Morbus Wilson
nach Samuel Alexander Kinnier Wilson (1878-1937)
Synonyme: Degeneratio hepatolenticularis, Hepatolentikuläre Degeneration, Kupferspeicherkrankheit, Pseudosklerose Westphal
Englisch: Wilson's disease
Definition
Der Morbus Wilson ist eine erbliche Stoffwechselstörung, bei der es durch verminderte Ausscheidung zur Anhäufung und Ablagerung von Kupfer in verschiedenen Organsystemen kommt.
Epidemiologie
Die Häufigkeit des Gendefekts beträgt ca. 1:30.000, die Heterozygotenfrequenz wird auf 1:180 geschätzt. Die Krankheit manifestiert sich meist zwischen dem 5. und 45. Lebensjahr, Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen.
Genetik
Der für den Morbus Wilson ursächliche Gendefekt betrifft das Transportprotein ATP7B und ist auf dem Chromosom 13 lokalisiert. Der Vererbungsmodus ist autosomal-rezessiv. Die Art des Gendefektes variiert, es sind mehr als 300 verschiedene Mutationen des ATP7B-Gens beschrieben, wobei etwa 40 % auf die Missense-Mutation H1069G entfallen.[1] Häufig liegt eine Compound-Heterozygotie vor. Die Art der Mutation nimmt Einfluss auf die Verlaufsschwere.
Pathogenese
Durch die Mutation ist die biliäre Ausscheidung überschüssigen Kupfers über die Apikalmembran der Hepatozyten gestört. Dadurch reichert sich Kupfer vornehmlich in der Leber an. Die Hepatozyten werden dann durch oxidative Vorgänge, aber auch durch Interferenz von Cu2+ mit Metalloenzymen und SH-Gruppen geschädigt. Diese Schädigungen induzieren eine Entzündungsreaktion, die letztlich bis zur Leberzirrhose fortschreiten kann.
Bei hepatozellulärer Kupferüberladung kommt es zur Ausschwemmung von Kupfer in den Blutkreislauf. Da ATP7B nicht nur die Kupferausscheidung, sondern auch dessen Einbau in Coeruloplasmin katalysiert, kommt es rasch zur Überlastung dieses physiologischen Transportproteins. Kupfer wird dann vermehrt an Albumin gebunden. Diese Bindung ist jedoch deutlich schwächer als die an Coeruloplasmin, weshalb das überschüssige Kupfer leichter wieder abgegeben wird.
Kupfer akkumuliert dann auch in zahlreichen anderen Geweben, insbesondere in der Kornea, im ZNS (vornehmlich im Kleinhirn und in den Basalganglien), aber mitunter auch im Myokard und im proximalen Tubulusepithel der Nieren. Letzteres kann über eine gestörte Phosphatresorption und Hypercalciurie zur Schädigung des Skeletts führen, auch wenn Kupfer hier nicht direkt akkumuliert.[1]
Wird bei sehr hohen Kupferkonzentrationen die Proteinbindungskapazität überschritten, sind auch hämatotoxische Effekte wie z.B. eine hämolytische Anämie möglich.
Klinik
Die Symptomatik des Morbus Wilson ist variabel, die Krankheit manifestiert sich meist vor dem 20. Lebensjahr (im Mittel mit 11 Jahren).
Leber
Die Leber ist zunächst im Sinne einer nicht-alkoholischen Steatohepatitis (NASH) betroffen. Im weiteren Verlauf bildet sich eine Leberzirrhose aus. Das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom ist erhöht. Gelegentlich kann es auch zur fulminanten Hepatitis mit akutem Leberversagen kommen.
Nervensystem
Durch Kupferablagerungen im Bereich der Basalganglien können vielfältige neurologische Symptome auftreten. Teilweise ähneln sie denen eines Parkinson-Syndroms. Hierzu zählen Flapping Tremor (Frequenz 3-6 Hz), zerebellärer Tremor (Frequenz 3-6 Hz, Intentionstremor, v.a. bei zielgerichteten Bewegungen oder Zeigeataxie). Weitere Zeichen sind Dysarthrie, choreatische Hyperkinesen, Pyramidenbahnzeichen und Dysphagie. Auch psychische Störungen sind möglich.
Augen
An den Augen können pathognomonische Kayser-Fleischer-Kornealringe auftreten.
Nieren
Im Spätverlauf kommt es bei fast 50 % der Patienten zu einer Schädigung der Nieren. Hierbei sind ausschließlich die proximalen Tubuli betroffen, eine glomeruläre Ablagerung von Cu2+ wird nicht beobachtet (GFR normal)[1]. Es zeigen sich:
- Polyurie
- Aminoazidurie
- Glucosurie
- Hypercalciurie und Hyperphosphaturie; hierdurch Skelettschäden und Nierensteinbildung
Skelett
Eine Skelettbeteiligung bei Morbus Wilson findet sich im Spätverlauf bei ca. 50 % der Patienten. Dabei treten typischerweise Arthropathien wie beispielsweise eine Osteochondrosis dissecans oder eine Chondromalacia patellae auf.[1] Betroffen sind v.a.:
- Kniegelenk: insbesondere femoropatellares Kompartiment
- Handgelenke: insbesondere Metakarpophalangealgelenke und Radiokarpalgelenk
- Ellenbogengelenk
- Schultergelenk
- Hüftgelenk
Weiterhin können sich Knochenschäden im Sinne einer Osteopenie ausbilden, die Folge der renalen Calcium- und Phosphatverluste sind. Spontanfrakturen oder die Bildung gelenknaher Knochenzysten zählen ebenfalls zu den möglichen Folgen.
