Geruchssinn
Synonyme: Geruchssystem, Geruchsempfindung, Geruchswahrnehmung, Duftwahrnehmung, Riechwahrnehmung, Riechsinn, Riechen, olfaktorische Wahrnehmung
Englisch: sense of smell, scent
Definition
Der Geruchssinn oder die olfaktorische Wahrnehmung ist eine Form der Chemorezeption, die der Wahrnehmung von Geruchsstoffen dient.
Einteilung
Der neuronale Apparat des Geruchssinns, das Geruchssystem, wird topografisch eingeteilt in:
- Peripheres Geruchssystem
- Riechepithel in der Nasenhaupthöhle
- Nervus olfactorius mit den Fila olfactoria
- Zentrales Geruchssystem
Anatomie
Peripheres Geruchssystem
Die Riechschleimhaut befindet sich in einem kleinen Areal der Nasenschleimhaut über der Concha nasalis superior, in der davor gelegenen lateralen Nasenwand und dem gegenüberliegenden Abschnitt des Septum nasi.
Die Riechschleimhaut besteht aus:
- Riechepithel (Epithelium olfactorium): mehrreihiges Säulenepithel aus Basalzellen, Riechzellen und Stützzellen
- Lamina propria: Nervenfasern, Glandulae olfactoriae (Bowman-Drüsen)
Die tubuloazinösen, serösen Glandulae olfactoriae produzieren den Riechschleim, der das Riechepithel bedeckt. In dem Schleim werden Geruchsstoffe gelöst. Die Riechsinneszellen sind bipolare Neurone, deren Dendriten zur Epitheloberfläche ziehen. Das verdickte Ende (dendritischer Kolben) trägt 10 bis 30 unbewegliche Riechzilien. In ihrer Zellmembran befinden sich Rezeptorproteine, welche die Geruchsstoffe spezifisch binden.
Die Bindung von Geruchsstoffen an diese G-Protein-gekopptelten Rezeptoren führt zur Aktivierung eines stimulatorischen G-Proteins (Golf) mit Produktion von cAMP. Dieser second messenger führt zur Öffnung eines unspezifischen Kationenkanals und Einstrom von Natrium- und Calciumionen. Die Depolarisation breitet sich über den Dendriten zum Zellkörper und Axonhügel hin aus und aktiviert spannungsabhängige Natriumkanäle, die Aktionspotenziale erzeugen.
Die Axone der olfaktorischen Neurone bündeln sich in der Lamina propria zu den Fila olfactoria, die in ihrer Gesamtheit den Nervus olfactorius bilden. Spezielle Gliazellen (olfaktorische Hüllzellen) bilden eine äußere Hülle um die Fila. Beidseits gibt es etwa 20 Fila, welche die Lamina cribrosa des Os ethmoidale durchziehen und in den Bulbus olfactorius eintreten.
Zentrales Geruchssystem
Im Gegensatz zu den meisten anderen Sinnessystemen enden die Axone der olfaktorischen Neurone nicht im Thalamus, sondern in den Glomeruli olfactorii im Stratum granulosum des Bulbus olfactorius. Die Axone bilden Synapsen mit den Dendriten von Mitral- und Büschelzellen.
Die Axone der Mitral- und Büschelzellen bilden den Tractus olfactorius im Pedunculus olfactorius. Außerdem finden sich im Pedunculus (v.a. im Trigonum olfactorium) Gruppen von multipolaren Zellen, die als Nucleus olfactorius anterior zusammengefasst werden.
Der Tractus olfactorius setzt sich in der Stria olfactoria lateralis fort und projiziert zum Cortex piriformis, zum Gyrus olfactorius lateralis, zu den oberflächlichen Nuclei der Amygdala (Cortex periamygdaloideus) sowie zu der anteromedialen Area entorhinalis des Gyrus parahippocampalis und zu anterioren Bereichen der Insula. Fast alle Verbindungen des Bulbus mit dem Kortex sind reziprok. Über die Commissura anterior bestehen Verbindungen zur Gegenseite.
Sekundäre olfaktorische Areale befinden sich im Bereich des posterioren orbitofrontalen Kortex. Die weitere Verarbeitung olfaktorischer Informationen geschieht außerdem durch Verbindungen u.a. mit Area subcallosa, Gyrus cinguli, Hippocampus sowie Thalamus, Hypothalamus und Hirnstammregionen.
