Infektiöse Interdigitalphlegmone (Rind)
Synonyme: IP, Zwischenklauenphlegmone, Zwischenklauenpanaritium, Phlegmona interdigitalis
Englisch: interdigital phlegmon, foot-rot, foul in the foot
Definition
Eine Interdigitalphlegmone ist eine akute, eitrig-nekrotisierende Entzündung der Haut und des subkutanen Bindegewebes im Interdigitalspalt (Zwischenklauenspalt) beim Rind.
Epidemiologie
Die Interdigitalphlegmone wird zu den infektiösen Klauenerkrankungen gezählt und tritt weltweit sporadisch auf. Sie kommt mit einer geringen Prävalenz von 0,4 bis 5 % endemisch in Milch- und Mastrinderherden vor.
Die Inzidenz ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, u.a. von der Hygiene, vom Wetter, der Jahreszeit, dem Weidegang und der Aufstallungsform. Unabhängig von der Rasse und vom Geschlecht erkranken Rinder jeden Alters - bevorzugt jedoch 2 Monate vor der Geburt (ante partum) bzw. 2 Monate danach (post partum).
Die Erkrankung hat eine große wirtschaftliche Bedeutung in Milchviehbetrieben, da betroffene Einzeltiere hochgradig lahm sind und einen drastischen Rückgang der Milchleistung zeigen. Wird die Erkrankung zu spät erkannt oder zu spät adäquat therapiert, können große finanzielle Verluste (Remontierung) entstehen.
Ätiologie
Die Interdigitalphlegmone ist eine Faktorenkrankheit, die v.a. durch lokale Verletzungen bzw. Mazeration der Haut durch feuchte Umgebung begünstigt wird. Zusätzlich sind Traumen durch Steine, raue Betonoberfläche, Kanten der Spaltenböden, Stoppeln, Holzsplitter, trockene Weiden sowie Mazeration und Aufweichung der Haut durch Wasser, Kot und Harn (mangelnde Hygiene, sumpfige Weiden, Regenperioden) für die Ausbildung einer Interdigitaphlegmone verantwortlich.
Durch eine Schädigung der Haut können verschiedene anaerobe Bakterien in die Wunde eintreten und das Erkrankungsbild verkomplizieren (infektiöse Zwischenklauennekrose). Zu den typischen Erregern zählen:
- Fusobacterium necrophorum (Serotyp A, AB, B)
- Dichelobacter nodosus
- Porphyromas levii
Die wichtigste Rolle spielt das ubiquitär vorkommende Fusobacterium necrophorum. Die verschiedenen Serotypen produzieren Endo- und Exotoxine mit leukozider und hämolytischer Wirkung, die für die nekrotisierende Entzündung verantwortlich sind. Meistens siedeln sich zusätzlich noch ubiquitäre Kommensalen in den Wunden an, die zu einer Mischinfektion führen (z.B. Trueperella pyogenes, Staphylococcus aureus, Escherichia coli oder Spirochäten).
Klinik
Interdigitaphlegmonen kommen hauptsächlich an der Hinterextremität vor und betreffen meist nur eine Seite. Typisch für die Erkrankung ist ein rasches Auftreten einer Schwellung (binnen weniger Stunden) - in Kombination mit einer deutlichen Lahmheit. Das Krankheitsbild kann in zwei Stadien unterteilt werden.
Anfangsstadium
Das Anfangsstadium ist durch einen plötzlichen Beginn der Symptome innerhalb weniger Stunden gekennzeichnet. Es bildet sich eine entzündliche Schwellung sowie ein flächenhaftes Erythem der Haut im Zwischenklauenspalt und der Haut um die dorsale Kommissur. In manchen Fällen kommt es oberflächlich zu einer Nekrose der Epidermis. Das betroffene Hautareal ist mittelgradig bis hochgradig druckdolent und der Zwischenklauenspalt ist gering- bis mittelgradig erweitert. Betroffene Tiere zeigen deutliche Entlastungsstellungen und eine Lahmheit 3. Grades (nach Sprecher et al.).
Fortgeschrittenes Stadium
Im fortgeschrittenen Stadium sind ausgeprägte Nekrosen vorhanden. Die Haut ist gerötet bzw. braun-schwarz verfärbt und ledrig. Es kommt zur Nekrose tiefer liegender Gewebe (Subkutis, interdigitales Bindegewebe und Fettgewebe sowie Bandstrukturen). Die gesamte Zehe sowie die distale Gliedmaße treten aufgrund einer entzündlichen, diffusen Schwellung deutlich in Erscheinung. Der Zwischenklauenspalt ist hochgradig schmerzhaft, mittel- bis hochgradig erweitert und von eitrigem Exsudat ausgefüllt.
