Etoposid
Handelsnamen: ETO-cell®, Eto-GRY®, Etomedac®, Etopophos®, Riboposid®, Vepesid®
Synonyme: ETP, NSC 141540, VP-16, VP 16213
Englisch: etoposide
Definition
Etoposid ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Topoisomerase-Hemmstoffe, der als Zytostatikum zur Behandlung verschiedener Krebserkrankungen eingesetzt wird.
Chemie
Etoposid ist ein halbsynthetisches Glykosid-Derivat des Podophyllotoxins. Die Summenformel ist C29H32O13. Chemische Namen sind
- 9-(4,6-O-Ethyliden-β-D-glucopyranosid)-4'-demethyl-epipodophyllotoxin
- (5S,5aR,8aR,9R)-5-[[(2R,4aR,6R,7R,8R,8aS)-7,8-Dihydroxy-2-methyl-4,4a,6,7,8,8a-hexahydropyrano[3,2-d][1,3]dioxin-6-yl]oxy]-9-(4-hydroxy-3,5-dimethoxyphenyl)-5a,6,8a,9-tetrahydro-5H-[2]benzofuro[6,5-f][1,3]benzodioxol-8-on (IUPAC)
Die molare Masse beträgt 588,6 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 0,73. Die CAS-Nummer lautet 33419-42-0. Bei Raumtemperatur liegt die Substanz als weißes, kristallines, hygroskopisches Pulver vor, ist geruchlos und in Wasser unlöslich, aber leicht löslich in Methanol, Dimethylsulfoxid und Ethanol. Unter der Einwirkung von Licht und Wärme kann sich die Farbe verändern.[1]
Etoposid kommt natürlich in Podophyllum pelatum (Maiapfel) vor. Zur Gewinnung werden die Wurzeln verwendet.
Wirkmechanismus
Etoposid ist ein nicht-interkalierend wirkender Hemmstoff der DNA-Topoisomerase II (Topo II), der seine zytostatischen Effekte vor allem in der späten S-Phase und der frühen G2-Phase des Zellzyklus entfaltet, was einen Stillstand der Mitose in der G2-Phase zur Folge hat. Durch die Komplexbildung von Etoposid mit Topo II wird das Enzym daran gehindert, an Reparaturprozessen von DNA-Strangbrüchen teilzunehmen, sodass es zu einer Unterbrechung der DNA-Replikation kommt und die Proliferation von Tumorzellen gestoppt wird (IC50 59,2 μM). Diese Komplexbildung ist reversibel, was im Zuge der Elimination von Etoposid zum Wirkungsverlust führt.[1][2]
Pharmakokinetik
Etoposid wird nach oraler Aufnahme rasch resorbiert. Die Bioverfügbarkeit schwankt von 25 bis 74 %. Maximale Plasmaspiegel werden nach 30 Minuten bis 4 Stunden erreicht. Die Plasmaproteinbindung beträgt 74 bis 90 %, das Verteilungsvolumen 0,17 bis 0,5 l/kgKG. Etoposid erreicht im Darm, in der Leber und den Nieren die höchsten Gewebespiegel. Im Liquor beträgt die Konzentration nur 2 bis 10 % des Blutspiegels. Bei der Biotransformation entsteht durch Öffnen des Laktonrings ein Hydroxysäure-Metabolit [4'-Dimethyl-epipodophyllinsäure-9-(4,6-O-ethyliden-β-D-glucopyranosid)]. Durch Cytochrom-P450-Isoenzym CYP3A4 erfolgt eine O-Demethylierung des Dimethoxyphenolrings. Die Elimination erfolgt zu 45 % mit dem Urin, davon 15 % in metabolisierter Form. Mit den Fäzes werden 1,5 bis 16 % der applizierten Dosis ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt nach oraler Applikation 4 bis 11 Stunden. Nach intravenöser Injektion ist die Elimination biphasisch (α-Phase 1,4 ± 0,4 Stunden; β-Phase 5,7 ± 1,8 Stunden).[1][2]
Indikationen
Etoposid wird allein oder in Kombination zur Chemotherapie maligner Tumoren eingesetzt:[2]
- Kleinzelliges Bronchialkarzinom
- Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom (Palliativtherapie)
- Morbus Hodgkin (Reinduktionstherapie nach Standardtherapie)
- Non-Hodgkin-Lymphom (bei intermediärer und hoher Malignität Bestandteil des EPOCH-Schemas)
- Akute myeloische Leukämie (Remissionsinduktion)
- Hodentumoren (Bestandteil des PEB-Schemas)
- Chorionkarzinom bei Frauen
- Ovarialkarzinom (Palliativtherapie)
Darreichungsform
Etoposid steht in Form von Kapseln zur oralen Anwendung und als Lösung zur intravenösen Infusion zur Verfügung.
