Hypoadrenokortizismus (Hund)
Synonyme: Nebennierenrindeninsuffizienz, Morbus Addison
Englisch: hypoadrenocorticism, Addison's disease
Definition
Beim Hypoadrenokortizismus handelt es sich um eine Unterfunktion der Nebennierenrinde mit vollständigem oder partiellem Mangel an Mineralokortikoiden und/oder Glukokortikoiden beim Hund.
Das Gegenteil eines Hypoadrenokortizismus ist der Hyperadrenokortizismus (Morbus Cushing).
Vorkommen
Die Endokrinopathie tritt im Alter zwischen 2 Monaten und 14 Jahren auf. Am häufigsten betrifft sie jüngere bis mittelalte Tiere (zwischen 5 und 7 Jahre). Statistisch gesehen sind Hündinnen (70 %) häufiger betroffen als Rüden (30 %). Eine Rassedisposition kann bei Bearded Collie, Großpudel, Portugiesischen Wasserhunden und Nova Scotia Duck Tolling Retriever beobachtet werden. Bei diesen Rassen folgt die Erkrankung einem autosomal-rezessiven Erbgang.
Ätiopathogenese
Beim Hypoadrenokortizismus können drei Formen unterschieden werden:
Form | Pathogenese |
---|---|
Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz: |
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Sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz: |
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Iatrogene Nebennierenrindeninsuffizienz: |
Pathophysiologie
Glukokortikoide beeinflussen nahezu jedes Organ und Gewebe. Ein Fehlen dieser Hormone hat multisystemische Auswirkungen. Ein Mangel führt zu einer verminderten Glukoneogenese und Proteinsynthese bei erhöhter Lipolyse. Die klinischen Auswirkungen zeigen sich v.a. in Form von Schwäche, Stressintoleranz und gastrointestinalen Symptomen.
Mineralokortikoide beeinflussen den Elektrolythaushalt. Aldosteron als wichtigster Vertreter ist für die Natrium-, Chlor- und Wasserrückresorption sowie die Kaliumausscheidung in der Niere verantwortlich. Die Aldosteronsekretion wird hauptsächlich über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System sowie die Serumkaliumkonzentration reguliert. ACTH spielt eine untergeordnete Rolle. Ein absoluter Mangel an Aldosteron führt zu Natrium-, Chlor- und Wasserverlust sowie zu einer Hyperkaliämie. Infolgedessen kommt es zu Volumenmangel, Blutdruckabfall, Beeinträchtigung der Herzfunktion und zu einer verminderten Nierenperfusion.
Klinik
Symptome
Die klinischen Symptome sind unspezifisch und ähneln hauptsächlich denjenigen einer Nieren-, Magen-Darm- oder neuromuskulären Erkrankungen. Eine klinische Manifestation stellt sich erst ein, wenn ca. 85 bis 90 % der Nebennierenrinde zerstört ist.[1] Betroffene Tiere werden entweder aufgrund chronisch-progredienter Symptome oder wegen einer plötzlich eintretenden, schweren Erkrankung (Addison-Krise) vorstellig.
Bei einer akuten Nebennierenrindeninsuffizienz zeigen die Hunde Apathie, Anorexie, Schwäche, Kollapsneigung und Schocksymptome. Die Tiere sind dehydriert, hypoton, bradykard und weisen manchmal Hyperkaliämie-assoziierte Bradyarrhythmien auf, die zum Tod führen können.
Bei chronischen Nebennierenrindeninsuffizienzen kommt es zu intermittierender Anorexie, Erbrechen, Diarrhö, Gewichtsverlust, Apathie, Muskelschwäche, herabgesetzter Leistungsfähigkeit, Zittern, Polyurie und Polydipsie. Auch ein schmerzhaftes Abdomen, ein Megaösophagus (selten) sowie Melaena und Hämatochezie sind möglich. Stress kann dabei zu einer Exazerbation der Erkrankung führen.
Laborveränderungen
Bei hämatologischen und serologischen Untersuchungen fallen v.a. eine mittelgradige normochrome, normozytäre, nicht-regenerative Anämie, Eosinophilie und Lymphozytose auf. In einigen Fällen wird jedoch auch eine regenerative Anämie gesehen, die durch eine gastrointestinale Blutung bedingt ist. Typischerweise (aber nicht zwingend) liegen bei der primären Nebennierenrindeninsuffizienz eine Hyperkaliämie und Hyponatriämie vor. Die Elektrolytveränderungen können dabei gemeinsam oder auch einzeln auftreten.
Zusätzlich zeigen rund 30 % der erkrankten Hunde eine Azotämie, Hyperphosphatämie, Hyperkalzämie und eine geringgradige Hypoglykämie.
Diagnose
Die Verdachtsdiagnose wird mittels apparativer Diagnostik und Hormonbestimmungen bestätigt. Es sollte zudem eine Glukokortikoidtherapie in den vergangenen Wochen ausgeschlossen werden (sowohl systemisch als auch topisch), da diese nach Absetzen ebenfalls eine Nebenniereninsuffizienz verursachen kann.
Apparative Diagnostik
Im EKG können - abhängig von der Hyperkaliämie - deutliche Veränderungen festgestellt werden. Je nach Elektrolytveränderungen fällt eine hohe spitze T-Zacke, eine verminderte Amplitude und verlängerte Dauer des QRS-Komplexes, eine Abflachung und ein Verschwinden der P-Zacke sowie eine Verlängerung des PQ-Intervalls und eine Bradykardie auf.
