Magendrehungskomplex (Hund)
Synonyme: Dilatatio et Torsio ventriculi, Dilatatio/Torsio ventriculi, Magenblähungs-Magendrehungs-Komplex
Definition
Als Magendrehungskomplex bzw. Dilatatio et Torsio ventriculi bezeichnet man eine perakut verlaufende Erkrankung mit hoher Letalität beim Hund.
Vorkommen
Ein Magendrehungskomplex betrifft am häufigsten großwüchsige, tiefbrüstige Hunderassen wie z.B. Doggen, Bernhardiner oder Deutscher Schäferhunde. Die betroffenen Tiere sind meist zwischen 5 und 9 Jahre alt, wobei auch deutlich jüngere Hunde erkranken können. Eine Geschlechtsprädisposition kann nicht beobachtet werden.
Eine Magendrehung (Torsio ventriculi) entsteht meist infolge einer Kombination mehrerer prädisponierender Faktoren:
- Rasse (Riesen- und Großrassen)
- genetische Einflüsse (Erblichkeit bei bestimmten Doggenlinien konnte nachgewiesen werden)
- Körperform und Gewicht (tiefe Brust, schlank)
- Alter (zwischen 5 und 9 Jahren)
- entzündliche Darmerkrankungen
- Futterart, Futtermanagement, Fresseigenschaften (hastiges Fressen und Verschlingen großer Futtermengen) und Aktivität nach dem Fressen (fehlende Ruhepause)
- Stress u.ä.
Ätiologie
Die Erkrankung entwickelt sich aus einer Wechselwirkung verschiedener Risikofaktoren, wie z.B. Verdauungsstörungen, bakterielle Besiedelung des Magens, Fütterung mit zu hohem Kohlenhydratanteil, erhöhte Fermentation, rasche Futteraufnahme in Verbindung mit Aerophagie und eine zu lockere Aufhängung des Magens, zusammen mit einer verzögerten Magenentleerung und Magenatonie.
Bei einer Torsio ventriculi kommt es gleichzeitig auch immer zu einer Überdehnung (Dilatation) des Magens infolge einer Akkumulation von Gas (durch Fermentation) und/oder Flüssigkeit. Eine reine Magendilatation entsteht immer dann, wenn sich der Magen nicht entleeren kann und der darin befindliche Inhalt (Gas oder Flüssigkeit) zu einem Druckanstieg führt. Das Abfließen des Mageninhaltes kann entweder mechanisch oder funktionell beeinträchtigt sein:
Abflussstörungen: | Verzögerte Magenentleerung: |
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Pathogenese
In den überwiegenden Fällen (mehr als 90 %) dreht sich der Magen im Uhrzeigersinn. Das heißt, dass der Pylorus aus seiner physiologischen Position entlang der rechten Thorax- bzw. Bauchwand über die Körpermitte auf die linke Seite wandert. Nach einer Drehung von maximal 270° kommt dieser links neben der Kardia zu liegen, sodass der Magen dann vom Omentum majus überzogen ist. Da die Milz über das Ligamentum gastrolienale sehr eng mit dem Magen verbunden ist, wird diese aus ihrer physiologischen Lage nahe der linken Bauchwand in Richtung Medianebene gezogen.
Der dilatierte und gedrehte Magen komprimiert die Vena cava caudalis, sodass es zu einem hypovolämischen Schock kommt. Gleichzeitig wird die Vena portae bei länger anhaltender Erkrankung durch den torquierten Magen verschlossen, was zu venösen Stauungen der Bauchorgane führt und letztendlich eine Endotoxämie und einen septischen Schock induziert. Aufgrund der hämodynamischen Beeinträchtigungen kommt es zum Abfall des arteriellen Blutdrucks und zu einer verminderten Gewebeperfusion sowie zu einer daraus resultierenden Erhöhung der Herzfrequenz. Die Schleimhäute zeigen sich blass bis zyanotisch, die kapilläre Rückfüllungszeit ist deutlich verlängert und es entwickelt sich eine Oligurie. In weiterer Folge verschlechtert sich (aufgrund der Minderperfusion des Myokards) die Herztätigkeit und es kommt zu Arrhythmien. Der Magen nimmt stetig an Volumen zu, weshalb sich der Druck auf das Zwerchfell erhöht und eine Hypoventilation mit konsekutiver respiratorischen Azidose entsteht.
