Coniin
Synonyme: Coniinum, DL-Coniin, 2-Propylpiperidin, Cicutin, Conicin
Englisch: coniine
Definition
Coniin ist ein Alkaloid (Pseudoalkaloid) mit neurotoxischer Wirkung und wird von einigen Giftpflanzen gebildet.
Vorkommen
Coniin konnte in einigen Pflanzen nachgewiesen werden, darunter Gefleckter Schierling (Conium maculatum) und die aus Nordamerika stammende Gelbe Schlauchpflanze (Sarracenia flava). Alkaloide des Schierlings werden häufig als Coniumalkaloide zusammengefasst, auch wenn sie teilweise bei anderen Pflanzengattungen vorkommen. Hundspetersilie (Aethusa cynapium) enthält je nach Quelle Coniin oder strukturverwandte Alkaloide.
Chemie und Eigenschaften
Coniin ist ein propylsubstituiertes Piperidinderivat, das als Razemat vorliegt. Die Summenformel lautet C8H17N, die Molekülmasse beträgt 127,22 g/mol. Die Substanz liegt bei Raumtemperatur als farblose, ölige Flüssigkeit vor und färbt sich unter Luft- und Lichteinwirkung bräunlich. Der Geruch ist charakteristisch und erinnert an Mäuseharn. Der Schmelzpunkt liegt bei -2°C, die Siedetemperatur beträgt 164 bis 165°C. Coniin ist löslich in organischen Lösungsmitteln wie Ethanol, Ether und Benzol sowie schlecht löslich in Wasser. Der Identitätsnachweis kann durch Farbreaktion mit Phosphormolybdänsäure (blau) oder Dragendorff's Reagenz nach Munier (rot) sowie mittels Dünnschichtchromatographie erfolgen, letztere Methode eignet sich auch für einen Giftstoffnachweis in Erbrochenem.
Neben der Base sind die Coniin-Salze DL-Coniinhydrochlorid (Schmelzpunkt 210°C) und DL-Coniinhydrobromid (Schmelzpunkt 197 bis 199°C) gängige Handelsware.
Toxikologie
Pharmakokinetik
Coniin wird rasch resorbiert, besonders nach peroraler, aber auch nach kutaner Applikation. Über den Metabolismus ist wenig bekannt. Die Exkretion der Metaboliten erfolgt wahrscheinlich weitestgehend renal. Coniin wird im Tierversuch zu 10 bis 15 % unverändert über den Urin ausgeschieden. Außerdem wird ein Teil über die Atemluft abgegeben. Coniin ist plazentagängig, überwindet die Blut-Hirn-Schranke und geht in die Muttermilch über.
Wirkmechanismus
Coniin weist verschiedene Angriffspunkte auf. Hauptwirkung ist eine Interaktion mit nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (neuronaler, geringer auch muskulärer Subtyp). Hier wirkt es in geringen Konzentrationen als Agonist, durch Depolarisationsblockade in hohen Dosen aber auch als Antagonist (vgl. Succinylcholin). Hierdurch kommt es zunächst zu einer erregenden, später zu einer hemmenden Wirkung auf
- Neuronen im Rückenmark, in der Medulla oblongata und im Diencephalon,
- vegetative Ganglien (Ganglienblockade) und
- motorische Endplatten.
Durch Stimulierung und spätere Blockade der vegetativen Ganglien sind gemischte sympathiko-/ parasympathikotone und sympathiko-/parasympathikolytische Effekte möglich. Muskulär findet sich zunächst eine Krampfneigung, bei höheren Dosen eine Depolarisationsblockade mit Paresen. Der Tod tritt durch eine zentrale Atemlähmung (Atemzentrum) ein, bei sehr hohen Dosen durch eine periphere Atemlähmung (Phrenicus- bzw. Zwerchfellparese).
Coniin besitzt außerdem eine teratogene, aber auch eine antiinflammatorische und analgetische Wirkung, was ebenfalls auf die Interaktion mit nAchR zurückgeführt wird.[1]
Wirkungen
Lokal kommt es zu einer Reizwirkung, was sich nach peroraler Aufnahme insbesondere an den Schleimhäuten des Gastrointestinaltraktes äußert.
Die weiteren Wirkungen sind dosisabhängig. Bei geringen Dosen finden sich:[2]
- vegetative Stimulationsfolgen wie
- Tremor, Faszikulationen, Muskelspasmen
In höheren Dosen kommt es zu:[2]
- vegetativen Hemmsymptomen wie
- Mydriasis
- Bradykardie mit Hypotonie, ggf. Schock
- Bradypnoe oder Dyspnoe, sowohl durch zentralnervöse als durch muskuläre Hemmung
- aufsteigenden (in den Beinen beginnenden) schlaffen Paresen der quergestreiften Muskulatur, die zu einer vollständigen Paralyse führen können
Letale Dosen führen zum Tod durch Atemlähmung bei erhaltenem Bewusstsein. Die Dosis letalis wird für den Menschen mit 0,1 bis 1,0 g angegeben.
Therapie der Vergiftung
Die Therapie erfordert eine intensivmedizinische Betreuung (künstliche Beatmung) und umfasst folgende Maßnahmen:
- Erbrechen herbeiführen (Emetika)
- Resorptionsverminderung (Aktivkohle, Natriumsulfat, Magenspülung mit Kaliumpermanganat-Lösung 0,02 bis 0,1 %, zum Schluss circa 300 ml Kaliumpermanganat-Lösung im Magen belassen)
- ggf. Schocktherapie/Plasmaexpander
Darüber hinaus ist die Therapie symptomatisch. Die Gefahr der Aspiration aufgrund der Lähmung der Hals- und Schluckmuskulatur ist zu beachten. Der Patient muss warmgehalten werden.
Die Applikation von Cholinesteraseinhibitoren erwies sich im Tierversuch als nicht wirksam.
Literatur
- Roth, Daunderer & Kormann: Giftpflanzen - Pflanzengifte, 5. Aufl., Nikol Verlag.
- Mutschler et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen, 8. Aufl, Wissenschaftl. Verlagsgesellschaft.
- Wolf (Hrsg.): Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis - Bd. 3, Gifte, 1992, Springer Verlag.
Einzelnachweise
- ↑ Hotti H, Rischer H.: "The killer of Socrates: Coniine and Related Alkaloids in the Plant Kingdom" Molecules, 2017.
- ↑ 2,0 2,1 Aktories K, Förstermann U, Starke K. Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 2013; S. 1074. 11. Auflage, Elsevier Verlag