Zerebrales Kavernom
Synonyme: zerebrales Cavernom, zerebrales kavernöses Angiom, zerebrales kavernöses Hämangiom, zerebrale kavernöse Malformation
Englisch: cerebral cavernoma, cerebral cavernous malformation, CCM
Definition
Ein zerebrales Kavernom, kurz CCM, ist eine gutartige Gefäßfehlbildung, die im Gehirn lokalisiert ist. Im Rückenmark gelegene Kavernome werden als spinale Kavernome bezeichnet.
Terminologie
Zerebrale Kavernome werden häufig fälschlicherweise als kavernöse Hämangiome bezeichnet. Bei Hämangiomen handelt es sich jedoch um benigne vaskuläre Neoplasien, während zerebrale Kavernome benigne vaskuläre Hamartome sind.
Epidemiologie
Kavernome machen einen Anteil von 5 bis 15 % aller intrakraniellen vaskulären Malformationen aus. Nach der Developmental Venous Anomaly (DVA), mit der sie in 15 % assoziiert sind, und den kapillären Teleangiektasien, sind zerebrale Kavernome die dritthäufigste zerebrovaskuläre Malformation. Ihre Prävalenz in der Gesamtbevölkerung wird auf 0,1 bis 0,9 % geschätzt. Da nur etwa die Hälfte der zerebralen Kavernome klinisch in Erscheinung tritt, sind die Angaben zur Häufigkeit von Kavernomen nur bedingt aussagekräftig. Die radiologische Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter. Der Altersgipfel liegt zwischen 40 und 60 Jahren, bei familiären Formen früher.
Kavernome können in jedem Alter auftreten. Sie sind für 10 % der spontanen Hirnblutungen bei Kindern verantwortlich. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen.
Ätiologie
Zerebrale Kavernome sind angiogenetisch unreife, dünnwandige, blutgefüllte Gefäßfehlbildungen, die eine endotheliale Proliferation und eine erhöhte Neoangiogenese aufweisen. Neben den hereditären Formen existieren auch sehr seltene erworbene CCMs, die meist nach vorheriger Strahlentherapie auftreten. Ungefähr 3,5 % der Kinder, die eine Ganzhirnbestrahlung erhalten, entwickeln nach einer mittleren Latenzzeit von 3 Jahren (3 - 102 Monate) multiple CCMs.
Genetik
Ca. 80 % der zerebralen Kavernome treten solitär und sporadisch auf. In etwa 20 % der Fälle liegt eine familiäre Form vor: Sie ist durch ein multiples Auftreten und ein aggressiveres klinisches Erscheinungsbild gekennzeichnet. Es handelt sich um einen autosomal-dominanten Erbgang mit variabler Penetranz. Bisher (2024) konnten bereits drei Gene identifiziert werden, die für 70 bis 80 % der familiären Formen ursächlich sind:
- KRIT1 (bzw. CCM1 auf Chromosom 7 an Genlokus 7q21.2): Das Protein spielt normalerweise eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der strukturellen Integrität der Gefäßarchitektur. Ein biallelischer Verlust der Genfunktion führt zu unkontrollierter Angiogenese.
- CCM2 (auf Chromosom 7 an Genlokus 7p13 )
- PDCD10 (bzw. CCM3 auf Chromosom 3 an Genlokus 3q26.1)
Bei 5 bis 15 % der familiären CCM-Fälle kann kein ursächliches Gen identifiziert werden.
Darüber hinaus spielt der Transkriptionsfaktor KLF4 sowohl bei familiären als auch sporadischen zerebralen Kavernomen eine wichtige Rolle: Er reguliert verschiedene vaskuläre Funktionen wie die Angiogenese sowie die Gefäßpermeabilität und ist ein Hauptregulator bei der endothelial-mesenchymalen Transformation.
Assoziierte Anomalien
Zerebrale kavernöse Malformationen sind die häufigste Komponente bei gemischten Gefäßmalformationen (meist kavernös-venös und kavernös-kapillär).
Pathophysiologie
Kavernome sind durch einen langsamen bis stagnierenden Blutfluss gekennzeichnet. Dies bedingt das gehäufte Auftreten von intraluminalen Thrombosen mit sekundärer Organisation und partieller Rekanalisation, sowie die Ausbildung verdickter und verkalkter Gefäßwände.
Weiterhin kommt es häufig zu intra- und extraläsionalen Mikroblutungen aus dem Kavernom, die zur Ablagerung von Hämosiderin und Cholesterinkristallen in- und außerhalb der Läsion führen. Diese bedingen eine gliomatöse Umgebungsreaktion, die als Ursache von epileptischen Anfällen diskutiert wird.
