Trikuspidalinsuffizienz
Synonym: Trikuspidalklappeninsuffizienz
Englisch: tricuspid regurgitation, TR
Definition
Die Trikuspidalinsuffizienz, kurz TKI, ist ein Herzklappenfehler mit einem unzureichenden Schluss der Trikuspidalklappe während der Systole. Dadurch kommt zu einem pathologischen Rückfluss (Regurgitation) aus dem rechten Ventrikel in den rechten Vorhof des Herzens.
Epidemiologie
In der Allgemeinbevölkerung liegt die Prävalenz der moderaten bis schweren TKI bei 0,55 %.[1] Bei über 75-jährigen Personen steigt die Prävalenz auf 6,6 % an und ist damit ähnlich häufig wie eine Aortenklappenstenose.[2] Bereits eine geringgradige TKI ist im Langzeitverlauf mit einer erhöhten Letalität assoziiert. Bei schwergradiger TKI mit Rechtsherzinsuffizienz sind Letalitätsraten von circa 35 % nach einem Jahr beziehungsweise ca. 60 % nach drei Jahren beschrieben.[3][4]
Ätiologie
Die Entstehung einer TKI ist multifaktoriell. Man unterscheidet nach ätiologischen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Segelmorphologie, der Vorhof- und Ventrikelanatomie sowie der Beteiligung von kardial implantierbaren elektronischen Systemen (CIED) folgende Formen:[5]
primäre TKI | atriale sekundäre TKI | ventrikuläre sekundäre TKI | CIED-assoziierte TKI | |
---|---|---|---|---|
Segel-Tethering | - | +/- | +++ | ++ |
Segel-Restriktion | - | - | ++ (systolisch) | ++ |
RA-Dilatation | ++ | +++ | ++ | +/- |
RV-Dilatation | +/- | +/- | +++ | +/- |
RV-Dysfunktion | +/- | +/- | +++ | +/- |
Primäre TKI
Die seltene primäre Trikuspidalklappeninsuffizienz ist charakterisiert durch strukturelle Defekte des Trikuspidalklappensegels und des Klappenapparats. Sie können beispielsweise durch fibroelastische Degeneration, Endokarditis, rheumatisches Fieber oder ein Karzinoid-Syndrom bedingt sein.
Atriale sekundäre TKI
Diese Form ist durch eine Erweiterung von Vorhof und Klappenanulus mit entsprechendem Auseinanderweichen der Trikuspidalklappensegel gekennzeichnet. Größe und Funktion des rechten Ventrikels sind zumeist normal. Die atriale sekundäre TKI ist mit chronischem Vorhofflimmern assoziiert.
Ventrikuläre sekundäre TKI
Die ventrikuläre sekundäre TKI entsteht durch eine rechtsventrikuläre Dilatation mit folgender Verlagerung der Papillarmuskeln und Retraktion der Trikuspidalklappensegel (Tethering). Die Ursachen der rechtsventrikulären Dilatation sind vielfältig, z.B. Linksherzinsuffizienz, linksseitige Herzklappenerkrankungen, eine prä- beziehungsweise postkapilläre pulmonale Hypertonie sowie eine primär rechtsventrikuläre Kardiomyopathie.
CIED-assoziierte TKI
Schrittmachersonden können zu Adhäsionen, Perforationen, Lazerationen oder Verdrängungen der Trikuspidalklappensegel oder des Klappenhalteapparates führen. Bei ca. 5 % der Schrittmacherimplantationen wird eine moderate oder schwergradige TKI beobachtet.
Pathophysiologie
Eine relevante Trikuspidalinsuffizienz liegt bei einem Durchmesser des Klappenringes von ≥ 40 mm vor, gemessen zum Zeitpunkt der Enddiastole im echokardiographischen apikalen Vierkammerblick.[6]
Bei einer primären Insuffizienz mit normalen Druckverhältnissen im Lungenkreislauf kommt es zu einer reinen Volumenbelastung mit relativ kleinem Pendelvolumen. Diese wird oft auch langfristig gut toleriert.
Die sekundäre Insuffizienz führt zu einer chronischen Druck- und Volumenbelastung des rechten Atriums, die wiederum den Druck in der Vena cava superior und inferior erhöht. Konsekutiv kommt es zu einem venösen Rückstau in die Pfortader und Halsvenen.
Besteht die Insuffizienz über einen längeren Zeitraum, werden Kompensationsmechanismen angestoßen, die eine Dilatation des rechten Atriums und des rechten Ventrikels bewirken. Das Vorhofvolumen kann dadurch im Krankheitsverlauf um das Drei- bis Vierfache zunehmen. Durch die Dilatation des rechten Ventrikels wird die Klappeninsuffizienz im Sinne eines Circulus vitiosus weiter verstärkt. Mit zunehmender Rechtsherzinsuffizienz kann sich ein kardiohepatisches und kardiorenales Syndrom entwickeln.