Dosierung
- Orale Applikation:
100 bis 200 mg/m²/d über 5 Tage; Wiederholung im Abstand von 3 bis 4 Wochen[2] - Intravenöse Infusion:
Verdünnung mit physiologischer Natriumchloridlösung; mit 5%iger Glucose ist die Lösung instabil und es kann zur Präzipitation kommen; Konzentration nicht höher als 0,25 mg/ml; Infusion über mindestens 30 Minuten; bei der Verabreichung von Etoposid sollten keine Inline-Filter verwendet werden.[1][3]- Solide Tumoren: 60 bis 100 mg/m²/d über 3 bis 5 Tage; Wiederholung im Abstand von 3 bis 4 Wochen.
- Leukämie: 60 bis 100 mg/m²/d an 5 aufeinander folgenden Tagen; Wiederholung in Abhängigkeit von den Veränderungen des Blutbilds.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Etoposid sind:[2]
- Knochenmarksuppression
- Sekundäre akute Leukämie
- Myokardinfarkt, Arrhythmie
- Exanthem, Urtikaria, Pruritus, Anaphylaxie
- Schwindel
- Gefäßerkrankungen
- Mukositis
- Übelkeit, Asthenie, Diarrhö
- Leberschädigung
Zu den gefährlichsten Nebenwirkungen von Etoposid gehören kardiotoxische Effekte. Experimentelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass dabei eine Schädigung der Mitochondrien von entscheidender Bedeutung ist und dass die Aktivierung des Ferroptosewegs, der durch das p53-Protein reguliert wird, wahrscheinlich der kritische Pfad für die durch ETP induzierte Kardiotoxizität ist.[4]
Wechselwirkungen
Durch gleichzeitige Anwendung von
- Ciclosporin, Cisplatin wird die Clearance von Etoposid reduziert (Wirkungsverstärkung),
- Phenytoin wird die Clearance von Etoposid gesteigert (Wirkungsverminderung),
- Warfarin steigt die Blutungsneigung (INR-Anstieg),
- knochenmarksupprimierenden Wirkstoffen kommt es zu additiven oder synergistischen Wirkungen.
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Etoposid oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels
- Anwendung von Gelbfieberimpfstoff bzw. Lebendvirus-Vakzine
Schwangerschaft und Stillzeit
Im Tierexperiment wurden reproduktionstoxische Wirkungen durch Etoposid nachgewiesen. Gebärfähige Frauen müssen geeignete Maßnahmen zur Empfängnisverhütung anwenden, um eine Schwangerschaft während der Etoposid-Therapie zu verhindern.
Etoposid tritt in die Muttermilch über und kann Säuglinge schädigen. Ob das Stillen zu unterbrechen ist oder auf die Behandlung während der Stillzeit verzichtet werden soll, ist im Einzelfall zu entscheiden.
Toxizität
Intravenöse Anwendung (2,4 g/m² bis 3,5 g/m² über drei Tage) führte zu schwerer Mukositis und Myelodepression. Bei noch höherer Dosierung kam es zu metabolischer Azidose und schwerer Leberschädigung.[2] Es ist davon auszugehen, dass es zu weiteren zytotoxisch bedingten Symptomen kommen kann, die im Extremfall ein Multiorganversagen auslösen können. Eine primäre Giftentfernung durch Verabreichung von Aktivkohle kann innerhalb einer Stunde nach der Ingestion erfolgen. Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch. Ein spezifisches Antidot steht bisher (2024) nicht zur Verfügung. Aufgrund seiner pharmakokinetischen Eigenschaften (hohe Plasmaproteinbindung) ist eine sekundäre Giftentfernung durch Hämodialyse nicht effektiv.
ATC-Code
- L01CB01 - Antineoplastische Mittel - Pflanzliche Alkaloide und andere natürliche Mittel - Podophyllotoxin-Derivate
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Etoposide. Chemical Book, abgerufen am 18.12.2023
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Vepesid, Bristol-Myers Squibb, abgerufen am 18.12.2023
- ↑ Etoposid: Risiko für infusionsbedingte Überempfindlichkeitsreaktionen bei Verabreichung mit Inline-Filter. Rote Hand Brief 14.12.2023, abgerufen am 18.12.2023
- ↑ Nemade H et al. Cell death mechanisms of the anti-cancer drug etoposide on human cardiomyocytes isolated from pluripotent stem cells. Arch Toxicol. 2018
Weblinks
- Drugs.com - Etoposide. Abgerufen am 18.12.2023
- Drugbank - Etoposide. Abgerufen am 18.12.2023
- Gelbe Liste Wirkstoffe - Etoposid. Abgerufen am 18.12.2023
- PubChem: 36462
- MeSH: 68005047
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