Pathologie
Lokalisation
Kavernome können sowohl solitär als auch multipel im gesamten zentralen Nervensystem (ZNS) auftreten. Etwa 75 % der Kavernome des ZNS treten supratentoriell auf, dabei vor allem im frontalen oder parietalen Marklager. Rund 15 % sind im Kleinhirn oder im Hirnstamm lokalisiert. Die restlichen 5 % finden sich im Rückenmark.
Innerhalb des Hirnstamms liegt der weitaus größte Anteil der Kavernome im Bereich der Pons, aber auch im Mesenzephalon gibt es einige Kaverome. Die Medulla oblongata ist eher seltener betroffen.
Im Bereich des Myelons finden sich 2/3 aller Kavernome thorakal und 1/3 zervikal.
Größe
Die Größe von Kavernomen reicht von winzigen, mikroskopischen Läsionen bis hin zu riesigen Malformationen, die einen ganzen Lappen oder den Großteil einer Hirnhemisphäre einnehmen können.
Makroskopie
Kavernome erscheinen als eine kompakte, schwammartige Ansammlung von rötlich-violetten, blutgefüllten "Kavernen", zwischen denen kein neurales Gewebe liegt. Die meisten Kavernome sind von einem rostfarbenen Rand aus gliotischem, induriertem Hirngewebe umgeben.
Histologie
Mikroskopisch finden sich dicht gepackte, mit Epithel ausgekleidete, sinusoidal erweiterte Gefäßkanäle ("Kavernen"), die in einem kollagenen Stroma eingebettet sind. Diese Endothelzellen unterliegen einer Transition von Endothel zu Mesenchym. Den Gefäßen fehlt typischerweise elastisches Gewebe und sie haben in der Regel dünne, seltener auch verdickte und hyalinisierte Wände. Einige Kanäle sind teilweise oder vollständig thrombosiert und weisen unterschiedlich alte Blutungen auf. Ein gliotischer, Hämosiderin-haltiger Rand umgibt die Läsion.
Innerhalb des Kavernoms findet sich kein Hirnparenchym, was das Kavernom von den kapillären Teleangiektasien unterscheidet. Das umgebende Gehirn weist häufig reaktive Veränderungen und Hämosiderinablagerungen auf. Dystrophische Verkalkungen sind in CCMs häufig.
Klinik
Das klinische Bild der zerebralen Kavernome reicht von asymptomatischen Verläufen bis hin zu schweren neurologischen Symptomen infolge einer Blutung. Die Symptome sind abhängig von der Größe und Lokalisation der Gefäßmissbildung.
Etwa die Hälfte der zerebralen Kavernome – insbesondere kleine Läsionen – verursachen keine Beschwerden und werden häufig als Zufallsbefund im Rahmen einer radiologischen Untersuchung des Kopfes gefunden. Bei der Hälfte aller Patienten kommt es zu epileptischen Anfällen. Kopfschmerzen und fokal-neurologische Defizite (z.B. Paresen, Hyp- oder Dysästhesien, Diplopie) sind ebenfalls häufig. Weitere unspezifische Symptome sind Tinnitus, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.
Verlauf
Der klinische Verlauf ist unvorhersehbar. Typisch für Kavernome sind rezidivierende spontane intraläsionale Blutungen. Alle Kavernome neigen zur Größenprogredienz. Bei familiären Formen entwickeln sich im Laufe des Lebens immer wieder de-novo-Läsionen.
Das Blutungsrisiko bei solitären Läsionen beträgt ca. 0,25 bis 0,75 % pro Jahr (kumulativ) und ist bei Frauen höher. Bei familiären Formen ist das kumulative Blutungsrisiko höher und liegt bei 1 bis 5 % pro Läsion und Jahr.
Das Blutungsrisiko variiert auch je nach radiologischem Erscheinungsbild bzw. in Abhängigkeit vom Nachweis von akuten oder subakuten Blutabbauprodukten in der MRT (siehe Zambranski-Klassifikation).
Zudem hängt das Blutungsrisiko auch von der Lokalisation ab. Bei Kavernomen im Hirnstammbereich beträgt es ca. 2,5 bis 7 % pro Jahr. Die Gefahr einer Rezidivblutung liegt bei supratentoriellen Kavernomen bei etwa 5 % pro Jahr, im Hirnstammbereich steigt das Risiko einer erneuten Blutung auf 5 bis 20 % pro Jahr.
