Sarin
nach den Entdeckern und Entwicklern Schrader, Ambros, Ritter und von der Linde
Systematischer Name: Methylfluorphosphonsäureisopropylester
Definition
Sarin ist ein chemischer Kampfstoff aus der Gruppe der Organophosphate, der durch eine Hemmung der Acetylcholinesterase (AChE) bereits in geringen Konzentrationen zum Tod führt.
Eigenschaften
Sarin hat die Summenformel C4H10FO2P und ist bei Raumtemperatur eine stark flüchtige, farb- und geruchlose Flüssigkeit. Die Substanz ist ein Ester der Phosphorsäure. Der Schmelzpunkt von Sarin liegt bei -56 °C, der Siedepunkt bei 158 °C. Die Substanz ist gut löslich in allen organischen Lösungsmitteln wie Alkoholen, Chlorkohlenwasserstoffen, Aceton, Toluol und Benzol.
Die Hydrolyse in Wasser ist pH-abhängig:
- bei pH = 7 (neutral) beträgt die Halbwertszeit (HWZ) ca. 80 Stunden
- bei pH = 1 (sauer) beträgt die HWZ ca. 30 min
- bei pH = 11 (basisch beträgt die HWZ ca. 0,6 min
Geschichte
Die Substanz wurde 1938 für den Einsatz als Insektenvernichtungsmittel von einer Forschungsgruppe um den Chemiker Gerhard Schrader entdeckt. Aufgrund dessen gibt es eine hohe strukturelle Ähnlichkeit mit dem Pflanzenschutzmitteln Parathion (E605) und Malathion einerseits und den Kampfstoffen Tabun, Soman und VX-Gas andererseits.
Im Juli 1944 wurden 30 Tonnen Sarin in deutschen Testfabriken hergestellt, die jedoch nie zum Kampfeinsatz kamen. Auch nach dem 2. Weltkrieg lagerten in den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und Großbritannien große Mengen Sarin.
1995 wurde das japanische U-Bahnnetz in der Stoßverkehrszeit von Mitgliedern einer Sekte mit Sarin attackiert. Die Terroristen trugen Sarin-gefüllte Plastiktüten bei sich, die sie beim Verlassen der U-Bahn auf den Boden warfen und zerstachen. Dabei kam es zu 5.500 Vergiftungen, in 12 Fällen mit Todesfolge.
Der Irak setzte Sarin im ersten Golfkrieg gegen den Iran und 1988 auch gegen seine kurdische Minderheit ein.
Wirkmechanismus
Sarin ist in bereits in sehr geringen Mengen tödlich. Die mittlere Letaldosis LD50 beträgt 0,75 mg/kgKG beim Menschen. Die Aufnahme des Giftgases ist über den gesamten Körper möglich, insbesondere über die Augen und die Atmung (gasförmig) sowie über die Haut (flüssig), da es sich bei Sarin um eine sehr flüchtige Substanz handelt.
Im Körper blockiert Sarin nahezu irreversibel die Acetylcholinesterase in den Synapsen des parasympathischen vegetativen Nervensystems, den cholinergen Synapsen des sympatischen Anteils des vegetativen Nervensystems sowie an der neuromuskulären Endplatte (motorische Endplatte). Es kommt dadurch zu einem Anstieg des Neurotransmitters Acetylcholin (ACh) in der Synapse und damit zu einer Dauererregung der betroffenen Systeme.
Klinik
Symptome der Vergiftung stellen sich nach Verschlucken oder Inhalation oft schon innerhalb weniger als einer Minute ein, bei dermaler Resorption nach bis zu 30 Minuten.
Anfangssymptome
- Pupillenverengung (Miosis), Akkommodationsstörungen, Augenschmerzen
- verstärkte Sekretion: Nasen-, Tränen-, Speichelfluss, Schweißausbrüche
- Atembeschwerden
- Kopfschmerzen und Müdigkeit
- Bradykardie, Vasodilatation, Hypotonie
Hauptsymptome
- Tremor, Muskelzuckungen, tonisch-klonische Krämpfe
- Erbrechen & Inkontinenz
- Bronchospasmus mit Dyspnoe
- Verwirrtheit, Angst, Bewusstseinsstörungen
- Muskelschwäche, Lähmungen
- Sprechstörung
- evtl. generalisierte Krämpfe und Bewusstlosigkeit
- Tod durch Atemlähmung
Nachweis
Die zuverlässige Identifikation der Substanz gelingt durch Reinigung der Probe und anschließende Gaschromatographie in Kopplung mit der Massenspektrometrie. Zum sicheren Nachweis der Exposition gegenüber Sarin können sowohl Urin- als auch Blutproben verwendet werden. Von möglicherweise entstandenen Abbauprodukten kann zumindest auf die Substanzklasse der Phosphorsäureester geschlossen werden.
Schutzmaßnahmen
Schutz gegen das Eindringen von Sarin in den Körper bietet nur ein impermeabler Ganzkörper-Schutzanzug mit Atemschutzmaske sowie Handschuhen und Überschuhen.
Aufgrund der teilweise schlechten Therapiefähigkeit, ist es möglich prophylaktische Maßnahmen zum verbesserten Schutz anzuwenden. Durch Hemmung der Acetylcholinesterase mit Pyridostigmin oder Physostigmin (20-40 % der Esteraseaktivität im Blut werden gehemmt) wird ein Teil der Esterase während der möglichen Expositionszeit vor der Reaktion mit Sarin geschützt, aufgrund der Reversibilität der Interaktion von Pyridostigmin mit Cholinesterase steht dieser Anteil des Enzyms danach weiter zur Spaltung von Acetylcholin zur Verfügung. Dies erhöht die Überlebenschancen.
Therapie
Die Behandlung einer Sarinintoxikation ist abhängig von Zeitpunkt und Stärke der Vergiftung. Die Gabe von Aktivkohle zur Bindung des Giftstoffes ggf. in Verbindung mit einer Magenspülung ist möglich, allerdings steht aufgrund der Toxizität von Sarin und der damit verbundenen geringen Letaldosis die möglichst sofortige Gabe von Atropin, zur Antagonisierung der Acetylcholinwirkung, im Vordergrund. Da es sich um einen kompetitiven Antagonismus gegenüber ACh handelt, richtet sich die Dosis nach der Schwere der Vergiftung. Eine wirksame Atropinisierung ist dann erreicht, wenn die Pupillen dilatieren und die Salivation aufgehoben wird. Diese Therapie muss aufgrund der lang dauernden Acetylcholinesterase-Hemmung lange fortgesetzt werden (z.B. alle 10 Minuten 2-5 mg bis hin zu mehreren 100 mg).
Da die Hemmung der AChE durch Sarin nahezu irreversibel ist, kann die Enzymaktivität nur durch Neusynthese nach mehreren Tagen bzw. Wochen wiederhergestellt werden. Nach Atropingabe kann innerhalb von 24 h versucht werden, mit Oximen (z.B. Obidoxim oder Pralidoxim) die Cholinesterase durch Ablösen des Alkylphosphates und Dephosphorylierung des Enzyms zu reaktivieren. Die Gabe von Serum-Cholinesterase ist ebenfalls möglich.
Literatur
- Aktories/Förstermann/Hofmann/Starke: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Elsevier Urban & Fischer, 10. Auflage
- Joachim Rassow et al.: Duale Reihe Biochemie, Thieme Verlag, 2. Auflage
- Thomas Herdegen: Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie, Thieme Verlag
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