Infolge der Gewebsnekrosen kommt es zu Demarkationen (gelb-braun demarkierte Gewebeteile, die teils lose zwischen den Zehen liegen). Die Hautveränderungen gehen mit einem typisch faulig-süßlichen Geruch, Lahmheit 4. bis 5. Grades (nach Sprecher et al.), Inappetenz, Gewichtsverlust, Fieber und stark reduzierter Michleistung einher.
Komplikationen
Wird eine Interdigitaphlegmone nicht rechtzeitig erkannt oder inadäquat therapiert, können aufgrund der räumlichen Nähe des Klauengelenks (ca. 1 bis 1,5 cm) Infektionen des Klauenbeins, der Bursa podotrochlearis und der tiefen Beugesehne entstehen. Durch die hämatogene Streuung der Erreger entwickelt sich eine Septikämie mit pyogenen Thrombosen der distalen und proximalen Gliedmaßenvenen sowie der Vena cava caudalis. In weiterer Folge entwickeln sich septische Arthritiden, Pyelonephritis sowie Leber-, Milz- und Lungenabszesse.
Ein perakuter Krankheitsverlauf (super-foul) ist sehr selten. Dieser ist durch eine diffuse flächenhafte Nekrose der Haut des Interdigitalspaltes sowie dorsal bzw. palmar/plantar davon (inkl. tief liegender Gewebestrukturen) gekennzeichnet. Trotz fachgerechter Behandlung schreitet die Erkrankung unkontrolliert voran und lässt sich in den meisten Fällen nicht mehr behandeln.
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch sind insbesondere folgende Klauenerkrankungen auszuschließen:
- infizierter Limax
- Dermatitis digitalis
- Schnittwunden mit Granulationsgewebe
- nicht-infektiöse Ekzeme durch fehlerhafte Fütterung (Mauke) oder durch chemische Noxen (zu hoch konzentrierte Desinfektionsmittellösungen)
- systemische Erkrankungen mit lokalen Veränderungen (z.B. Mucosal disease, bösartiges Katarrhalfieber, Maul- und Klauenseuche, vesikuläre Stomatitis oder Chorioptes-Räude)
Diagnose
Die Diagnose wird anhand der typischen Morphologie, der Lokalisation und der raschen Entwicklung von Schwellung und mittelgradiger Lahmheit innerhalb weniger Stunden gestellt. Im Anfangsstadium sind vor allem die entzündliche Schwellung, der verbreitete Zwischenklauenspalt und die oberflächlichen Gewebsnekrosen hinweisend.
Therapie
Je nach Stadium ist die Interdigitalphlegmone unterschiedlich zu behandeln.
Eine rein medikamentöse Therapie ist nur im Frühstadium bei oberflächlichen Veränderungen indiziert. Neben einer lokalen Desinfektion und antibiotischen Behandlung muss auch eine drei- bis viertägige systemische Antibiose durchgeführt werden (z.B. 1 mg/kgKG Ceftiofur, 20.000 I.E. Procain-Benzylpenicillin oder 5 mg/kgKG Oxytetracyclin).
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Ist die Erkrankung schon fortgeschritten, ist nur ein chirurgisches Vorgehen erfolgsversprechend. Die lokalen Gewebsnekrosen müssen unter intravenöser Stauungsanästhesie (IVSTAN) sowie intravenöser Stauungsantibiose (IVSAB) vollständig entfernt werden. Anschließend wird die Wunde gespült, lokal mit einem Antibiotika-Spray behandelt und steril mit einer Weichschaumstoff-Wundauflage abgedeckt. Zusätzlich ist eine mehrtägige parenterale Antibiose durchzuführen. Der Verbandswechsel muss alle 2 bis 4 Tage durchgeführt werden. Die Heilungsdauer wird (abhängig von der Größe des Defektes) im Mittel mit 10 bis 20 Tagen angegeben.
Prognose
Quellen
- A. Univ.-Prof. Dr. Johann Kofler. Dipl. ECBHM. Orthopädische Erkrankungen & Orthopädische Operationen bei Wiederkäuern. Neu überarbeitet im Jänner 2015 mit 45 Videos abrufbar mittels QR-Code & URL's zur VETmedhiathek. Klinik für Wiederkäuer, Vetmeduni Wien.
- A. Univ.-Prof. Dr. Johann Kofler. Diagnoseschlüssel zu Klauenerkrankungen für Klauenpfleger & Tierärzte, Johann Kofler. Klinik für Wiederkäuer, Vetmeduni Wien, 14.11.14 (abgerufen am 11.10.2019)