Alkoholtoxischer Leberschaden
Synonyme: alkoholische Leberkrankheit, alkoholische Lebererkrankung, ALE, alkoholtoxische Hepatitis, alkoholische Hepatopathie
Englisch: alcoholic liver disease
Definition
Der alkoholtoxische Leberschaden ist eine infolge von Alkoholabusus entstehende Schädigung der Leber, die mit reversiblen Stadien beginnend in eine Leberzirrhose münden kann.
ICD-10-Codes
- ICD-10-Code K70.- : Alkoholische Leberkrankheit
- K70.0: Alkoholische Fettleber
- K70.1: Alkoholische Hepatitis
- K70.2: Alkoholische Fibrose und Sklerose der Leber
- K70.3: Alkoholische Leberzirrhose
- K70.4: Alkoholisches Leberversagen
- K70.9: Alkoholische Leberkrankheit, nicht näher bezeichnet
Epidemiologie
Alkoholtoxische Leberschädigungen sind in Deutschland sehr häufig. Mindestens ein Drittel aller Lebererkrankungen des Erwachsenen sind auf einen erhöhten Alkoholkonsum zurückzuführen. Pro Jahr sterben etwa 10 von 10.000 Menschen in Westeuropa an den Folgen einer alkoholbedingten Leberzirrhose.[1]
Ätiologie
Alkohol wirkt auf die Leber toxisch. Die Grenze und das Ausmaß der Toxizität des Alkohols sind individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Bestimmende individuelle Faktoren sind unter anderem das Geschlecht, der Ernährungszustand, das Vorliegen einer genetischen Prädisposition, die Enzymausstattung und eventuell vorliegende Vorerkrankungen. Dennoch lassen sich allgemeine Grenzen formulieren.
Als allgemeine Grenzen für den der Leber zumutbaren Alkoholkonsum gelten:
- 40 g Alkohol/d für den Mann
- 20 g Alkohol/d für die Frau
Die Menge von 40 g Alkohol für den Mann entspricht zwei kleinen Gläsern Rotwein (400 ml) oder zwei Pilsgläsern Bier (800 ml). Werden diese Trinkmengen chronisch überschritten, besteht ein stark erhöhtes Risiko für eine alkoholtoxische Leberschädigung bis hin zur Zirrhose: 60-80g täglich erhöhen das Risiko für die Zirrhosemorbidität um das 15-fache (Mann) bzw. das 500-fache (Frau).[2]
Einigen Studien zufolge soll ein moderater regelmäßiger Alkoholkonsum unterhalb der oben genannten Grenzen eine protektive Wirkung auf das kardiovaskuläre System aufweisen und so das Risiko von Herzinfarkten oder ischämischen Hirninsulten senken. Bisher (2021) ist jedoch nicht vollständig klar, ob dies für jegliche Art alkoholischer Getränke gilt. Einige Autoren schreiben nur dem Rotwein und in ihm enthaltenen Antioxidanzien eine protektive Wirkung zu.
In einem 2018 veröffentlichten Review wurde die Literatur zum Thema Alkoholkonsum und kardiovaskuläre Gesundheit untersucht und ausgewertet. Die Autoren folgerten, dass es zwar Hinweise auf einen förderlichen Effekt von leichtem bis moderatem Alkoholkonsum auf das kardiovaskuläre Profil und die Mortalität gäbe. Dennoch limitierten die Limitationen der Literatur die Bestimmung einer starken Kausalität, die nur zukünftige strukturierte randomisierte und kontrollierte Studien zeigen könnten.[3]
Pathophysiologie
Bei chronischem Alkoholkonsum verändert sich die Verstoffwechselung des Alkohols. Neben der Alkoholdehydrogenase, die normalerweise die Hauptlast des Alkoholabbaus bewältigt, wird zunehmend das MEOS (Mikrosomales ethanoloxidierendes System) aktiviert. Das MEOS basiert auf CYP2E1 und verbraucht verhältnismäßig mehr Sauerstoff für den Alkoholabbau. Das führt zur vermehrten Freisetzung stärker lebertoxischer Substanzen wie Acetaldehyd.
