Sinus durae matris
von lateinisch: sinus - Brust, Bucht; durus - hart; mater - Mutter
Synonyme: Hirnsinus, Hirnblutleiter
Englisch: sinus of the dura mater, brain sinus, dural venous sinus
Definition
Die Sinus durae matris sind die aus Duraduplikaturen hervorgehenden großen venösen Blutgefäße des Gehirns. Sie leiten das Blut aus den oberflächlichen und tiefen Hirnvenen in die Vena jugularis interna.
Histologie
Die Sinus liegen in Duplikaturen der Dura mater, vor allem an den Ansatzstellen von Tentorium cerebelli und Falx cerebri. Die Wand besteht aus derb-fibrösem kollagenem Gewebe, das aus der periostalen und meningealen Schicht der Dura gebildet wird. Zum Lumen hin sind sie mit Endothel ausgekleidet. Im Gegensatz zu den meisten Venen des menschlichen Organismus haben die Sinus durae matris keine Venenklappen und keine Muskelschichten. In bestimmte Sinus, vor allem den Sinus sagittalis superior, ragen Arachnoidalzotten hinein. Sie dienen der Resorption des Liquor cerebrospinalis.
Anatomie
Zu den Sinus durae matris gehören die im Folgenden aufgelisteten Gefäße:
- Sagittales-okzipitales System:
- Transverso-sigmoidales System:
- Petrosales und kavernöses System:
Die Sinus kommunizieren über Anastomosen und münden letztlich in die Vena jugularis interna. Am Confluens sinuum vereinigen sich Sinus sagittalis superior, Sinus rectus und Sinus occipitalis. Über klappenlose Emissarvenen (z.B. Vena emissaria mastoidea, parietalis, condylaris) bestehen Verbindungen zu diploischen und oberflächlichen Kopfvenen.
Normvarianten
- Asymmetrie: Der Sinus transversus ist häufig einseitig dominant (meist rechts); die Gegenseite kann hypoplastisch oder aplastisch sein.
- Confluens sinuum: Hochgradig variabel. Häufig drainiert der Sinus sagittalis superior direkt in den dominanten Sinus transversus.
- Sinus occipitalis: variabel oder fehlend; bei Persistenz Verbindung zwischen Confluens und Foramen magnum.
- Sinus petrosi superior et inferior: zeigen häufig Kaliberasymmetrien und variable Anastomosen zum Sinus cavernosus oder zur Vena jugularis interna.
- Kavernöses System: Kann durch zahlreiche Anastomosen bilateral kommunizieren (interkavernöse Sinus), teilweise stark plexiform.
Physiologie
Die Sinus durae matris sichern den venösen Rückstrom aus dem Gehirn bei gleichzeitig niedrigem intravasalem Druck. Durch ihre starre Wandung bleiben sie unabhängig von den intrakraniellen Druckverhältnissen offen. Der Blutfluss verläuft überwiegend von anterior nach posterior und von superior nach inferior, mit Endstrecke über die Vena jugularis interna. Neben der venösen Drainage erfüllen die Sinus eine wesentliche Funktion in der Liquorresorption. Über die Arachnoidalzotten wird der Liquor cerebrospinalis entlang eines Druckgradienten in das venöse System abgegeben.
Embryologie
Die Entwicklung der duralen Sinus beginnt in der 4.-6. Embryonalwoche parallel zur Ausbildung der primären Hirnvenen. Ausgangspunkt ist ein weitmaschiges, plexiformes Venennetz, das aus der Vena capitis medialis und der Vena capitis lateralis hervorgeht. Diese beiden longitudinalen Sammelgefäße drainieren zunächst die sich entwickelnden Hirnbläschen. Durch Wachstumsverschiebungen des Gehirns, insbesondere der Ausdehnung der Hemisphären und der Schädelbasis, kommt es zu einer Umlagerung der venösen Strukturen und zur sukzessiven Ausbildung der definitiven duralen Sinus.
Der Sinus sagittalis superior und der Sinus rectus entstehen aus dorsalen Anteilen der Vena capitis medialis, während der Sinus transversus und der Sinus sigmoideus aus lateralen Anteilen der Vena capitis lateralis hervorgehen. Der Sinus cavernosus und die petrosalen Sinus entwickeln sich sekundär aus venösen Plexusstrukturen um die sich differenzierende Schädelbasis. Zwischen der 8. und 12. Woche konsolidieren sich diese Strukturen zu klar abgegrenzten Kanälen innerhalb der Dura mater.
Charakteristisch ist, dass in dieser Phase viele Übergangsvenen und Anastomosen bestehen, die im weiteren Verlauf obliterieren oder regressieren. Persistierende embryonale Verbindungen (z.B. Sinus falcinus, der Sinus occipitalis oder zusätzliche transversale Anastomosen) sind nicht selten und besitzen in der Regel keinen Krankheitswert, können aber in der Bildgebung mit pathologischen Thrombosen oder Gefäßmalformationen verwechselt werden.
Mit der fortschreitenden Ossifikation des Schädels und der Differenzierung der Dura mater wird die Lage der Sinus fixiert. Postnatal folgt noch eine Phase funktioneller Reifung, in der die venösen Abflusswege asymmetrisch dominieren können. Diese Entwicklungsdynamik erklärt die im Erwachsenenalter häufig beobachteten Kaliberasymmetrien.