Klinik
Betroffene Hunde zeigen folgende Symptome:
- Unruhe
- Würgen
- Hypersalivation
- Hecheln
- aufgetriebenes Abdomen
- blasse Schleimhäute
- Tachykardie
- kalte Akren
- verlängerte kapilläre Rückfüllzeit
Durch die stetig stärker werdenden Schmerzen und den aufgegasten Magen kommt es zu einer allgemeinen Schwäche. Ohne sofort eingeleitete Maßnahmen (Schockinfusion und Entgasung des Magens) versterben die Tiere relativ schnell am Schockgeschehen.
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch muss der Magendrehungskomplex von verschiedenen Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes abgegrenzt werden: hochgradige Magenüberladung (Überfressen), Magendilatation ohne gleichzeitiger Torsion, generalisierter Ileus, Dünndarm- bzw. Dickdarmvolvolus, Milztorsion, Zwerchfellruptur, Hiatushernie und Peritonitis.
Diagnose
Die Diagnosestellung erfolgt großteils durch die Anamnese und klinische Untersuchung (Adspektion, Palpation und Perkussion der Magengegend). Nachdem das Tier notfallmäßig stabilisiert wurde, kann mittels Röntgenaufnahmen des Abdomens (laterolateraler Strahlengang in rechter Seitenlage) die Diagnose gesichert werden. In der Röntgenbildern (in rechter Seitenlage) ist neben einem hochgradig dilatierten Magen und gleichzeitiger Magendrehung eine typische Faltenbildung ("Zipfelmützenphänomen") sichtbar. Dieses markante Bild ist pathognomonisch für eine Magendrehung.
Therapie
Eine Magendrehung ist nach ausreichender Stabilisierung des Patienten unbedingt chirurgisch zu versorgen.
Die Stabilisierung erfolgt durch eine aggressive Infusionstherapie (10 bis 40 ml/kgKG für 15 Minuten, dann Reevaluation) in Kombination mit einer perkutanen Entgasung des Magens. Parallel dazu sollte Blut für eine Laboruntersuchung gewonnen und ein EKG angelegt werden, um eine Arrhythmie feststellen zu können. Je nach Klinik und Dauer der Symptome ist eine antibiotische Abdeckung mittels Breitbandantibiotika (z.B. Cefazolin oder Enrofloxacin und Ampicillin) indiziert.
Nach ausreichender Stabilisierung ist das Tier notfallmäßig zu anästhesieren, um chirurgisch versorgt werden zu können. Ziel der Operation ist, die Vitalität des Magens und der Milz zu erhalten und die Lage beider Organe zu korrigieren. Der Magen wird eröffnet, mehrfach gespült und auf nekrotische Areale untersucht. Anschließend ist die Milz auf Vitalität und Blutungen zu überprüfen. Nach der Reponierung muss eine Gastropexie (Befestigung des Magens an der Bauchwand) durchgeführt werden.
Postoperatives Management
Auch nach einer rechtzeitigen und ausreichenden chirurgischen Versorgung ist ein Hund mit einer Magendrehung ein Intensivpatient und muss dementsprechend überwacht und therapiert werden. Folgende Punkte sind unbedingt zu beachten:
- Elektrolythaushalt (häufig kommt es zu einer Hypokaliämie)
- Flüssigkeitshaushalt (Dehydratation ausgleichen)
- Säure-Basen-Haushalt (Azidose mit Bikarbonat behandeln)
- Gastritis (Protonenpumpenhemmer, z.B. Omeprazol und/oder H2-Rezeptor-Antagonisten, z.B. Ranitidin)
- Erbrechen (Antiemetikum, z.B. Maropitant)
- Ventrikuläre Extrasystolen (treten gehäuft 12 bis 36 Stunden postoperativ auf und sind mit Antiarrhythmika, z.B. Sotalol, zu therapieren)
- Sepsis (Breitbandantibiose)
- Schmerzmanagement (Dauertropfinfusionen, z.B. Fentanyl-Lidocain-Ketamin)
Literatur
- Hans G. Niemand (Begründer), Peter F. Suter, Barbara Kohn, Günter Schwarz (Herausgeber). Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Enke-Verlag, 2012.