Physiologie
Bei vielen Tieren ist der Geruchssinn der wichtigste Sinn für das Überleben. Die Geruchssignale steuern Nahrungsaufnahme, Reproduktion und soziale Organisation. Mit fortschreitender Phylogenese übernehmen andere Sinne Leistungen des Geruchssinns, sodass dieser bei Menschen weniger stark entwickelt ist.
Aber auch der Mensch ist in der Lage, Geruchsspuren gezielt zu folgen. Ähnlich wie beim Hören kann der Geruchssinn bei der Aufnahme der Duftmoleküle in die zwei mittig getrennten Nasenhaupthöhlen zwei Richtungen vergleichen und auf diese Weise die ungefähre Position der Geruchsquelle bestimmen.
Die Intensität der Geruchswahrnehmung kann durch eine intensivierte, stossweise Nasenatmung, das Schnüffeln, gesteigert werden. Durch die dadurch hervorgerufene Verwirbelung der Atemluft (Turbulenzen) gelangen mehr Duftmoleküle in die Riechspalte.
Andere Riechformen sind das retrograde Riechen (auch: retronasales Riechen) und das gustatorische Riechen.
Empfindlichkeit
Substanzen, die vom Geruchssinn wahrgenommen werden können, bezeichnet man als geruchsaktiv. Die Wahrnehmungsempfindlichkeit ist dabei abhängig von der chemischen Struktur des jeweiligen Stoffs. Geruchsaktive Substanzen haben in der Regel eine molare Masse unter 300 g/mol.
Geruchsaktive Substanzen benötigen eine bestimmte Menge an Molekülen, um wahrgenommen zu werden. Diese Menge bezeichnet man als Geruchsschwelle. Sie liegt bei besonders geruchsaktiven Stoffen bei etwa 10–100 Millionen Molekülen, entsprechend 10-15 bis 10-14 mol. Man unterteilt die Geruchsschwelle weiter in eine Wahrnehmungsschwelle ("Absolutschwelle") und eine Erkennungsschwelle.
Die Wahrnehmungsschwelle ist erreicht, wenn man einen Duftstoff wahrnimmt, jedoch nicht spezifizieren kann ("Ich rieche etwas"). Ist die Erkennungsschwelle erreicht, kann der Duftstoff identifiziert werden ("Es riecht nach Vanille"). Dazu sind deutlich höhere Konzentrationen in der Luft erforderlich. Bei Methylmercaptan liegt die Erkennungsschwelle beispielsweise ca. 50fach höher als die Wahrnehmungsschwelle.
Embryologie
In der vierten Embryonalwoche bilden sich oberhalb der Mundbucht beidseits der Mittellinie Epithelverdickungen (Riechplakode), die sich zu Gruben einsenken. Aus den Zellen entstehen oflaktorische Neurone, deren Axone in der 6. Embryonalwoche den Nervus olfactorius bilden. Weitere Plakodenzellen wandern entlang des Nervens in Richtung der telencephalen Hirnanlage und bilden die äußeren Schichten des Bulbus olfactorius. In der 18. Woche sind alle Schichten des Bulbus erkennbar und der zentrale Vesikel obliteriert. Außerdem wandern Zellen in den Hypothalamus ein, die später Gonadotropin-Releasing-Hormon synthetisieren.
Für diese Entwicklung ist der Transkriptionsfaktor PAX6 wichtig. Heterozygote Mutationen führen neben Fehlbildungen des Auges meist zu Hypo- bzw. Anosmie.
Neuronale Stammzellen im Bereich der subventrikulären Zone des Seitenventrikels können zeitlebens in den Bulbus olfactorius einwandern und zu Interneuronen differenzieren.
Diagnostik
- Subjektive Methoden
- Riechflaschen
- Riechstifte (Sniffin' Sticks)
- Identifikations- und Diskriminationstest
- Objektivierende Methoden
- Objektive Methoden
- Definierter Riechreiz
- EEG-Ableitung
- Olfaktorisch evozierte Potentiale (OEPs)
- Elektroolfaktogramm
Klinik
Störungen des Geruchssinnes können isoliert oder als Begleiterscheinungen bei anderen neurologischen Erkrankungen (z.B. Morbus Parkinson) auftreten. Hier können sie als Frühsymptom deutlich vor anderen Krankheitserscheinungen auftreten. Einen herabgesetzten Geruchssinn bezeichnet man als Hyposmie, das völlige Fehlen des Geruchssinns als Anosmie.
Literatur
- Hummel T et al. Riechstörungen: Ursachen, Diagnose und Therapie. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: 146–54