Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel
von lateinisch: faba - Bohne
Synonyme: Favismus, G6PD-Mangel, G-6-PDH-Mangel
Englisch: Glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency, G6PD deficiency, favism
Definition
Der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel, kurz G6PD-Mangel, ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die durch einen Mangel des Enzyms Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase zur rezidivierenden hämolytischen Anämie führt.
- ICD-10-Code: D55.0
Hintergrund
Die alternative Namensgebung "Favismus" erklärt sich dadurch, dass die Krankheit erstmals im Zusammenhang mit dem Verzehr von Fava-Bohnen beobachtet wurde.
Epidemiologie
Der G6PD-Mangel kommt häufig in tropischen und subtropischen Ländern (Afrika, Südeuropa, mittlerer Osten, Südostasien und Ozeanien) vor. Vermutlich sind weltweit mindestens 400 Millionen Menschen Träger des mutierten Allels. Etwa 10 % der männlichen afroamerikanischen Bevölkerung sind betroffen. Die Prävalenz des G6PD-Mangels in Deutschland beträgt unter einem Prozent.
Die hohe Allelfrequenz von ungefähr 20 % in Malaria-Endemiegebieten erklärt sich durch den Selektionsvorteil, den heterozygote Anlageträger besitzen: Eine relative Resistenz gegenüber der sonst oft letal verlaufenden Infektion mit Plasmodium falciparum. Die Erreger können sich offenbar durch die Störung des Hexosemonophosphatwegs nicht ausreichend vermehren. Daher bleibt ein Ausbruch der Erkrankung aus. Der gleiche Effekt findet sich beispielsweise bei der Sichelzellanämie. Ironischerweise löst eine Malariatherapie mit Chloroquin bei vorliegendem G6PD-Mangel eine Hämolyse aus.
Genetik
Das G6PD-Gen hat eine Länge von ungefähr 18,5 kB und weist 13 Exons auf. Es befindet sich auf dem langen Arm des X-Chromosoms an Genlokus Xq28.
Ursache des G6PD-Mangels sind über 150 verschiedene Mutationen im G6PD-Gen. Dabei handelt es sich zum überwiegenden Teil um Missense- oder Nonsense-Mutationen. Die häufigen Varianten sind:
- Defektvariante A: Restaktivität der G6PD von 5 bis 15 % der Norm; kommt in der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA, in Westafrika und in Südeuropa vor
- Mediterrane Defektvariante: Restaktivität auf unter 1 % der Norm; insbesondere an den Küsten des Mittelmeeres, im mittleren Osten und in Indien
- G6PD Vianchan und G6PD Mahidol: In Südostasien
- G6PD Canton: In China
- G6PD Union: Weltweit
Der genetische Defekt wird X-chromosomal-rezessiv vererbt, entsprechend erkranken Männer und homozygot betroffene Frauen. Heterozygote Frauen besitzen sowohl betroffene als auch gesunde Klone von Erythrozyten und können gesund oder krank sein (genetisches Mosaik).
Pathophysiologie
Oxidative Stoffe bewirken im Körper unter anderem die Bildung von Wasserstoffperoxid. Unter Oxidation von Glutathion vermittelt die Glutathion-Peroxidase die Überführung von Wasserstoffperoxid in Wasser. Um oxidiertes Glutathion wieder in die antioxidativ wirksame, reduzierte Form umzuwandeln, benötigt das Enzym Glutathionreduktase das Coenzym NADPH.
NADPH wird in den Erythrozyten durch Glycolyse produziert. 90 bis 95 % der Glucose wird zur Herstellung von ATP verbraucht, die restlichen 5 bis 10 % zur Bildung von NADPH auf dem Hexosemonophosphatweg (Pentosephosphat-Zyklus). Dabei wandelt das Enzym Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase Glucose-6-phosphat und NADP+ zu 6-Phosphogluconolacton und NADPH um.
Da die Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase in Erythrozyten die einzige Quelle für NADPH darstellt, führt eine verminderte Enzymaktivität zu einem fehlenden Schutz der Erythrozyten gegenüber oxidativem Stress. Entsprechend können Peroxidasen ungehindert die Erythrozytenmembran und die SH-Gruppen von Proteinen angreifen.
Weiterhin benötigt die Methämoglobin-Reduktase NADPH zur Reduktion von Fe3+ zu Fe2+. Entsprechend kann ein G6PD-Mangel unter bestimmten Situationen zur Methämoglobinämie führen.
Klinik
Träger eines G6PD-Mangels sind meist asymptomatisch, besitzen jedoch ein erhöhtes Risiko für einen Neugeborenenikterus und für eine akute hämolytische Anämie, die durch bestimmte oxidative Substanzen ausgelöst wird.