Klinik
Sinusvenenthrombose
Die Sinusvenenthrombose (SVT) ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung, die durch einen thrombotischen Verschluss eines oder mehrerer Sinus entsteht. Sie kann blande infolge prothrombotischer Zustände, hormoneller Einflüsse, Dehydratation oder Trauma auftreten, oder septisch durch Fortleitung von Infektionen aus dem Gesichts- oder Nasenbereich. Pathophysiologisch kommt es zu venösem Rückstau, gestörter Drainage und konsekutivem Hirnödem oder Blutung.
Klinisch stehen Kopfschmerzen, fokal-neurologische Defizite, epileptische Anfälle und Bewusstseinsstörungen im Vordergrund. Diagnostisch wird die Erkrankung am zuverlässigsten mittels MR- oder CT-Venographie erkannt. Therapeutisch erfolgt zunächst eine Antikoagulation mit Heparin, gefolgt von einer oralen Weiterbehandlung, in sehr seltenen Fällen ergänzt durch Thrombektomie oder lokale Lyse.
Sinussphlebitis
Unter einer Sinusphlebitis versteht man eine entzündliche Beteiligung der Sinuswand, meist als Folge einer lokalen Infektion. Häufige Ursprungsorte sind die Nasennebenhöhlen, das Mittelohr oder das Mastoid. Symptome sind Fieber, Kopfschmerz, Vigilanzstörungen und Zeichen eines erhöhten Hirndrucks. Aufgrund der Verwechslungsgefahr mit der gleichnamigen Nasennebenhöhlenentzündung sollte der Begriff "Sinusitis" vermieden werden.
Duralvenöse Sinusstenosen
Stenosen der duralen Sinus treten bevorzugt im Übergangsbereich zwischen Sinus transversus und Sinus sigmoideus auf. Sie können idiopathisch oder sekundär durch erhöhten Liquordruck entstehen. Stenosen der duralen Sinus können sowohl Folge als auch auslösender Faktor der idiopathischen intrakraniellen Hypertension (IIH) sein. Dabei finden sich häufig bilaterale Stenosen der Sinus transversi, die mit einer gestörten Liquorresorption und venösen Hypertension einhergehen. Klinisch manifestiert sich dies durch Kopfschmerzen, Sehstörungen, Papillenödem und gelegentlich pulsatilen Tinnitus. Die Diagnostik erfolgt mittels MR- oder CT-Venographie, während die hämodynamische Relevanz durch Kathetervenographie mit Druckmessung bestimmt wird. Bei einem transstenotischen Druckgradienten über 8–10 mmHg kann eine endovaskuläre Stentimplantation indiziert sein. Das venöse Sinus-Stenting hat sich in den letzten Jahren als wirksame Therapieoption bei therapierefraktärer IIH etabliert.
Durale AV-Fistel
Durale arteriovenöse Fisteln (dAVF) sind erworbene Kurzschlussverbindungen zwischen meningealen Arterien und den Sinus durae matris. Sie entstehen meist sekundär nach Sinusvenenthrombosen oder traumatischen Duraverletzungen durch reaktive Angiogenese und venöse Hypertension. Klinisch manifestieren sie sich abhängig von der Lokalisation mit pulsatilem Tinnitus, ophthalmologischen Symptomen oder Hirndruckzeichen. Die Diagnostik erfolgt mittels MR- oder CT-Angiographie und wird zur Therapieplanung durch eine digitale Subtraktionsangiographie (DSA) ergänzt. Therapeutisch steht die endovaskuläre Embolisation im Vordergrund, ergänzt durch chirurgische oder kombinierte Verfahren bei komplexen Fisteln.
Pulsatiler Tinnitus
Ein pulsierender, herzsynchoner Tinnitus kann durch pathologische Veränderungen der duralen Sinus verursacht werden. Häufig liegen Stenosen, Wanddefekte oder Divertikel im Bereich des Sinus sigmoideus vor, die zu turbulenten Flussverhältnissen führen. Die Diagnostik erfolgt mit CT- oder MR-Angiographie. Therapeutisch können knöcherne Rekonstruktionen ("Resurfacing") oder endovaskuläre Stentimplantationen zu einer Beseitigung des Symptoms führen.
Blutentnahme
Die Blutentnahme aus duralen Sinus wird heute (2025) nur im Rahmen hochspezialisierter neuroradiologischer Katheteruntersuchungen durchgeführt. Historisch wurde beim Säugling gelegentlich versucht, über die vordere Fontanelle Blut aus dem Sinus sagittalis superior zu entnehmen. Dieses Verfahren gilt jedoch seit Jahrzehnten als obsolet, da es mit erheblichen Risiken wie Luftembolie, Blutung, Thrombose und Infektion verbunden ist.
Das klinisch wichtigste Verfahren ist das Inferior Petrosal Sinus Sampling (IPSS), das zur Differenzierung von hypophysärem und ektopischem Ursprung eines ACTH-abhängigen endogenen Cushing-Syndroms dient. Dabei werden beidseits Katheter in die Sinus petrosi inferiores eingebracht, und Blutproben simultan zentral und peripher entnommen.
Darüber hinaus existieren seltene diagnostische Varianten des venösen Samplings. Dazu gehören das Sampling aus dem Sinus cavernosus oder dem Sinus petrosus superior bei seltenen neuroendokrinen Tumoren sowie venöse Probenentnahmen aus dem Bulbus jugularis bei speziellen neurovaskulären oder endokrinologischen Fragestellungen.