81-9l.
- Bourneville DM. Brissaud E. Encéphalite ou sclérose tubéreuse des circonvolutions cérébrales. Archives de neurologie, Paris, 1881, 1: 390-412.
- Pringle JJ. A case of congenital adenoma sebaceum. British Journal of Dermatology, Oxford, 1890, 2: 1-14.
- Fritsch et al. Dermatologie Venerologie: Grundlagen. Klinik. Atlas. Springer-Verlag, 3. Auflage, 2018