Hierdurch kommt es vor allem in den Zentren der Leberläppchen zur Akkumulation toxischer Metaboliten und Hypoxien. Resultat ist zunächst eine Verfettung der Leber, auf die bei ungehemmt fortgeführtem Konsum fast immer Leberzellnekrosen und Fibrose folgen.
Pathohistologie
Histopathologisch dominiert in den Anfangsstadien das Bild einer unter Alkoholkarenz reversiblen Fettleber (Steatosis hepatis), gefolgt von einer unvollständig reversiblen alkoholischen Steatohepatitis (ASH). Schließlich entsteht eine Leberfibrose, die in eine mikronoduläre Leberzirrhose übergeht.
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Klinik
Kernsymptomatik
Die Symptomatik der alkoholtoxischen Leberschädigung nimmt im Verlauf in drei Stadien
- Fettleber
- Fettleberhepatitis
- Leberzirrhose
kontinuierlich zu. Der Verlauf der Symptome ist jedoch trügerisch, da die ersten beiden Stadien häufig nicht zu deutlichen Störungen der Befindlichkeit führen.
Bei der klinischen Untersuchung können im ersten Stadium eine Hepatomegalie und eventuell auch Splenomegalie feststellbar sein. Bei Fortschreiten zur Fettleberhepatitis können als Symptome hinzutreten:
- Übelkeit, Inappetenz
- Gewichtsverlust
- Schmerzen im (rechten) Oberbauch
Treten ein Ikterus und/oder Fieber auf, sind diese als maximales Warnsymptom zu betrachten. Während im Stadium der Fettleberhepatitis die Veränderungen der Leber noch nahezu vollständig reversibel sind, ist eine beginnende Fibrosierung und Leberzirrhose bereits irreversibel.
Häufigste Folge der fortgesetzten alkoholtoxischen Leberschädigung ist die Leberzirrhose mit ihren unverhinderbaren pathophysiologischen Konsequenzen. Selten kann es auch vor der Entwicklung einer Leberzirrhose zu einer fulminanten alkoholtoxischen Hepatitis kommen.
Begleiterkrankungen
Neben den Leberschäden durch Alkoholkonsum sind weitere alkoholtoxische Gesundheitsstörungen zu beachten. Hierzu gehören unter anderem:
- Verwahrlosung und Mangelernährung
- Korsakow-Syndrom und Wernicke-Enzephalopathie (Thiaminmangel)
- rezidivierende Hypoglykämien (Hemmung der Glukoneogenese durch Alkohol)
- Polyneuropathien
- Pankreatitis
- Alkoholtoxische Kardiomyopathie
- Gefährdung der sozialen und existentiellen Lebensumstände durch den Alkoholismus
Eine gefürchtete Komplikation, die mit der alkoholtoxischen Leberschädigung assoziiert ist, ist das Zieve-Syndrom, eine Trias bestehend aus Leberschädigung, Hyperlipidämie und Hämolyse.
Diagnostik
Die diagnostische Bewertung von alkoholtoxischen Leberschädigungen ist stadienabhängig mit verschiedenen Maßnahmen durchzuführen.
Wichtig ist eine anamnestische Klärung der Gewohnheiten des Alkoholkonsums (siehe auch: CAGE-Test, Alkoholikertypologie nach Jellinek). Auch sollte erfragt werden, ob eine gute hausärztliche Betreuung und Führung vorhanden ist. Diese kann für den Krankheitsverlauf und -progression entscheidend sein.
Soll ein chronischer Alkoholkonsum objektiviert werden, bietet sich die Bestimmung des Laborparameters CDT (carbohydrate deficient transferrin) an. Dieser ist vor allem bei Männern ein brauchbarer Marker für einen vorliegenden chronischen Alkoholkonsum.
Weitere labormedizinische Untersuchungen können dabei helfen, das Ausmaß der Leberschädigung zu bewerten. Bei einer reinen alkoholischen Fettleber können eine erhöhte γ-GT und erhöhte IgA-Spiegel festgestellt werden. Bei einer bereits bestehenden Fettleberhepatitis sind zusätzlich die Leberenzyme erhöht, der De-Ritis-Quotient liegt hierbei in der Regel über 1. Sind bereits die Lebersyntheseparameter (Cholinesterase, Quick-Wert, Albumin) erniedrigt, ist das Vorliegen einer Zirrhose wahrscheinlich. Ein erhöhtes MCV ist ebenfalls Hinweis auf chronischen Alkoholkonsum.
