Synonyme: Blutschwamm, infantiles Hämangiom, kapilläres Hämangiom, Erdbeerfleck
Englisch: h(a)emangioma
Als Hämangiome im engeren Sinne werden benigne Tumoren der Blutgefäße bezeichnet.
Die Bezeichnung "Hämangiom" wird in der Literatur häufig uneinheitlich verwendet. Oft werden sogenannte Slow-Flow-Gefäßmalformationen ebenfalls als Hämangiome bezeichnet, obwohl sie keine Neoplasien darstellen. Hierzu zählen Kavernome ("kavernöse Hämangiome"), z.B. Leberhämangiome, Milzhämangiome, orbitale Kavernome, zerebrale Kavernome, Soft-Tissue Venous Malformations). Hämangiome im engeren Sinne stellen jedoch echte Neoplasien dar, die durch eine Proliferation der Endothelzellen gekennzeichnet sind.[1][2]
Des Weiteren müssen Hämangiome von anderen Gefäßtumoren (z.B. kaposiformes Hämangioendotheliom oder Granuloma pyogenicum) abgegrenzt werden.
Histologisch und klinisch werden folgende Hämangiome unterschieden:
Im Folgenden wird auf das infantile und das kongenitale Hämangiom eingegangen. Die anderen Formen werden in den entsprechenden Artikeln behandelt.
Infantile Hämangiome finden sich bei 4-5 % aller Säuglinge und bei bis zu 22 % der Frühgeborenen auf. Bevorzugt ist das weibliche Geschlecht betroffen (3:1).
Die genaue Ursache des infantilen Hämangioms ist derzeit (2020) unklar. Denkbar sind folgende Hypothesen:
Infantile Hämangiome entstehen i.d.R. erst Tage oder Wochen nach der Geburt, wobei vorher Vorläuferläsionen (Teleangiektasien, anämische, rötliche oder bläuliche Maculae, feuermalartige Veränderungen) sichtbar sein können.
Als Sonderform gelten kongenitale Hämangiome. Sie sind bereits bei Geburt vollständig ausgebildet und zeigen keine Größenprogredienz. Weiterhin exprimieren sie im Gegensatz zu den infantilen Hämangiomen kein GLUT1 und werden daher von einigen Autoren als eigene Entität angesehen. Auf der Grundlage des klinischen Verlaufs unterscheidet man:
Eine weitere Sonderform, die in bis zu 80 %. d.F. kongenital auftritt, aber GLUT1-positiv ist, wird als IH-MAG (infantile hemangioma with minimal or arrested growth) bezeichnet. Sie findet sich v.a. an den Beinen, zeigt Teleangiektasien und nur eine minimale Proliferation. Im Verlauf zeigt sich oft eine Abblassung, wobei jedoch unklar ist, ob sie sich zurückbildet.
Hämangiome können überall im Körper vorkommen. Am häufigsten treten Hämangiome in der Haut auf, 60 % im Kopf-Hals-Bereich. Selten ist die orogenitale Schleimhaut befallen. Weitere mögliche Lokalisationen sind z.B. die Orbita, die Parotis oder die Leber (infantiles hepatisches Hämangiom).
Infantile Hämangiome treten bevorzugt in den ersten Tagen oder Wochen nach Geburt auf und durchlaufen drei Phasen:
In der 6-9 Monate andauernden Wachstumsphase kommt es bei den oberflächlichen Formen zu Ausbildung einer hochroten Papel oder Plaque mit weicher Konsistenz. Sie sind meist nicht vollständig ausdrückbar. Die tiefen Formen manifestieren sich als rötlich oder bläulich durchscheinende Knoten.
Während der Rückbildungsphase, die meist um das 9. Lebensjahr abgeschlossen ist, ändert sich die Farbe des Hämangioms zu dunkelrot bzw. livide. Die Knoten werden weicher und flacher, die Oberfläche zeigt eine zunehmende Grauverfärbung. Kleine Hämangiome bilden sich meist vollständig zurück. Bei größeren Formen bleiben oft Teleangiektasien, atrophische Hautareale, Narben, Hyper- bzw. Hypopigmentierungen oder fibrös-lipomatöse Lappen zurück.
Schnell wachsende, insbesondere segmentale Hämangiome können zu Ulzerationen führen, insbesondere bei intertriginöser Lokalisation. Risiken sind Superinfektion, Blutung und Schmerzen. Hämangiome im Gesicht können weiterhin zu dauerhaften Deformationen führen. Bei perioraler Lokalisation ist an eine Beteiligung des Larynx oder der Trachea zu denken. Außerdem können Hämangiome die Augenöffnung behindern und somit zu Amblyopie bzw. durch Bulbuskompression zu Astigmatismus oder Anisometropie führen.