Weitere Manifestationen
Die schubweise Freisetzung von Kupfer in den Kreislauf im Rahmen von Zelluntergängen in der Leber führt bei einem Teil der Patienten zu rezidivierenden hämolytischen Anämien. Die Kupferablagerungen im Bereich der Lunula rufen häufig blau-bräunliche Anlagerungen hervor.
Seltener sind Schädigungen des Herzens (Kardiomyopathie) zu beobachten.
Diagnostik
Die Diagnostik umfasst:
- Bestimmung der Kupferausscheidung im Urin (erhöht)
- Bestimmung von Kupfer im Serum (s.u.)
- Bestimmung von Coeruloplasmin im Serum (erniedrigt)
- Bestimmung von Ferritin im Serum (erhöht, da ATP7B auch eine Ferrioxidase-Funktion innehat und so den Transfer von Eisen von Ferritin auf Transferrin ermöglicht)[1]
- Nachweis eines erhöhten Kupfergehaltes in der Leber durch Leberbiopsie
- ggf. Nachweis von Kayser-Fleischer-Kornealringen in der Spaltlampenuntersuchung
Die Konzentration von Kupfer im Serum kann bei Morbus Wilson bei erhaltener Leberfunktion normal oder sogar erniedrigt sein, da der Coeruloplasminspiegel erniedrigt ist und Kupfer im Serum normalerweise nur an Coeruloplasmin gebunden vorliegt. Ein Anstieg des freien, d.h. nicht an Coeruloplasmin gebundenen Kupfers weist auf eine zunehmend verminderte Leberfunktion bzw. ein Leberversagen hin. Der Kupferspiegel im Serum ist jedoch auch von der vorherigen Nahrungsaufnahme abhängig.
Zu beachten ist, dass Coeruloplasmin und Ferritin auch im Rahmen einer Akute-Phase-Reaktion erhöht sein können (Mitbestimmung des CRP).
Die Diagnosesicherung gelingt im Rahmen der molekularbiologischen Diagnostik durch Sequenzierung des ATP7B-Gens.
Arthropathie
Die Arthropathie bei Morbus Wilson ist im Röntgenbild durch folgende Zeichen gekennzeichnet:
- Osteopenie (50 %): z.T. mit pathologischen Frakturen
- Chondrokalzinose ist beschrieben
- Gelenkspaltverschmälerung
- subchondraler Knochen: irregulär, unscharf. Zusätzlich vom subchondralen Knochen ausgehende Wucherungen.
- fokale Bereiche mit Fragmentierung der Gelenkoberfläche: ggf. mit kortikalisierten Ossikeln. Ab einer gewissen Größe entsteht der Eindruck eines osteochondralen Defekts.
- subchondrale Zysten
- Periostitis am Trochanter oder inferioren Calcaneus
- Wirbelsäule: irreguläre Endplatten mit Schmorl-Knoten, ggf. mit anteriorer Verkeilung (ähnlich Morbus Scheuermann).
Anhand des radiologischen Erscheinungsbilds müssen folgende Differenzialdiagnosen erwogen werden:
- Arthrose: subchondrale Zysten und Gelenkspaltverschmälerung, aber selten Fragmentation. Osteophyten und keine subchondrale Wucherungen.
- CPPD und Hämochromatose: Chrondrokalzinose und ähnliche Gelenkverteilung, aber keine kleinen Ossikel und Wucherungen.
Therapie
Derzeit (2022) existiert für den Morbus Wilson noch keine kausale Therapiemöglichkeit. Die Behandlung umfasst daher zum einen die Vermeidung der Kupferaufnahme, zum anderen die Steigerung der Kupferausscheidung.
Eine kupferarme Diät soll die Kupferaufnahme reduzieren, ist jedoch nur schwer einzuhalten, da Kupfer in fast allen Lebensmitteln enthalten ist (v.a. Meeresfrüchten, Innereien und Kakao).
Zur Steigerung der Kupferausscheidung wird das Medikament D-Penicillamin eingesetzt, welches einen Komplex mit Kupfer bildet, der renal ausgeschieden wird (immer in Kombination mit Pyridoxin oder Prednison). Bei Unverträglichkeit kann alternativ Zink eingesetzt werden, welches die Kupferaufnahme im Darm reduziert.
Der Chelatkomplexbildner Trientin kann als alternative Therapie eingenommen werden.
Bei einer fortschreitenden Leberzirrhose sollte frühzeitig eine Lebertransplantation in Erwägung gezogen werden.
Bei früher Diagnose und adäquater Therapie weisen die meisten Patienten ohne größere Einschränkungen der Lebensqualität eine nahezu normale Lebenserwartung auf.
In klinischer Entwicklung befinden sich Gentherapien mit modifizierten Adenoviren, die den Gendefekt der Hepatozyten korrigieren, in dem sie die genetische Information für ein dem ATP7B vergleichbares Transportprotein in die Zellen einschleusen (VTX-801).
um diese Funktion zu nutzen.