Alpha-Thalassämie
Synonym: α-Thalassämie
Definition
Als Alpha-Thalassämie bezeichnet man eine genetisch bedingte Synthesestörung der α-Globinkette des Blutfarbstoffs Hämoglobin. Die Erkrankung gehört zu den Thalassämien und im weiteren Sinne zu den Hämoglobinopathien.
- ICD-10-Code: D56.0
Genetik
Die Alpha-Ketten werden durch 4 Gene (2 maternale, 2 paternale) des kurzen Arms von Chromosom 16 codiert, d.h. die Genausstattung ist doppelt vorhanden (αα/αα). Durch nicht homologe Rekombination innerhalb der Meiose kann es zum Verlust (Deletion) eines oder mehrerer α-Globin-Gene kommen. Seltener ist eine Punktmutation die Ursache. Das (-α)-Allel wird als Thalassämie-2-Gen bezeichnet, das (--)-Allel als Thalassämie-1-Gen.
Formen
Entsprechend der Anzahl dysfunktionaler oder fehlender α-Globingene unterscheidet man verschiedene Ausprägungsgrade der α-Thalassämie. Im Gegensatz zur β-Thalassämie kann die α-Thalassämie schon beim Fetus manifest werden, da das fetale Hämoglobin (HbF, α2γ2) α-Ketten, aber keine β-Ketten enthält.
α-Thalassaemia minima (α-Thalassämie-2)
Der Ausfall eines Gens (-α/αα) macht sich klinisch nicht bemerkbar (stiller Trägerstatus). Diese Form findet sich bei ca. 20 % der Menschen afrikanischer Herkunft. Die Ursache ist vermutlich, dass dadurch die klinische Manifestation einer Sichelzellanämie abgeschwächt wird, wodurch ein Selektionsvorteil entsteht.
α-Thalassaemia minor (α-Thalassämie-1)
Sind zwei Gene betroffen, resultiert eine leichtgradige hypochrome mikrozytäre Anämie. Genetisch kann eine Cis- von einer Trans-Deletion unterschieden werden:
- Cis-Deletion bzw "α-thal-1 (--/αα)": Sehr seltene Heterozygotie für eine Deletion, die beide Gene auf dem gleichen Chromosom betrifft
- Trans-Deletion bzw. "α-thal-2 (-α/-α)": Deletion der α-Gene auf homologen Chromosomen
α-Thalassaemia intermedia (HbH-Krankheit)
Nachkommen, die compound-heterozygot für α-Thalassämie-2 und α-Thalassämie-1 sind, haben einen schwereren Phänotyp, da drei Gene betroffen sind (--/-α) und die Produktion adulten Hämoglobins (HbA) nur ungefähr 30 % des Normalwerts beträgt. Die Neugeborenen akkumulieren nach der Umstellung der Hämoglobinbildung von fetalem auf adultes Hämoglobin ungepaarte β-Ketten, die Tetramere bilden. Diese werden als Hämoglobin H (HbH) bezeichnet. Sie bilden Einschlüsse in Erythroblasten und präzipitieren in Erythrozyten zu sogenannten Heinz-Körpern. Das führt zu einer mäßig schweren hämolytischen, hypochromen, mikrozytären Anämie. Die Erythropoese ist nur leicht beeinträchtigt. Häufig überleben die Patienten bis in das mittlere Erwachsenenalter ohne Transfusionen.
Weiterhin kann eine HbH-Krankheit auch ohne Deletion entstehen, z.B. bei Vorliegen von Hämoglobin Constant Spring. Eine Beeinträchtigung im ATRX-Signalweg kann ebenfalls zur Entstehung von HbH und somit zur α-Thalassämie führen - z.B. bei Patienten mit Myelodysplasie (ATMDS), Erythroleukämie oder beim ATR-X-Syndrom.
Hämoglobin-Barts-Krankheit
Eine Homozygotie für die α-Thalassaemia-1-cis-Deletion (--/--) führt dazu, dass keine α-Globine synthetisiert werden. Ein Überschuss an γ-Globinen führten zu Tetrameren, die als Hämoglobin Barts bezeichnet werden. Dieses pathologische Hämoglobin besitzt eine hohe Sauerstoffaffinität, sodass fast kein Sauerstoff in das fetale Gewebe abgegeben wird. Folglich kommt es zur Asphyxie, Ödemen (Hydrops fetalis), Herzversagen und Tod in utero.
Klinik
Je nach Form reicht das Spektrum von asymptomatischen Trägerstatus bis hin zum Tod in utero. Kommt es zum Auftreten einer Anämie, manifestiert sich diese meist mit
- Abgeschlagenheit,
- verminderter Leistungsfähigkeit,
- Müdigkeit,
- Kopfschmerzen,
- Belastungsdyspnoe,
- Tachykardie und
- Schwindel
Bei der HbH-Krankheit zeigen sich darüber hinaus weitere Symptome:
- Splenomegalie, fakultativ mit Hypersplenismus
- Hepatomegalie
- milder Ikterus
- Skelettveränderungen, insbesondere im Gesicht (ähnlich wie bei β-Thalassämie)
- Gallensteine
- sehr selten Hydrops fetalis
Bei der schwersten Form der α-Thalassämie, der Hb-Barts-Krankheit, zeigen sich bereits intrauterin Zeichen einer Herzinsuffizienz, generalisierte Ödeme (Hydrops fetalis), eine ausgeprägte Hepatosplenomegalie sowie ein verzögertes Gehirnwachstum, ein Hydrozephalus, urogenitale und kardiovaskuläre Veränderungen. Weiterhin kann es zur Präeklampsie der Mutter, Poly- oder Oligohydramnion und Frühgeburtlichkeit kommen.
Diagnostik
Die Labordiagnostik der Alpha-Thalassämie umfasst u.a.:
- Blutausstrich
- Blutbild (Hämoglobin-Konzentration, MCV, Mentzer-Index)
- Hämolyseparameter (Haptoglobin, Retikulozytenzahl, indirektes Bilirubin, LDH, Kalium)
- molekulargenetische Untersuchung
Durch die Hämoglobin-Elektrophorese (HBEL) ist – im Gegensatz zu β-Thalassämien – keine sichere Diagnose möglich. Die alpha-Globinkette kommt in allen drei Hämoglobinkomponenten (HbA, HbF, HbA2) vor, sodass es zu keiner Verschiebung der Hb-Anteile kommt.
In der Bildgebung sind die Hepatosplenomegalie und die Skelettveränderungen (z.B. Bürstenschädel) auffällig.
Therapie
Die α-Thalassaemia minima und α-Thalassaemia minor bedürfen meist keiner Therapie. Bei der HbH-Krankheit sind in der Regel nur gelegentliche Bluttransfusionen nötig. Eine Eisenüberladung im Verlauf muss dann mit Eisenchelatoren behandelt werden. Bei manifestem Hypersplenismus kommt eine Splenektomie infrage. Bisher sind nur wenige Fälle von postnatal überlebenden Feten mit Hb-Barts-Krankheit beschrieben.
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