Endokarditisprophylaxe
Englisch: endocarditis prophylaxis
Definition
Als Endokarditisprophylaxe bezeichnet man vorbeugende medizinische Maßnahmen, die der Verhinderung einer Herzinnenhautentzündung (Endokarditis) dienen. Im Regelfall ist damit eine antibiotikabasierte Behandlung von Risikopersonen zum Schutz vor einer infektiösen Endokarditis gemeint.
Hintergrund
Hinsichtlich der Empfehlungen zur Endokarditisprophylaxe herrscht sowohl national als auch international kein endgültiger Konsens. In der Vergangenheit wurden die Indikationen von den kardiologischen Fachgesellschaften zunehmend eingeschränkt, da den bisherigen Empfehlungen keine ausreichende Evidenz zugrunde lag. Auch wird mittlerweile angenommen, dass für eine infektiöse Endokarditis alltägliche Bakteriämien, z.B. durch Zähneputzen oder Kauen, möglicherweise ein höheres Risiko beherbergen als seltene iatrogen (z.B. durch Zahnbehandlung) verursachte Bakteriämien.
Insgesamt sollte beachtet werden, dass nicht indizierte Gaben von Antibiotika generell risikobehaftet sind und die Bildung von Resistenzen fördern. Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß transitorischer Bakteriämien zu reduzieren.
Es lassen sich allgemeine Maßnahmen von einer medikamentösen bzw. antibiotischen Prophylaxe unterscheiden.
Allgemeinmaßnahmen
Allgemeinmaßnahmen zur Verhinderung einer infektiösen Endokarditis sind vor allem dann sinnvoll, wenn der Patient bereits ein erhöhtes Risiko für eine infektiöse Endokarditis mitbringt. Ein wichtiger Grundbaustein ist dabei die Schulung zu den Themen Hygiene, Infektionszeichen und Verhalten bei Fieber unklarer Ursache (FUO). Allgemeinmaßnahmen haben aber auch bei Menschen ohne Risikofaktoren eine hohe Relevanz.[1][2]
Eigenmaßnahmen des Patienten
- Sorgfältige Zahn- und Mundhygiene, sowie regelmäßige zahnärztliche Kontrollen (ggf. gesamte Familie). Sie sind für die Prävention entscheidender als eine Gabe von Antibiotika.
- Gute Haut- und Nagelhygiene (z.B. bei Akne)
- Unterlassung von antibiotischer Selbstmedikation
- Vermeidung von Piercings und Tattoos
Ärztliche Maßnahmen
- Sanierungen potenzieller Sepsisherde (auch dental). Sie sollten möglichst mehr als 2 Wochen vor Einsatz von intrakardialem (z.B. Klappenprothese) oder intravaskulären Fremdmaterial abgeschlossen sein.
- Therapie chronischer Hauterkrankungen
- Behandlung chronischer bakterieller Besiedlung von Haut und Harnwegen
- Antibiotische Therapie bakterieller Infektionen
- Wunddesinfektion
- Zurückhaltender Einsatz von Kathetern und Infusionszugängen
- Steriles Arbeiten und Desinfektion bei Risikobehandlungen (z.B. Manipulation an intravenösen Kathetern)
- Präferenz von peripheren Venenzugängen gegenüber zentralen Venenkathetern; striktes Handeln nach Algorithmen für zentrale und periphere Zugänge
- Frühzeitige Entfernung von Fremdmaterialien (Tubus, temporäre Schrittmacherkabel oder Drainagen)
Weiterhin relevant ist die kausale Therapie von angeborenen Herzfehlern, die Behandlung residualer Befunde nach Einbringung von prothetischem Fremdmaterial sowie eine Zurückhaltung bei Einsatz von Fremdmaterial in der Herzchirurgie (rekonstruktive Klappenchirurgie bevorzugen).
Antibiotikaprophylaxe
Aktuell (2023) wird eine antibiotische Endokarditisprophylaxe nur noch für Hochrisikogruppen bei bestimmten Risikoeingriffen empfohlen.
Hochrisikogruppen
Zu den sogenannten Hochrisikogruppen für eine infektiöse Endokarditis zählen Personen, die folgende Risikofaktoren aufweisen:[1][2]
- Patienten nach überstandener Endokarditis
- Personen mit Herzklappenprothese (chirurgisch/interventionell) oder nach Klappenrekonstruktion mit Fremdmaterial
- bis sechs Monate nach Implantation von Fremdmaterial (z.B. Gefäßprothesen, Vena-cava-Filter oder zentralvenöse ventrikulo-atriale Shunts)
- Bei angeborenen Herzfehlern (außer isolierte angeborene Herzklappenanomalien)
- unbehandelte zyanotische Herzfehler
- chirurgisch/interventionell behandelte Herzfehler unter Verwendung von prothetischem Material (z.B. eingesetzten Conduits und systemisch-pulmonalen/palliativen Shunts) oder bei residualen Defekten
- Patienten mit Herzunterstützungssystem (VAD)
Es gibt Hinweise, dass Patienten mit einem intermediären Risiko (z.B. bei rheumatischen Herzerkrankungen, degenerativen oder kongenitalen Klappenerkrankungen, Herzschrittmacher, hypertrophe Kardiomyopathie) auch von einer Prophylaxe profitieren könnten, jedoch ist die Datenlage unklar. Ebenso ist bei Herztransplantaten ggf. eine Prophylaxe zu erwägen.