Klinik
Die klinische Symptomatik ist zunächst unspezifisch. Sie ist primär durch die Symptome der Rechtsherzinsuffizienz geprägt. Charakteristisch sind:
- Müdigkeit
- Leistungsabfall
- Gastrointestinale Symptome: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Aufstoßen, Gewichtsverlust
- Hepatomegalie und Leberkapselschmerz
- Beinödeme
- Halsvenenstauung
- Herzrhythmusstörungen
- Dyspnoe und Zyanose
Im fortgeschrittenen Stadium erfolgt ein fibrotischer Umbau des Leberparenchyms mit der Ausbildung einer Cirrhose cardiaque, die von Ikterus und Aszites begleitet ist.
Diagnostik
Basisdiagnostik
Bei der Auskultation hört man einen leisen ersten Herzton, eine laute pulmonale Komponente des zweiten Herztons sowie ein holosystolisches Decrescendogeräusch mit Punctum maximum im 4. ICR rechts parasternal. Letzteres nimmt inspiratorisch zu (Carvallo-Zeichen). Gelegentlich ist ein dritter Herzton rechtsventrikulär auskultierbar.
Bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf finden sich in der klinischen Untersuchung gestaute Halsvenen. Bei der Palpation der Leber kann man eine Vergrößerung des Organs und ggf. eine systolische Pulsation ertasten. Sie zeigt sich ebenfalls in einer prominenten V-Welle in der Venenpulskurve.
Das EKG zeigt einen Rechtstyp, eine rechtsventrikuläre Hypertrophie sowie eine P-Welle mit hoher Amplitude im Sinne einer P-dextroatriale. Im Röntgen-Thorax kann eine Rechtsherzvergrößerung auffallen.
Mittel der Wahl ist die Echokardiographie, die eine Bestimmung des Schweregrads ermöglicht. Charakteristisch ist eine systolische refluxbedingte "Wolke" im rechten Vorhof beim Farbdoppler, die auch als Insuffizienzjet bezeichnet wird. Der systolische pulmonalarterielle Druck (sPAP) ist erhöht.
Weiterführende Diagnostik
Die weiterführende Diagnostik sollte in einem Herzklappenzentrum erfolgen. Die multimodale Beurteilung der TKI basiert auf:
- Transthorakaler Echokardiographie (TTE) und transösophagealer Echokardiographie (TTE): Hierbei zeigt sich oft ein ausgeprägtes Remodelling der Ventrikel und/oder Vorhöfe. Eine dreidimensionale Bestimmung der rechtsventrikulären Funktion wird gegenüber der konventionellen Abschätzung der longitudinalen Funktion (z.B. TAPSE) bevorzugt. Der Schweregrad der TKI wird durch multiparametrische Messungen (qualitativ, quantitativ und semiquantitativ) beurteilt. Die Anatomie der Trikuspidalklappe wird mittels transösophagealer Echokardiografie untersucht. In etwa 40 % der Fälle findet sich eine zusätzliche variable Segmentierung der Segel mit mehr als 3 funktionellen Anteilen. Weitere Aufgaben der Echokardiografie sind die Beurteilung der Interaktion von CIED-Sonden mit dem Klappenapparat und die Erkennung primärer Klappenpathologien.
- Herzkatheteruntersuchung: Sie erfolgt zur hämodynamischen Beurteilung des linken Herzens, der Pulmonalarterien und der rechtsseitigen Herzhöhlen mittels Rechtsherzkatheter. Außerdem wird eine Linksherzuntersuchung zum Ausschluss einer obstruktiven CAD mittels Koronarangiographie durchgeführt. Die Schätzung des pulmonalarteriellen Drucks mittels Echokardiographie ist bei hochgradiger TKI nicht zuverlässig. Weiterhin ist eine invasive Messung notwendig, um prä-, gemischte oder postkapilläre Formen der pulmonalen Hypertonie zu differenzieren.
- Kardio-CT: Sie dient zur Planung alternativer interventioneller Therapieoptionen, falls eine Edge-to-edge-Reparatur anatomisch nicht optimal erscheint. Dabei erfolgen z.B. Ausmessung des Trikuspidalklappenanulus oder Bestimmung des Durchmessers der Hohlvenen zur Auswahl der Prothesengrößen.
- Kardio-MRT: Diese Untersuchung liefert zusätzliche Informationen zur Rechtsherzstruktur und -funktion sowie zum Blutfluss und zur Regurgitation über der Trikuspidalklappe.