Sehr große infantile Hämangiome sind mit einer kardialen Belastung verbunden und lösen durch vermehrte Expression einer Deiodinase ggf. eine sekundäre Hypothyreose aus. Eine Verbrauchskoagulopathie (Kasabach-Merritt-Phänomen) tritt jedoch nicht auf, sondern ist ein Hinweis auf ein kaposiformes Hämangioendotheliom oder ein büschelartiges Hämangiom.
Segmentale Hämangiome sind weiterhin mit folgenden Fehlbildungen assoziiert:
Ein infantiles Hämangiom kann i.d.R. klinisch diagnostiziert werden. Häufig kommen zusätzlich bildgebende Verfahren zum Einsatz.
Die Sonographie erlaubt Aussagen über die Tiefenausdehnung und die Vaskularisierung des Hämangioms. Eine starke Vaskularisation spricht für die Wachstumsphase, eine geringe bzw. abnehmende Vaskularisation zeigt den Übergang in die Regressionsphase an. Infantile Hämangiome erscheinen sonographisch als echogene, gut begrenzte Raumforderungen.
Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist indiziert bei sonographisch uneindeutigem Befund, zur Abgrenzung anderer Gefäßtumore und Gefäßmalformationen und bei Verdacht auf Organbeteiligung (insbesondere bei segmentalen Hämangiomen). Infantile Hämangiome zeigen folgende Charakteristika:
Die Angiographie ist zur Darstellung des infantilen Hämangioms ungeeignet.
Eine Biopsie und histologische Sicherung des infantilen Hämangioms ist bei klarer klinischer Diagnose nicht erforderlich. In der Wachstumsphase findet sich ein zellreicher Tumor aus regulären Kapillargefäßen mit CD31-positiven Endothelzellen. Die Gefäßlumina sind komprimiert und Stroma oder Bindegewebssepten kaum erkennbar.
In der Stillstandsphase dominieren kapilläre Gefäße mit regulären Lumina. Mit Endothel ausgekleidete Lakunen kommen vor. Charakteristischerweise zeigt sich eine lobulär-septale Gliederung.
In der Rückbildungsphase zeigt sich eine Involution der kapillären und lakunären Gefäße sowie eine narbige Fibrose und Fettgewebsmetaplasie.
Immunhistochemisch weisen infantile Hämangiome in allen Phasen GLUT1 und andere Marker der Plazenta auf (im Gegensatz zu kongenitalen Hämangiomen und kaposiformen Hämangioendotheliomen).
Entscheidend zur Abgrenzung eines Hämangioms zu einer vaskulären Malformation sind folgende drei Aspekte:
Außerdem müssen weiterhin folgende Differenzialdiagnosen erwogen werden:
Unkomplizierte infantile Hämangiome müssen nicht therapiert werden. Regelmäßige Kontrollen sind jedoch empfohlen. Weiterhin ist bei Hämangiomen in der Stillstands- und Regressionsphase eine abwartende Haltung zu empfehlen.
Bei Komplikationen sowie Lokalisation im Gesicht oder im Anogenitalbereich ist eine Behandlung notwendig. Propranolol gilt heute (2020) als Mittel der ersten Wahl. Es wird per os verabreicht und soll über eine Vasokonstriktion, eine verminderte Expression von VEGF und eine Apoptoseinduktion der Endothelzellen wirken. Die Ansprechrate beträgt ca. 98 %. Die empfohlene Dosierung beträgt 2-3 mg/kgKG/d in zwei Dosen, die Therapiedauer 6-12 Monate.
Die Kryotherapie bei -32 °C ist indiziert bei kleinen, planen infantilen Hämangiomen mit max. 1 cm Durchmesser. Eine Lasertherapie mit gepulsten Farbstofflasern (FPDL) oer Blitzlampen (IPL) kommt bei kleinen, lokalisierten, flachen infantilen Hämangiomen sowie bei Residuen (z.B. Teleangiektasien) in Frage. Die Nd:YAG-Lasertherapie wird v.a. bei rapide proliferierenden und tiefen Hämangiomen eingesetzt, jedoch nur bei Kontraindikation oder unzureichendem Ansprechen von Propranolol.
Eine operative Resektion wird i.d.R. nur bei Komplikationen oder zur Beseitigung von Residuen eingesetzt. Eine Ausnahme sind Hämangiome der Nasenspitze, bei denen ein ästhetisch gutes Ergebnis erwartbar ist.
Glukokortikoide werden nur bei Therapieversagern oder bei lebensbedrohlicher Situation (z.B. Beteiligung von Larynx und/oder Trachea) verwendet. Zytostatika (Vincristin) und Interferon-alpha gelten als obsolet.
Tags: Tumor
Fachgebiete: Dermatologie, Kinderchirurgie, Kinderheilkunde, Onkologie
Diese Seite wurde zuletzt am 16. September 2020 um 17:39 Uhr bearbeitet.
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