Aufgrund des nicht eindeutigen Konsens bei den Empfehlungen zur Endokarditisprophylaxe ist nach Nutzen-Risiko-Analyse durch das behandelnde ärztliche Personal, ein individuelles Handeln u.U. auch nach älteren Leitlinien in Einzelfällen möglich.
Risikoeingriffe
Bei Zugehörigkeit zu einer der oben genannten Hochrisikogruppen ist eine Endokarditisprophylaxe besonders bei oralchirurgischen und zahnärztlichen Risikoeingriffen indiziert. Dazu zählen u.a.
- Zahnextraktionen
- parodontalchirurgische Eingriffe
- Implantationschirurgie (ggf. inkl. Nachsorge)
- orale Biopsien
- Platzierung kieferorthopädischer Bänder
- Eingriffe mit Manipulation der Gingiva und/oder der periapikalen Zahnregion (inkl. Zahnsteinentfernung und Wurzelbehandlung).
Laut der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie und angeborene Herzfehler (DGPK) sollte weiterhin bei bestimmten Behandlungen am Respirationstrakt eine Prophylaxe erfolgen. Zu diesen Risikobehandlungen zählen
- Tonsillektomie
- Adenotomie
- Eingriffe mit Inzision der Mukosa
- Biopsien
Bei gastrointestinalen und urogenitalen Eingriffen oder Eingriffen am Respirationstrakt, Haut und Weichteilen/muskuloskelettalem System wird laut DGPK anstelle einer Prophylaxe eine antimikrobielle Therapie empfohlen, sofern eine manifeste Infektion im Zielgewebe vorliegt (z.B. bei Abszessdrainage, Pleuraempyem und Wundinfektion).
Bei Einsatz von Alloprothetik bzw. Fremdmaterial im Zuge von kardio- und gefäßchirurgischen Behandlungen kann eine perioperative, prophylaktische Antibiotikatherapie sinnvoll sein. Der Wirkstoff sollte sich hierbei u.a. gegen koagulasenegative Staphylokokken und Staphylococcus aureus richten. Weiterhin wird vor herzchirurgischen Eingriffen ein Screening auf eine nasale Besiedlung mit Staphylococcus aureus empfohlen. Vor kathetergestützten Klappenbehandlungen (z.B. TAVI) sollten zudem Keime der Hautflora (inklusive Enterococcus spp. und Staphylococcus aureus) bedacht werden.
Substanzen
Die Wahl des Antibiotikums unterscheidet sich je nach Lokalisation des Eingriffs. Generell müssen auch ortsspezifische Erreger und Resistenzen bei der Auswahl des Wirkstoffs berücksichtigt werden. Je nach Erregerspektrum und betroffener Person wird letztlich individuell entschieden.
Die Verabreichung erfolgt i.d.R. eine halbe Stunde bis Stunde vor dem jeweiligen Eingriff. Mögliche Substanzen für Eingriffe im Mund-Rachen-Raum und Respirationstrakt (cave: Viridans- bzw. orale Streptokokken) sind:
- Aminopenicillin (Amoxicillin, Ampicillin)
- Cefazolin, Ceftriaxon, Cefalexin (bzw. andere orale Cephalosporine der 1. oder 2. Generation)
- Azithromycin, Clarithromycin
- Doxycyclin
- Penicillin G/V
Cave: Cephalosporine sollten nicht bei Personen mit vorangegangener Anaphylaxie, Angioödem oder Urtikaria nach Penicillin- oder Ampicillineinnahme angewendet werden.
In der ESC-Guideline von 2023 wird Clindamycin nicht mehr empfohlen, u.a. wegen Komplikationen mit Clostridioides difficile.[1]
Leitlinien
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Delgado et al., 2023 ESC Guidelines for the management of endocarditis: Developed by the task force on the management of endocarditis of the European Society of Cardiology (ESC), European Heart Journal, 2023
- ↑ 2,0 2,1 awmf.org – S2k-Leitlinie Infektiöse Endokarditis und Endokarditisprophylaxe im Kindes- und Jugendalter, Stand 28.09.2022
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