Diagnosekriterien
Nach den Leitlinien der ESC gelten folgende Diagnosekriterien für eine fortgeschrittene Trikuspidalinsuffizienz:
- Breite des Insuffizienzjets ≥ 7 mm
- EROA ("effective regurgitant orifice area") ≥ 40 mm2
- Dilatation des rechten Ventrikels, des rechten Vorhofs und der Vena cava inferior
- dilatierte Lebervenen
Therapie
Die Therapie der Trikuspidalklappeninsuffizienz besteht aus der Behandlung der auslösenden Grunderkrankung sowie der Herzinsuffizienz.
Medikamentöse Therapie
In frühen Stadien kann die Therapie medikamentös erfolgen. Geeignet sind vor allem Schleifendiuretika (z.B. Torasemid), um die Volumenbelastung und damit die Vorlast des dilatierten rechten Herzens zu senken. Der Grad der Trikuspidalinsuffizienz kann dadurch reduziert werden. Essenziell ist die einschleichende Dosierung. Bei zu starkem Senken der Vorlast kann es zu einem akuten Rechtsherzversagen kommen.
Bei Patienten mit Rechtsherzinsuffizienz können Betablocker und SGLT-2-Inhibitoren erwogen werden. Bei Vorliegen einer zugrundeliegenden Linksherzinsuffizienz ist eine optimale medikamentöse Therapie gemäß Leitlinien zu empfehlen. Bei Patienten mit einer signifikanten präkapillären pulmonalen Hypertonie und einem erhöhten pulmonalvaskulären Widerstand sollte ein Therapieversuch mit Vasodilatatoren wie Sildenafil in Erwägung gezogen werden.
Interventionelle Therapie
Wenn die Symptome nach der Behandlung von Grunderkrankungen und einem medikamentösen Therapieversuch persistieren, kommen weitere Verfahren zum Einsatz. Die Indikation über die individuelle Therapie wird idealerweise in einem multidisziplinären Herzteam getroffen. Das am häufigsten angewendete Verfahren ist die transkatheterbasierte Edge-to-edge-Reparatur (TEER) mittels TriClip- oder Pascal-System. Die Klappensegel werden dabei in einen Clip eingefangen und dort verankert. Die technische Machbarkeit ist abhängig von der morphologischen Komplexität, der Größe der Koaptationslücke und der periprozeduralen Visualisierbarkeit in der transösophagealen Echokardiografie.
Ist die TEER technisch nicht möglich, werden alternative Therapieformen evaluiert. Die interventionelle Implantation von Anuloplastie-Systemen erfolgt aufgrund der langen Prozedurdauer sowie der potenziellen Komplikation mit Beeinträchtigung der rechten Koronararterie (in 10 %) nur in Einzelfällen. Häufiger angewendete Verfahren sind der interventionelle, orthotope Transkatheter-Trikuspidalklappenersatz mittels Evoque-System. Die Befestigung der Klappenprothese erfolgt durch Druck auf den Anulus und Verankerung von kleinen Haken im Bereich der Segelbasis. Weiterhin existiert ein heterotoper interventioneller Klappenersatz mittels TricValve-System.
Chirurgische Therapie
In Einzelfällen bei niedrigem Operationsrisiko kann eine primär chirurgische Therapie sinnvoll sein. Eine chirurgische Trikuspidalklappentherapie kommt eher bei gleichzeitiger operativer Behandlung des linken Herzens zum Einsatz. Das Operationsrisiko kann mithilfe des Tri-Score abgeschätzt werden.
Literatur
- Duale Reihe Innere Medizin (4. Auflage, 2018, Thieme)
- Herold Innere Medizin 2020
- Kurzlehrbuch Pathologie (3. Auflage, 2019, Thieme)
- Checkliste innere Medizin (8. Auflage, 2018, Thieme)
- Duale Reihe Chirurgie (4. Auflage 2013, Thieme)
Quellen
- ↑ Topilsky Y et al. Burden of Tricuspid Regurgitation in Patients Diagnosed in the Community Setting. JACC Cardiovasc Imaging. 2019
- ↑ Cahill TJ et al. Community prevalence, mechanisms and outcome of mitral or tricuspid regurgitation. Heart. 2021
- ↑ Kadri AN et al. Outcomes of patients with severe tricuspid regurgitation and congestive heart failure. Heart. 2019
- ↑ Taramasso M et al. Transcatheter Versus Medical Treatment of Patients With Symptomatic Severe Tricuspid Regurgitation. J Am Coll Cardiol. 2019
- ↑ Wang N et al. Tricuspid regurgitation is associated with increased mortality independent of pulmonary pressures and right heart failure: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J. 2019
- ↑ Mani Arsalan, Thomas Walther, Robert L. Smith, Paul A. Grayburn, Tricuspid regurgitation diagnosis and treatment, European Heart Journal, Volume 38, Issue 9, 1 March 2017, Pages 634–638, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehv487