Schnitzler-Syndrom
nach der französischen Dermatologin Liliane Schnitzler
Synonyme: Chronische Urtikaria mit Gammopathie, chronische Urtikaria mit Makroglobulinämie
Englisch: Schnitzler syndrome
Definition
Das Schnitzler-Syndrom ist eine seltene Erkrankung, die durch eine Kombination aus chronischer Urtikaria, monoklonaler IgM-Gammopathie, Arthralgien und Fieberschüben gekennzeichnet ist.
Geschichte
Erstbeschreiberin des Schnitzler-Syndroms war die französische Dermatologin Liliane Schnitzler, die Anfang der 1970er Jahre erstmals einzelne Fälle eines chronischen, nicht-juckenden urtikariellen Exanthems mit begleitend auftretendem Fieber, Knochenschmerzen, erhöhter Blutsenkungsgeschwindigkeit und einer monoklonalen Gammopathie beobachtete.[1] Der erste beschriebene Patient starb an einer diffusen lymphoplasmazellulären Infiltration des Knochenmarks und der Leber 23 Jahre nach der Syndrombeschreibung.
Epidemiologie
Das Schnitzler-Syndrom ist eine sehr seltene Erkrankung, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird. Das durchschnittliche Erkrankungsalter beträgt 50 Jahre. Männer sind leicht bevorzugt betroffen. Bisher (2024) sind ca. 300 Fälle beschrieben.
Ätiopathogenese
Die genaue Ursache des Schnitzler-Syndroms ist derzeit (2024) unklar. Es zählt zu den idiopathischen Fiebersyndromen. Beruhend auf einer Reihe von experimentellen Daten und klinischen Beobachtungen wird es pathogenetisch den autoinflammatorischen Erkrankungen mit polygenetischem, multifaktoriellem Hintergrund zugeordnet. So kann eine stark vermehrte Produktion proinflammatorischer Zytokine IL-1β und IL-6 aus peripheren mononukleären Blutzellen (PBMCs) beobachtet werden, die sich durch Zugabe des IL-1-Antagonisten Anakinra neutralisieren lässt.[2][3] Außerdem wird eine erhöhte Serumkonzentration von IL-18 beobachtet.[4][5] Somit scheinen Inflammasom-assoziierte Zytokine eine entscheidende Rolle zu spielen. Wie beim Cryopyrin-assoziiertem periodischem Syndrom (CAPS) lassen sich in Einzelfällen somatische Mutationen im NLRP3-Gen bzw. ein Polymorphismus mit unklarer phänotypischer Relevanz zeigen.[6][7][8] Jedoch gilt das Schnitzler-Syndrom als polygenetische multifaktorielle Erkrankung.
Auch klinisch ähnelt das Schnitzler-Syndrom dem CAPS. Pathogenetisch scheinen Mastzellen als IL-1β-Produzenten in Hautläsionen wichtig zu sein.[9][10] Die monoklonale Gammopathie ist möglicherweise ein sekundäres Phänomen der Aktivierung bestimmter Signalkaskaden. Teilweise wird sie auch als krankheitsverursachend im Sinne einer agonistischen Wirkung am IL-1-Rezeptor bzw. verminderter IL-1-Clearance angesehen.
Klinik
Das Schnitzler-Syndrom ist gekennzeichnet durch chronisch persistierende Entzündungen mit schubförmig auftretenden Fieberepisoden variabler Dauer und stammbetontem urtikariellem Exanthem mit tageszeitlicher Dynamik (Höhepunkt am Abend). Dabei ist meist kein oder nur minimaler Juckreiz vorhanden. Teilweise werden brennende Parästhesien der Haut beschrieben. Im Gegensatz zur chronischen Urtikaria treten Angioödeme nur selten auf. Weitere Symptome sind:
- Arthralgien, Myalgien, Knochenschmerzen
- Kopfschmerzen
- Abgeschlagenheit, Müdigkeit
- Lymphadenopathie
- Splenomegalie
Als mögliche Triggerfaktoren für das schubförmige Auftreten kommen unter anderem Kälte, Stress sowie Infekte infrage.
Komplikationen
Bei 15 - 20 % der Patienten entwickelt sich aus der monoklonalen Gammopathie nach Jahren bis Jahrzehnten eine lymphoproliferative Erkrankung (z.B. Morbus Waldenström oder multiples Myelom). In Einzelfällen ist die Entstehung einer AA-Amyloidose beschrieben.
Diagnostik
Das Schnitzler-Syndrom wird primär klinisch anhand von Anamnese, körperlicher Untersuchung und labormedizinischen Befunden diagnostiziert.
Anamnese
Eine gezielte Anamnese sollte Fragen zu Symptombeginn und Krankheitsverlauf, Bestehensdauer der urtikariellen Effloreszenzen und Vorhandensein von Juckreiz sowie Ansprechen bzw. Therapieresistenz gegenüber Antihistaminika beinhalten. Des Weiteren sollten Auslöser wie Kälte, Stress, Infekte und assoziierte Symptome wie Arthralgien, Müdigkeit und Fieber erfragt werden.
Körperliche Untersuchung
Eine ausführliche körperliche Untersuchung ist wichtig, hierbei sollte ein besonderer Fokus auf die Untersuchung der Haut, der Lymphknoten und den Bewegungsapparat gelegt werden.
Weitergehende Diagnostik
Laborchemisch wird neben einer Untersuchung des Blutbildes eine Bestimmung von CRP und Serumamyloid A (SAA) empfohlen. SAA ist bei Vorliegen einer Amyloidose kontinuierlich stark erhöht und eignet sich neben dem CRP als sensitiver Marker für die Überprüfung der klinischen Krankheitsaktivität unter Therapie.
Eine orientierende Serumelektrophorese zeigt oft einen Anstieg der Gammaglobulinfraktion. Für den Nachweis einer monoklonalen Gammopathie ist die Durchführung einer Immunfixation notwendig. Auch eine quantitative Messung der Freien Leichtketten im Serum kann hilfreich sein.[11] Bei positivem Befund erfolgt eine hämatologische Abklärung zum Ausschluss eines Lymphoms mittels einer Knochenmarkbiopsie und eine Bildgebung (Thorax-CT, Abdomen-CT). Ein Urinstatus sollte zum Ausschluss einer Proteinurie, die hinweisend auf eine Amyloidose ist, erfolgen.
Gegebenenfalls kann eine Hautbiopsie aus den Läsionen entnommen werden. Hier ist in den meisten Fällen ein dermales, neutrophiles Infiltrat erkennbar.
Je nach Befund können weitere apparative Untersuchungen durchgeführt werden, wie bspw. eine Knochenszintigrafie oder eine MRT der Knochen. Mögliche, derzeit (2024) nicht etablierte Biomarker für die Diagnosestellung und zum Therapiemonitoring sind VEGF, IL-1-Rezeptorantagonist (IL1Ra) im Serum sowie die phagozyten-spezifischen Proteine S100A8/9 und S100A12.
Diagnosekriterien
Hilfreich für die Diagnose sind die Straßburg-Kriterien:
Hauptkriterien |
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Nebenkriterien |
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Dabei müssen beide Haupt- und mindestens 2 Nebenkriterien, im Falle einer IgG-Gammopathie 3 Nebenkriterien vorliegen. Von einer wahrscheinlichen Diagnose spricht man, wenn 2 Hauptkriterien sowie 1 Nebenkriterium (bei IgM) bzw. 2 Nebenkriterien (bei IgG) vorliegen.
Differentialdiagnosen
Die wichtigste kutane Differenzialdiagnose ist die chronische spontane Urtikaria (csU). Sie unterscheidet sich vom Schnitzler-Syndrom durch das gehäufte Auftreten von Angioödemen in bis zu 50 % der Fälle und durch begleitenden Juckreiz. Des Weiteren spricht die csU auf Antihistaminika oder Anti-IgE-Antikörper wie Omalizumab an.
Bei persistierender Urtikaria, Arthralgien, Fieber und Abgeschlagenheit kommen Systemerkrankungen wie die Urtikariavaskulitis sowie andere autoinflammatorische Erkrankungen wie CAPS oder der adulte Morbus Still (AoDS) infrage. Bei der Urtikariavaskulitis lässt sich pathohistologisch eine leukozytoklastische Vaskulitis nachweisen. Beim CAPS ist eine Familienanamnese hilfreich. Außerdem treten beim CAPS die Symptome meist bereits im frühen Kindesalter auf und eine monoklonale Gammopathie kommt nicht vor. Der adulte Morbus Still unterscheidet sich vom Schnitzler-Syndrom durch häufig begleitende initiale Pharyngitis, Transaminasenanstieg und stark erhöhte Ferritin-Spiegel. Des Weiteren ist das Exanthem meist makulopapulös bis urtikariell und oft lachsfarben.