Beim Abdomenultraschall lässt sich meistens eine deutlich reduzierte Breite der Nebennieren nachweisen.
Hormonbestimmungen
Durch die Bestimmung der ACTH-Konzentration im Blut wird eine Differenzierung zwischen einer primären und einer sekundären Nebennierenrindeninsuffizienz möglich. Ein hoher ACTH-Spiegel tritt bei einer primären Nebennierenrindeninsuffizienz auf. Ein niedriger ACTH-Spiegel hingegen spricht für eine sekundäre oder iatrogen bedingte Nebennierenrindeninsuffizienz.
Mithilfe des ACTH-Stimulationstests (Goldstandard) kann die Diagnose gesichert werden.[2] Die erste Blutentnahme dient der Bestimmung des Cortisol-Basalwerts. Anschließend wird synthetisches ACTH parenteral appliziert (i.m. oder i.v.) und eine Stunde später erneut Blut für die Bestimmung des Cortisolwerts entnommen. Bei einer Nebennierenrindeninsuffizienz ist die basale Serumcortisolkonzentration sehr niedrig (< 28 nmol/L bzw. 1 µg/dl). Nach der Applikation des synthetischen ACTH erfolgt beim Vorliegen einer Erkrankung kein oder nur ein sehr geringer Anstieg.
Zudem kann das endogene ACTH-Konzentration gemessen werden. Ist das endogene ACTH erhöht, spricht das für einen primären Hypoadrenokortizismus. Bei der sekundären oder tertiären (selten) Form ist ACTH erniedrigt.
Teilweise kann ein versteckter Mineralokortikoidmangel bestehen, bei dem keine Elektrolytveränderung auftritt. Um festzustellen, ob zusätzlich zum Glukokortikoidmangel auch ein Mineralokortikoidmangel besteht, kann die Plasma-Aldosteronkonzentration vor und nach Gabe von synthetischem ACTH bestimmt werden.
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch müssen folgende Erkrankungen erwogen werden:
- akute sowie chronische Niereninsuffizienz,
- chronische gastrointestinale Erkrankungen,
- Hepatopathien,
- Hypothyreose,
- hochgradiger Endoparasitenbefall (v.a. mit Trichuris vulpis),
- neuromuskuläre Erkrankungen,
- Herzerkrankungen,
- SIRS/Sepsis oder
- Spontanruptur großer Tumoren (z.B. Hämangiosarkom der Milz)
Therapie
Akuttherapie
Die Notfalltherapie einer akuten Addison-Krise besteht vor allem aus einer aggressiven Flüssigkeitssubstitution (1 bis 2 Stunden ca. 60 bis 80 ml/kgKG i.v. 0,9%ige NaCl, danach Steigerung auf 90 bis 150 ml/kg/24 Stunden). Bei einer gleichzeitig bestehenden akuten Hyperkaliämie wird durch die zusätzliche Gabe von Glukose ein Wechsel der Kaliumionen vom Extra- in den Intrazellulärraum (durch die Ausschüttung von Insulin) beschleunigt. Zusätzlich ist eine Therapie mit Glukokortikoiden notwendig. Die Behandlung kann initial mit Dexamethason begonnen werden.[2][3]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Erhaltungstherapie
Die Langzeittherapie beginnt nach Besserung der akuten Symptome. Die Therapie beinhaltet die Substitution von Mineralo- und Glukokortikoiden. Das Mittel der Wahl für eine Glukokortikoidsubstitution ist Prednisolon. IN der Regel liegt die Erhaltungsdosis zwischen 0,05 und 0,1 mg/kgKG. Die Einstellung erfolgt anhand der klinischen Symptome.
Für die Mineralokortikoidsubstitution eignet sich Desoxycorticosteronpivalat (DOCP) (1,5 mg/kgKG alle 25 bis 28 Tage i.m. oder s.c.). Nach der ersten Injektion des DOCP erfolgt eine Elektrolytkontrolle (insbesondere Kalium) nach 10 bis 14 Tagen. In der Humanmedizin wird zudem die Plasma-Renin-Aktivität (PRA) zum Monitoring genutzt. Sie ist jedoch in der Tiermedizin noch nicht verfügbar (2023).
Ebenfalls kann es hilfreich sein, regelmäßig den Blutdruck zu messen, da Mineralokortikoidexzesse z.B. beim Menschen zu einer Hypertension führen.
In der Humanmedizin wird Fludrocortison als Standardmedikament für die Mineralokortikoidsubstitution eingesetzt. Jedoch zeigt es bei Hunden eine höhere Glukokortikoid- als Mineralokortikoidwirkung und bewirkt dementsprechend keine erfolgreiche Mineralokortikoidsubstitution.
Literatur
- Hans G. Niemand (Begründer), Peter F. Suter, Barbara Kohn, Günter Schwarz (Herausgeber). Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Enke-Verlag, 2012.
- Heilmann et al., Atypischer Hypoadrenokortizismus (Morbus Addison) beim Hund, veterinär spiegel, 2019
Quellen
- ↑ Klein SC, Peterson ME, Canine hypoadrenocorticism: Part I, Can Vet J. 2010 Jan; 51(1): 63–69, abgerufen am 10.01.2020
- ↑ 2,0 2,1 Klein SC, Peterson ME, Canine hypoadrenocorticism: Part II Can Vet J. 2010 Feb; 51(2): 179–184, abgerufen am 10.01.2020
- ↑ CliniPharm CliniTox. Dexamethason CliniPharm Wirkstoffdaten, abgerufen am 08.01.2020
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