Neugeborenenikterus
Der Neugeborenenikterus auf Grundlage eines G6PD-Mangels zeigt sich meist erst am zweiten oder dritten Lebenstag. Die häufig nur geringe Anämie kann jedoch im Rahmen von Infektionen, in Zusammenhang mit bestimmten Umweltfaktoren (z.B. Naphthalin) oder bei Koexistenz des Gilbert-Meulengracht-Syndroms schwere Formen annehmen. In diesen Fällen kann ein Kernikterus mit permanenten neurologischen Schäden entstehen.
Akute hämolytische Anämie
Eine akute hämolytische Anämie kann beim G6PD-Mangel durch verschiedene Situationen ausgelöst werden:
- Genuss von bestimmten Nahrungsmitteln: Saubohnen (Favabohnen), Erbsen, Johannisbeeren oder Lebensmittelfarbstoffen[1]
- Infektionen
- metabolische Azidose
- Einnahme von bestimmten Medikamenten:
- Malariamittel: Primaquin, Chloroquin
- Sulfonamide: Sulfamethoxazol, Sulfasalazin
- Antibiotika: Cotrimoxazol, Nitrofurantoin, Ciprofloxacin
- ASS (vor allem hochdosiert)
- nicht-saure Analgetika: Metamizol, Paracetamol
- Rasburicase
- Naphthalin, Anilinderivate
- Ascorbinsäure (> 1 g)
- Vitamin-K-Analoga
Im Schub können Fieber, Schüttelfrost, Rücken- und Bauchschmerzen, Schwäche und Schock auftreten. Um der Hämolyse entgegenzuwirken, werden in verstärktem Maß Retikulozyten in das Blut abgegeben, deren Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase bei hemizygoten und heterozygoten Personen mit der Defektvariante A noch Restaktivität zeigt, sodass die Krise überwunden werden kann. Bei Erkrankten mit der mediterranen Defektvariante dagegen ist der Mangel an funktionsfähigem Enzym in der Regel viel stärker ausgeprägt, sodass es unter Umständen zu einer Hämoglobinurie und einem akuten Nierenversagen kommt.
Diagnostik
Die Anämie ist meist normochrom und normozytär. Als Zeichen einer extravasalen Hämolyse sind LDH, Retikulozyten und indirektes Bilirubin erhöht. Aufgrund einer zumindest teilweisen intravasalen Hämolyse zeigt sich eine Hämoglobinurie und ein vermindertes Haptoglobin.
Im Blutausstrich finden sich Sphärozyten sowie eine Anisozytose und Polychromasie. Weiterhin tauchen in der Supravitalfärbung Heinz-Körper auf.
Die definitive Diagnose gelingt mit einer quantitativen Testung der Enzymaktivität oder durch eine molekulargenetische Untersuchung.
Klassifikation
Die WHO klassifiziert den G6PD-Mangel nach der relativen Enzymaktivität von G6PD in den Erythrozyten:
WHO | Relative Enzymaktivität (in % normal) | Klinik |
---|---|---|
1 | vermindert | chronische hämolytische Anämie |
2 | < 10 % | schwerer G6PD-Mangel |
3 | 10–60 % | mäßiger G6PD-Mangel |
4 | normale Aktivität (60–100 %) | kein G6PD-Mangel |
5 | gesteigerte Aktivität (> 110 %) | kein G6PD-Mangel |
Differenzialdiagnostik
Ein G6PD-Mangel ist insbesondere gegenüber Hämoglobinopathien, der hereditären Sphärozytose, autoimmunhämolytischen Anämien und der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie abzugrenzen.
Therapie
Eine kausale Therapie gibt es derzeit (2023) nicht. Die Behandlung besteht daher in der Vermeidung der oben genannten Auslöser. Die Lebenserwartung unterscheidet sich dann nicht von gesunden Menschen.
Zur Behandlung einer akuten hämolytischen Krise bei G6PD-Mangel wird in Einzelfällen Haptoglobin eingesetzt, wobei der therapeutische Effekt umstritten ist. Im Gegensatz zur hereditären Sphärozytose besteht kein Hinweis auf einen selektiven Zelluntergang in der Milz. Dennoch kann die Splenektomie in der Praxis bei schweren Verläufen vorteilhaft sein.
Quellen
- ↑ Vieille et al. Dietary restrictions for people with glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency Nutrition Reviews, 2019
Literatur
- Haptoglobin zur Behandlung der akuten hämolytischen Krise
- Suttorp N. et al., Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016
- Herold, G.: Innere Medizin 2019. Köln: Gerd Herold, 2018