Karzinoid
Synonyme: Karzinoidtumor, enterochromaffines Karzinoid
Englisch: carcinoid
Definition
Karzinoid ist eine veraltete Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Tumoren, die aus Zellen des diffusen neuroendokrinen Systems (DNES) hervorgehen. In der aktuellen Literatur wird der Begriff "neuroendokriner Tumor" (NET) verwendet.
Typische Symptome, die durch Karzinoide ausgelöst werden, sind Flush, Durchfall und Bronchospasmus. Sie werden gemeinsam auch als Karzinoidsyndrom bezeichnet.
Hintergrund
Karzinoide haben ein langsames Wachstum und sezernieren häufig Neuropeptide oder biogene Amine wie z.B. Serotonin. Sie zeigen normalerweise (v.a. Appendix vermiformis) einen niedrigen Malignitätsgrad. Tumore mit einem Durchmesser unter 1 cm und einem nicht gefäßinvasiven Wachstum gelten als benigne. Sie können jedoch zu malignen Tumoren degenerieren. Malignitätskriterien sind
- ein Hinauswachsen über die Submukosa
- angioinvasives Wachstum
- Metastasen
Maligne Karzinoide betreffen häufig das Ileum.
Lokalisation
Karzinoide kommen vor allem im Magen-Darm-Trakt vor. Häufige Organlokalisationen sind:
Gastrointestinaltrakt
Karzinoide des Gastrointestinaltrakts zeigen - je nach Lokalisation - unterschiedliche morphologische und klinische Eigenschaften und lassen sich in Vorderdarm-, Mitteldarm- und Enddarmkarzinoide zusammenfassen. Diese Zellen werden von den enterochromaffinen Zellen (EC-Zellen) abgeleitet und im Pankreas sowie Magen nach deren Mutterzelle benannt (z.B. Insulinom, VIPom, Gastrinom, ECL-Zell-Tumor, etc.)
Meist entstehen die NETs in der Submukosa. Wie bei anderen epithelialen Tumoren kann es auch hier zu Metastasierungen kommen. Das häufigste befallene Organ - sowohl lymphogen als auch hämatogen - ist hierbei die Leber. Der Grad der Entartung wird nach Anzahl der Mitosen, sowie nach einem Proliferationsmarker (Ki-67-Index) in 3 Stadien eingeteilt.
Lunge
Bei den Karzinoidtumoren der Lunge unterscheidet man zum einen zwischen typischen und atypischen und zum anderen zwischen zentralen und peripheren Tumoren. Der Hauptunterschied zwischen den typischen und atypischen Formen liegt in der Mitoserate. Die Tumorzellen atypischer Karzinoide teilen sich sehr oft, während die typischen Karzinoide eine niedrige Mitoserate aufweisen.
Zentrale Karzinoide (80%) kommen weitgehend häufiger vor als periphere (20%).
Eine Sonderform eines peripheren Lungenkarzinoids bezeichnet man als "Tumorlet". Es sind ca. 1 mm große, solide Zellansammlungen, die stark Grimelius-positiv sind und verschiedene Hormone produzieren.
Einteilung
Nach histologischen Differenzierungsgraden werden Karzinoide unterteilt in:
- neuroendokrine Tumoren (gutartig)
- hochdifferenzierte neuroendokrine Karzinome (niedrigmaligne) und
- entdifferenzierte neuroendokrine Karzinome (hochmaligne)
Klinik
Karzinoide wachsen meist asymptomatisch. Bei etwa 10% der Tumoren treten jedoch charakteristische Beschwerden durch die Bildung von Hormonen auf, u.a. Serotonin, Substanz P und Kinine. Dazu zählen u.a.:
Weiterhin kann es zu Bronchokonstriktion/Asthmaanfällen, Hitzewallungen sowie Tachykardie kommen. Nicht selten treten die Symptome erst in Folge von Lebermetastasen auf, da vorher eine systemische Wirkung von Serotonin durch den First-Pass-Effekt der Leber verhindert wird.
Typische Auslöser der Symptome sind:
- Nahrungsaufnahme
- psychischer sowie körperlicher Stress
- Alkohol
Komplikationen
Bei chronischer Exposition, vor allem des rechtsventrikulären Endokards, gegenüber Serotonin kann es zu einer Endokardfibrose mit Trikuspidalklappeninsuffizienz und Pulmonalstenose kommen. Dieser Symptomkomplex wird auch als Hedinger-Syndrom bezeichnet.
Diagnostik
Labor
Serologisch kann ein erhöhter Chromogranin-A- und Serotoninspiegel nachgewiesen werden. Das Serotonin-Abbauprodukt 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) wird im 24-Stunden-Urin nachgewiesen. Dabei sind Werte über 15 mg pro 24 Stunden hinweisgebend.[1]
Bildgebung
Als weitere diagnostische Methoden zur Identifizierung des Primärtumors bzw. der Metastasen dienen die gängigen Verfahren (Sonographie, CT, Endoskopie). Darüber hinaus können die für Karzinoide spezifische Somatostatin-Rezeptorszintigraphie, Octreotid-Szintigraphie oder der PET-CT in Betracht gezogen werden.
Histopathologie
Morphologisch-pathologisch imponiert das klassische Karzinoid durch eine gelbliche-weiße Schnittfläche und eine Infiltration der Muscularis propria. Mikroskopisch finden sich lobulär-solide Ansammlungen von hellen, feingranulierten Zellen.
Bei Serotonin-produzierenden Tumoren ist die Silberfärbung wegweisend, weswegen diese auch argentophil bezeichnet werden. Um die Tumorzellen findet man fibröses Stroma.
Es gibt aber auch nicht-aktive bzw. nichtfunktionelle NET, die normalerweise keine Sekretion zeigen. Zu diesen gehören die häufigen NET des Pankreas, die seltenen NET des Kolons, sowie die häufigen NET des Rektums. Im Pankreas wird eine evtl. erhöhte Sekretion von pankreatischen Polypeptiden diskutiert und ist Gegenstand der Forschung.
Karzinoide lassen sich mittels Zytokeratin-, Chromogranin- oder Serotonin-Anfärbung sowie Grimelius-Versilberung immunhistochemisch nachweisen.
Therapie
Karzinoidtumore und einzelne Metastasen werden in der Regel operativ entfernt. Bei multiplen Metastasen wird eine Chemotherapie empfohlen, auch wenn nur ein Drittel der Patienten eine (teilweise) Tumorregression zeigt.
Bei Somatostatin-Rezeptor-bildenden Karzinoid-Zellen kann Octreotid, ein Somatostatin-Analogon, das Tumorwachstum nachweislich hemmen.
Auch ein rekombinantes Interferon-alpha (IFN-α) kann eingesetzt werden, was zu einer stärkeren Immunabwehr gegen den Tumor führt.
Bei Knochenmetastasen kann eine Strahlentherapie in Betracht gezogen werden.
Bei Lebermetastasen wird durch eine Embolisation (TACE) versucht, die Durchblutung der Metastasen zu unterbinden und diese zu zerstören, oder in ihrem Wachstum zu hemmen.