In der Schwangerschaft galt das Blutungsrisiko lange Zeit ebenfalls als erhöht. Neuere Studien zeigen jedoch kein erhöhtes Blutungsrisiko.[1]
Aufgrund ihrer Lage im Niederdrucksystem kommt es bei Kavernomen im Gegensatz zu echten arteriovenösen Angiomen praktisch nie zu Massenblutungen.
Diagnose
Neben der symptomorientierten Anamnese wird eine neurologische Untersuchung zur Feststellung von fokal-neurologischen Defiziten durchgeführt. Die weitere Diagnostik der zerebralen Kavernome basiert auf bildgebenden Verfahren.
Radiologie
Der klassische radiologische Befund eines Kavernoms ist eine gut umschriebene Raumforderung mit gemischter Dichte bzw. Signalintensität, die von einem vollständigen Hämosiderinrand umgeben ist. Insgesamt erscheint das Kavernom wie ein "Popcornball". CCMs können mikroskopisch kleine bis sehr große (> 6 cm) Läsionen sein. In seltenen Fällen kann eine CCM (oft in Kombination mit venösen Fehlbildungen) einen ganzen Hirnlappen einnehmen.
Computertomografie
Die Computertomografie (CT) wird als primäre Bildgebung im Rahmen der Akut- und Notfalldiagnostik eingesetzt. Die meisten Kavernome sind zu klein, um in der CT erkannt zu werden. Größere Läsionen erscheinen typischerweise hyperdens und können in ca. einem Drittel der Fälle verstreute intraläsionale Verkalkungen aufweisen. Nach Kontrastmittelgabe ist ein geringes Enhancement möglich. Sie sind gut begrenzt und zeigen keinen raumfordernden Effekt, es sei denn, es liegt eine kürzlich zurückliegende Blutung vor. Bei familiären Formen lassen sich begleitend Verkalkungen der Nebenniere feststellen.
Magnetresonanztomografie
Die Magnetresonanztomografie (MRT) gilt als Methode der Wahl. Sie ermöglicht Aussagen über Morphologie, Lokalisation, Ausdehnung und eine raumfordernde Wirkung. Die unterschiedlichen Erscheinungsbilder werden in der Zambranski-Klassifikation berücksichtigt (siehe unten):
Das typische Erscheinungsbild ist eine diskrete netzartige oder popcornförmige Läsion mit unterschiedlich alten Blutprodukten, die in unterschiedlich großen Kavernen enthalten sind (Zambranski-Typ II). Dabei können Flüssigkeit-Flüssigkeit-Spiegel mit unterschiedlichen Signalintensitäten vorkommen. Der Kern mit gemischtem Signal ist von einem T2w-hypointensem Hämosiderinsaum umgeben, der in T2*-Sequenzen ein Blooming-Artefakt zeigt.
Bei einer subakuten Blutung (Zambranski-Typ I) findet sich ein hyperintenses Signal in T1w und ein gemischtes hyper- bis hypointenses Signal in T2w.
T2*-Sequenzen (GRE, SWI) sollten immer durchgeführt werden, um nach weiteren Läsionen zu suchen. Hypointense Punkte mit Blooming stellen Mikroblutungen dar (Zabramski-Typ IV).
Nach Kontrastmittelgabe findet sich meist kein Enhancement. Eine leichte bis moderate Kontrastmittelaufnahme ist jedoch möglich. Wenn eine CCM mit einer DVA koexistiert, kann das venöse "Angiom" ein starkes Enhancement aufweisen. Bei diesen histologisch "gemischten" Gefäßmissbildungen muss berücksichtigt werden, dass der venöse Abfluss nicht reseziert wird, da sonst ein postoperativer Veneninfarkt droht.
Bei familiären CCM1-Trägern können abnorme Hyperintensitäten der weißen Substanz auftreten, die sich räumlich von den kavernösen Malformationen unterscheiden.
Zambranski-Klassifikation
Die Zambranski-Klassifikation basiert auf dem radiologischen Erscheinungsbild und nicht auf histologischen Befunden:[2][3]
- Typ I: subakute Hämorrhagie
- hyperintenser Kern in T1w
- hyper-/hypointens Kern in T2w
- Typ II: unterschiedlich alte Hämorrhagien
- gemischtes zentrales Signal mit Hyper- und Hypointensitäten in T1w und T2w
- hypointenser Randsaum mit Blooming in T2w
- klassischerweise "popcorn-artiges" Muster
- teilweise blutgefüllte Kavernen mit Flüssigkeit-Flüssigkeit-Spiegel
- Typ III: chronische (resobierte) Hämorrhagie mit Hämosiderinresten
- zentral hypo- bis isointens in T1w und hypointens in T2w
- hypointenser Randsaum mit Blooming in T2w
- Typ IV: punktförmige Mikroblutungen
- hypointense Punkte mit Blooming in T2* (GRE, SWI)
Typ I und II haben eine signifikant höhere Blutungsrate als die Typen III und IV. Der Nachweis von akuten oder subakuten Blutabbauprodukten in der MRT ist der stärkste Indikator für ein erhöhtes Blutungsrisiko (mittlere jährliche Blutungsrate von 20 - 25 % im Vergleich zu 3 - 4 %). Bei Typ IV ist die mittlere jährliche Blutungsrate mit 1 % am niedrigsten.
