Multiple endokrine Neoplasie Typ 1
Synonym: Wermer-Syndrom
Englisch: MEN1 syndrome, Wermer syndrome
Definition
Multiple endokrine Neoplasie Typ 1, kurz MEN1, ist ein genetisch bedingtes, autosomal-dominant vererbtes Syndrom, das mit Neoplasien endokriner Organe einhergeht.
siehe auch: Multiple endokrine Neoplasie
Epidemiologie
Die Prävalenz wird auf 2 bis 3 pro 100.000 geschätzt.
Genetik
Das gleichnamige Tumorsuppressorgen MEN1 auf Chromosom 11 an Genlokus 11q13 kodiert für das Protein Menin 1, das u.a. an der Transkription, Zellteilung und Proliferation beteiligt ist. Die Pathogenese der multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1, beruht auf der 2-Hit-Hypothese von Knudson: Ein Patient wird mit einem abnormalen MEN1-Allel geboren und entwickelt die Krankheit, wenn das andere Allel auf somatischer Ebene mutiert ist.
Es sind mehr als 1.300 Mutationsstellen beschrieben. Obwohl MEN1-Mutationen in den meisten Fällen vererbt werden, kommt es in etwa 10 % der MEN1-Fälle zu einer De-novo-Keimbahnmutation. Bei 20 - 30 % der MEN1-Patienten wurden keine Keimbahnmutationen in der kodierenden Region von MEN1 nachgewiesen, was auf Gendeletionen, Mutationen in der nicht kodierenden Region oder andere Genmutationen hinweist. Es gibt keinen klaren Zusammenhang zwischen dem Mutationsort und dem Phänotyp.
Klinik
Zu den vorherrschenden Tumoren bei MEN1 gehören Tumoren der Nebenschilddrüse, der gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Zellen und der Hypophyse. Weiterhin finden sich häufig Hauttumore wie Lipome (33 % der Fälle) und fasziale Angiofibrome (22 - 88 %). Seltene Manifestationen sind Tumore der Nebennierenrinde, Vorderdarmkarzinoide, Schilddrüsentumore und Meningeome. In den letzten Jahren wurden auch Eierstock- und Gebärmuttertumore im Zusammenhang mit MEN1 beschrieben. Frauen mit MEN1 weisen ein deutlich höheres Risiko für Brustkrebs auf. Haupttodesursachen sind pankreatische neuroendokrine Tumore (pNET) sowie neuroendkrine Tumore des Thymus und der Bronchien.
Nebenschilddrüsentumore
Ein Hyperparathyreoidismus tritt bei 90 % der MEN1-Patienten auf und ist die häufigste und früheste Manifestation. Ursächlich sind meist Adenome oder Hyperplasien, die häufig 2 oder mehr Nebenschilddrüsen betreffen. Das typische Erkrankungsalter für Nebenschilddrüsenadenome liegt zwischen 20 und 25 Jahren. Neben asymptomatischen Formen können auch eine Hyperkalzämie (Schläfrigkeit, Müdigkeit, Depression, Obstipation, Polydipsie, Polyurie), eine Urolithiasis, Osteoporose (pathologische Frakturen) und gelegentlich Magengeschwüre auftreten.
In Laboruntersuchungen zeigen sich ein Anstieg des Serumkalziums, ein Abfall des Serumphosphats und ein Anstieg der Parathormonkonzentration. Zur weiteren Diagnostik kommen häufig ein Ultraschall der Halsregion und eine Szintigraphie mit Tc-99m-MIBI zum Einsatz.
Gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumoren
Neuroendokrine Tumore (NET) treten bei 30 bis 80 % der Patienten mit MEN1 auf und sind meist multifokal. Am häufigsten sind Pankreas und Duodenum betroffen. Meist finden sich Gastrinome, gefolgt von nicht-funktionellen Tumoren und Insulinomen. Seltenere Tumorarten sind beispielsweise Glukagonome und VIPome.
Gastrinome sind i.d.R. bösartig, rund 50 % der Patienten weisen bei der Erstdiagnose bereits Metastasen auf. Das Erkrankungsalter liegt rund 20 Jahre früher als bei sporadischen Fällen. Klinische Manifestation des Gastrinoms ist das Zollinger-Ellison-Syndrom, das durch Hypergastrinämie, übermäßige Magensäureproduktion, peptische Ulzera und Durchfall gekennzeichnet ist.
Insulinome sind meist gutartig und treten bei 10 - 15 % der MEN1-Patienten auf. Das typische Erkrankungsalter liegt vor dem 40. Lebensjahr. Insulinome zeigen sich durch die Whipple-Trias. Wiederkehrende Hypoglykämieanfälle, teilweise mit Krampfanfällen, können somit die erste Manifestation von MEN1 sein.
Bei nicht-funktionellen Tumoren treten i.d.R. keine Symptome oder laborchemische Veränderungen auf. Sie werden meist durch bildgebende Verfahren entdeckt.
Bei Verdacht auf gastroenteropankreatische NETs im Zusammenhang mit MEN1 sollten Serumgastrin, Nüchternblutzucker, Insulin, C-Peptid, Glucagon, vasoaktives intestinales Peptid (VIP), pankreatisches Polypeptid und Chromogranin A bestimmt werden. Bildgebende Verfahren sind CT, MRT, EUS und die Somatostatinrezeptor-Szintigraphie zum Einsatz.
Hypophysentumore
Hypophysentumore treten bei 10 - 60 % der MEN1-Patienten auf und sind meist im Hypophysenvorderlappen lokalisiert. Die klinische Manifestation hängt von der Hormonproduktion und der Tumorgröße ab. Am häufigsten finden sich Prolaktinome (60 %), gefolgt von GH-produzierenden Adenomen (25 %) und ACTH-produzierenden Adenomen (5 %). Mögliche Symptome sind Hyperprolaktinämie mit Amenorrhoe, Akromegalie oder Cushing-Syndrom sowie aufgrund des raumfordernden Effekts z.B. Sehstörungen. Neben laborchemischen Untersuchungen wird eine MRT der Hypophyse durchgeführt.
Diagnostik
Zur Diagnosestellung sollten mindestens eines der Kriterien erfüllt sein:
- Klinische Diagnose: Der Patient hat 2 oder mehr der 3 Haupttumore (Nebenschilddrüsentumor, Hypophysentumor, gastroenteropankreatischer neuroendokriner Tumor).
- Familiäre Diagnose: Der Patient erfüllt die klinischen Diagnosekriterien und hat einen Verwandten ersten Grades, der einen der drei Haupttumore hat.
- Genetische Diagnose: Molekulargenetischer Nachweis einer Mutation im MEN1-Gen
Therapie
Die Therapie besteht, wenn darstellbar, aus der chirurgischen Entfernung der Tumoren. Ist das nicht möglich, erfolgt eine pharmakologische Behandlung der Endokrinopathien. Dabei kommen u.a. Somatostatinanaloga, Calcimimetika und Dopaminagonisten zum Einsatz.
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