Therapie
Es existiert derzeit (2024) keine zugelassene Therapie für das Schnitzler-Syndrom. Die Hautsymptome zeigen kein Ansprechen auf Antihistaminika. Auch entzündungshemmende Medikamente wie Colchicin, nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) oder Glukokortikoide zeigen keine oder nur eine begrenzte Wirksamkeit.
Eine schnelle und anhaltende Besserung der klinischen Symptomatik und eine deutliche Reduktion der Entzündungsparameter kann durch den Einsatz von IL-1-Blockern erreicht werden. Der IL-1-Rezeptor-Antagonist Anakinra wird regelmäßig Off-Label eingesetzt.[12] Für Rilonacept und Canakinumab liegen ebenfalls mehrere kleine Studien vor, die ein gutes Ansprechen zeigten.[13][14]
Da insbesondere Knochen- und Gelenkschmerzen häufig nicht komplett ansprechen, werden vielfach zusätzlich NSAR und z.T. auch Morphine sowie niedrigdosierte orale Glukokortikoide eingesetzt. Als therapeutische Alternative kann der Anti-IL-6-Antikörper Tocilizumab erwogen werden. Eine PUVA-Therapie konnte ebenfalls in einigen Fällen die Urtikaria unterdrücken.
Quellen
- ↑ Schnitzler L. Lésions urticariennes chroniques permanentes (érythème pétaloïde?) Cas cliniques. Journee Dermatologique d`Angers 1972 n ° 46 B
- ↑ Launay D. et al. Effect of in vitro and in vivo anakinra on cytokines production in Schnitzler syndrome. PLoS One. 2013
- ↑ Ryan JG et al. IL-1 blockade in Schnitzler syndrome: ex vivo findings correlate with clinical remission. J Allergy Clin Immunol. 2008
- ↑ Migliorini P et al. Free circulating interleukin-18 is increased in Schnitzler syndrome: a new autoinflammatory disease? Eur Cytokine Netw. 2009
- ↑ Bhattacharyya J et al. Elevated interleukin-18 secretion from monoclonal IgM+ B cells in a patient with Schnitzler syndrome. J Am Acad Dermatol. 2012
- ↑ Loock J et al. Genetic predisposition (NLRP3 V198M mutation) for IL-1-mediated inflammation in a patient with Schnitzler syndrome. J Allergy Clin Immunol. 2010
- ↑ de Koning HD et al. Myeloid lineage-restricted somatic mosaicism of NLRP3 mutations in patients with variant Schnitzler syndrome. J Allergy Clin Immunol. 2015
- ↑ Rowczenio DM et al. Clinical characteristics in subjects with NLRP3 V198M diagnosed at a single UK center and a review of the literature. Arthritis Res Ther. 2013
- ↑ Nakamura Y et al. Mast cells mediate neutrophil recruitment and vascular leakage through the NLRP3 inflammasome in histamine-independent urticaria. J Exp Med. 2009
- ↑ de Koning HD et al. Mast-cell interleukin-1β, neutrophil interleukin-17 and epidermal antimicrobial proteins in the neutrophilic urticarial dermatosis in Schnitzler's syndrome. Br J Dermatol. 2015
- ↑ Simon A. et al. Schnitzler’s syndrome: diagnosis, treatment, and follow-up. Allergy 2013; 68: 562–568
- ↑ Simon A. et al. Schnitzler’s syndrome: diagnosis, treatment, and follow-up. Allergy 2013; 68: 562–568
- ↑ Krause K et al. Efficacy and safety of the interleukin-1 antagonist rilonacept in Schnitzler syndrome: an open-label study. Allergy. 2012
- ↑ de Koning HD et al. Sustained efficacy of the monoclonal anti-interleukin-1 beta antibody canakinumab in a 9-month trial in Schnitzler's syndrome. Ann Rheum Dis. 2013
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