Angiografie
Zerebrale Kavernome haben keine identifizierbaren zuführenden Arterien oder ableitenden Venen. DSA, CTA und MRA sind in der Regel negativ, es sei denn, die CCM ist mit einer anderen vaskulären Fehlbildung (meist einer DVA) assoziiert. Man spricht dann auch von angiografisch "okkulten" vaskulären Malformationen. Selten kann ein venöses Pooling mit Kontrastmittelakkumulation in einer oder mehreren der Kavernen festgestellt werden.
Differentialdiagnosen
Die häufigste Differentialdiagnose ist eine gemischte Gefäßmalformation mit einer CCM als dominierende Komponente. Gelegentlich kann eine hämorrhagische oder dicht verkalkte Neoplasie (z.B. ein Glioblastom oder ein Oligodendrogliom) wie ein zerebrales Kavernom imponieren.
Multifokale punktförmige Hypointensitäten in der T2*-Sequenz finden sich auch bei chronischer hypertensiver Enzephalopathie, zerebraler Amyloidangiopathie, diffuser axonaler Verletzung und kortikalen Kontusionen.
Hämangiome, d.h. benigne vasoformative Neoplasien, dürfen nicht mit zerebralen Kavernomen verwechselt werden. Sie kommen vor allem in der Haut und den Weichteilen des Kopfes und Halses vor. Hämangiome im ZNS sind selten und treten dann am häufigsten in den duralvenösen Sinus und den Hirnhäuten und nicht im Hirnparenchym auf.
Therapie
Die Therapie des Kavernoms richtet sich u.a. nach der Lokalisation, der operativen Zugänglichkeit, der Nähe zu eloquenten Kortexarealen sowie nach den Symptomen und dem Blutungsrisiko.
Eine Operationsindikation besteht typischerweise bei:
- supratentoriellen Kavernomen, die zu einer medikamentös schlecht behandelbaren Epilepsie führen
- Kavernomen, die zu einer symptomatischen Blutung geführt haben
- Kavernomen mit starker Größenprogredienz
Bei Behandlungsindikation mit guter operativer Zugänglichkeit ist die mikrochirurgische Resektion des Kavernoms, teilweise mit sparsamer Mitresektion der umgebenden Gliosezone, das operative Verfahren der Wahl. Es wird unter MR-gestützter Neuronavigation und ggf. unter Zuhilfenahme von 3D-Ultraschall oder neurophysiologischem Monitoring durchgeführt.
Konservative Therapieansätze sind symptomorientiert und implizieren u.a. die rehabilitative Behandlung neurologischer Defizite oder die antiepileptische Therapie. Bei asymptomatischen zerebralen Kavernomen wird eine abwartende Haltung eingenommen.
Literatur
- Vaskuläre Neurochirurgie. Funktionelle Neurochirurgie, Andreas Raabe, Veit Rohde (2011)
- Neurovaskuläre Erkrankungen: Klinik und Therapie zerebraler Kavernome, Piek, Jürgen; Gaab, Michael R.; Waltraud; Kleist-Welch Guerra, Waltraud (2001)
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Leitlinie Zerebrale Gefäßmalformationen, abgerufen am 10.09.2020
- Akers A et al. Synopsis of Guidelines for the Clinical Management of Cerebral Cavernous Malformations: Consensus Recommendations Based on Systematic Literature Review by the Angioma Alliance Scientific Advisory Board Clinical Experts Panel, Neurosurgery. 2017 May; 80(5): 665–680, abgerufen am 11.09.2020
Quellen
- ↑ Merlino L et al. Cerebral cavernous malformation: Management and outcome during pregnancy and puerperium. A systematic review of literature. J Gynecol Obstet Hum Reprod. 2021
- ↑ Zabramski JM et al. The natural history of familial cavernous malformations: results of an ongoing study, J Neurosurg. 1994 Mar;80(3):422-32, abgerufen am 11.09.2020
- ↑ Zafar A et al. Familial Cerebral Cavernous Malformations, Stroke. 2019 May; 50(5): 1294–1301, abgerufen am 11.09.2020
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