Die Sonographie ist in diesem Zusammenhang ein wertvolles ergänzendes diagnostisches Verfahren. In der Lebersonographie lassen sich die Stadien der Fettleber und Fettleberhepatitis von einer Zirrhose differenzieren. Nur selten muss zusätzlich eine Laparoskopie zur Beurteilung der Leber erfolgen.
Differentialdiagnosen
Differentialdiagnostisch sollten immer Erkrankungen der Leber (z.B. Virushepatitis, PBC) und Gallenwege (z.B. Cholestase, Cholangitis, PSC) abgeklärt werden. Diese können ähnliche Veränderungen verursachen oder als Begleiterkrankungen Gesamtzustand und -prognose des Patienten negativ beeinflussen. Ebenso sind das Vorliegen einer Adipositas und eines Diabetes mellitus als Ursachen einer nichtalkoholisch bedingten Fettleber abzugrenzen.
Bei unklaren Fällen kann eine Leberbiopsie mit histologischer Untersuchung weitere Klarheit verschaffen und eine genaue Information über den Zustand der Leber bieten.
Therapie
Alkoholkarenz
Die einzig wirksame Therapieoption ist die Alkoholkarenz. Diese ist oberstes Ziel aller Bemühungen. Bei Alkoholismus ist auf eine Therapie dieses Grundleidens hinzuarbeiten, hierzu bietet sich unter anderem eine Alkoholentzugsbehandlung unter stationären Bedingungen und psychotherapeutischer Betreuung an. Weiterhin sollte eine Anbindung an Selbsthilfegruppen und Hilfsorganisationen ("Anonyme Alkoholiker", Blaues Kreuz) erfolgen.
Vitaminsubstitution
Weitere therapeutische Maßnahmen umfassen die Substitution von Vitaminen bei Fehlernährung, wobei vor allem eine Mangelversorgung mit den B-Vitaminen Thiamin (B1) und Folsäure (B6) zu beheben ist. Sie dient der Prävention einer Wernicke-Enzephalopathie bzw. eines Korsakow-Syndrom.
Medikamentöse Therapie
Im Stadium der Fettleberhepatitis kann eine kurzfristige Therapie mit Glukokortikoiden (z.B. Prednisolon über 7 Tage) die Rekonvaleszenz beschleunigen. Voraussetzung ist der Ausschluss einer Virushepatitis. Die Gabe von N-Acetylcystein als Antioxidans ist umstritten, da sich in klinischen Studien nur eine geringe Wirksamkeit zeigte.
Prognose
Werden die therapeutischen Grundsätze eingehalten, sind die präzirrhotischen Stadien der alkoholtoxischen Leberschädigung weitgehend rückbildungsfähig. Ist bereits eine Leberzirrhose eingetreten, sind nur noch supportive Therapien möglich. Bei Leberinsuffizienz als Folge der Leberzirrhose ist die Lebertransplantation als letzte therapeutische Option zu erwägen. Diese ist jedoch seitens der Transplantationsrichtlinien an den Nachweis einer strikten, mindestens halbjährig andauernden Alkoholkarenz gebunden.
Zur Einschätzung der Prognose und zur Entscheidung notwendiger Therapiemaßnahmen werden verschiedene Prognoseindizes eingesetzt, u.a. der Maddrey-Score, der MELD-Score und das Lille-Modell.
Quellen
- ↑ Greten H et al.: Innere Medizin. 13. überarbeitete Auflage, 2010. Thieme Verlag. DOI: 10.1055/b-0034-86172
- ↑ Arasteh, Baenkler et al.: Innere Medizin. 2. Auflage, 2009. Thieme Verlag
- ↑ Goel S, Sharma A, Garg A: Effect of Alcohol Consumption on Cardiovascular Health. Curr Cardiol Rep. 2018 Mar 8;20(4):19. doi: 10.1007/s11886-018-0962-2.
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