Cannabisabusus
Synonym: Cannabismissbrauch
Englisch: cannabis abuse
Definition
Beim Cannabisabusus handelt es sich um einen dauerhaften und kontinuierlichen Missbrauch von Tetrahydrocannabinol (THC), wobei mit psychischen und physischen Schäden als Konsequenz zu rechnen ist.
ICD10-Code: F12.1 -
Epidemiologie
Nach einer Erhebung im Jahr 2021 haben in Deutschland 4,5 Millionen Erwachsene in den vergangenen 12 Monaten wenigstens einmal Cannabis konsumiert (10,7 Prozent der Männer sowie 6,8 Prozent der Frauen). Am häufigsten wurde Cannabis in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen konsumiert. Zur Menge des jährlich konsumierten Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken liegen keine validen Daten vor (2024).[1]
Ursachen
Haschisch und Marihuana sind Rauschmittel, die aus der Hanfpflanze (Cannabis) gewonnen werden. Der psychoaktive Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) bindet im ZNS an spezifische Cannabinoidrezeptoren, wo sie nicht nur sedierend, sondern auch spasmolytisch und berauschend wirken, indem sie die Freisetzung verschiedener Neurotransmitter beeinflussen. Auch eine Steigerung des Appetits unter Cannabis-Einnahme ist zu beobachten.
Symptome
Akute Symptomatik
Folgende Symptome können bei akutem Konsum auftreten:[1][2]
- Euphorie, Entspannung, Schwindel, Somnolenz, aber auch Kopfschmerzen, Angst- und Panikgefühle, Depressivität oder akute Psychose, Amnesie
- Störungen des Kurzzeitgedächtnises, der Konzentration, Desorientiertheit
- Störungen der Koordination, der Reaktivität und der Psychomotorik, Tremor, Ataxie
- Dysarthrie
- Parästhesie
- Mydriasis, gerötete Konjunktiven, verlangsamte Pupillenreaktion, Nystagmus
- Tachykardie, Hypertonie, Herzrhythmusstörungen
- Mundtrockenheit, Übelkeit, Brechreiz, Erbrechen
Chronische Symptomatik
Bei chronischem Missbrauch kann sich eine Abhängigkeit von Cannabis entwickeln, deren Hauptmerkmale der Kontrollverlust über den Konsum und die Fortsetzung des Konsums trotz negativer Folgen sind. Etwa 36 % der täglich oder nahezu täglich Konsumierenden und 21 % der Personen, die drei Jahre Cannabis konsumierten, sind abhängig.[1][2]
Folgende Symptome und Erkrankungen können bei chronischem Konsum auftreten:
- Psychische Störungen: Isolation, Rückzug aus dem sozialen Umfeld, Amotivation
- Psychiatrische Erkrankungen: Delir, Angststörung, Depression, Psychose
- Schädigung der Atemwege durch den vergleichsweise höheren Teergehalt beim Rauchen von Joints im Vergleich zu Tabakprodukten; es entwickelt sich ggf. eine chronische Bronchitis
- Kardiomyopathie, Myokarditis, Herzinsuffizienz; höheres Sterberisiko bei Herzrhythmusstörungen (THC-assoziierte Arrhythmie)
- chronisch gerötete Konjunktiven
- Appetitsteigerung
- Cannabis-Hyperemesis-Syndrom (CHS)
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind aufgrund des Reifeprozesses des Gehirns bis zu einem Lebensalter von 25 Jahren besonders anfällig für psychische, physische und soziale Auswirkungen eines langfristigen, aber auch eines kurzfristigen Cannabiskonsums. THC kann die Gehirnentwicklung irreversibel stören. Es besteht ein gesicherter Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum bei Jugendlichen und ihren schulischen Leistungen und ihrem Ausbildungsniveau, wobei die Auswirkungen umso stärker ausgeprägt sind, je früher und je mehr Cannabis konsumiert wird.[1]
Entzugssyndrom
Eine Entzugssymptomatik kann bei akuter Abstinenz nach starkem (nahezu täglichem), längerfristigem (über mehrere Monate) Cannabiskonsum auftreten. Sie ist gekennzeichnet durch[3]
- Reizbarkeit, Zorn, Aggressivität, Rastlosigkeit, Nervosität, Ängstlichkeit
- Schlafstörungen (Insomnie, Alpträume)
- Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Bauchschmerzen
- depressive Verstimmung
- Tremor, Schwitzen, Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen
Diagnose
Klinisch kann die Verdachtsdiagnose einer Cannabisabhängigkeit aufgrund der akuten und chronischen Symptome des Missbrauchs gestellt werden.
Unspezifische Befindlichkeitsstörungen und andere psychiatrische Störungen (z.B. Persönlichkeits-, Verhaltensstörungen, Angsterkrankungen, Depression, schizophrene Psychosen) müssen differentialdiagnostisch abgegrenzt werden. Das gilt auch für die Abhängigkeit von Alkohol und anderen psychotropen Stoffen.
THC wird im Fettgewebe gespeichert und sehr langsam wieder freigesetzt. Deshalb kann THC mit einem Urin-Schnelltest sehr lange nachgewiesen werden, wobei die Konzentration im Urin nicht mit psychotropen Wirkungen korreliert. Nach einmaligem Konsum beträgt die Nachweisdauer einige Tage, bei chronischem Konsum länger als 4 Wochen. Der Test eignet sich deshalb auch zur Kontrolle der Abstinenz. Auch die Analyse von Haaren lässt rückwirkend auf einen Konsum innerhalb der letzten Wochen schließen, da Abbauprodukte des THC in die Haare eingelagert werden.
Therapie
Psychotherapeutische Verfahren bilden bisher die Grundlage für die Behandlung der Cannabisabhängigkeit, deren primäres Ziel das Erreichen der Abstinenz sein sollte.
Dabei stehen folgende Ansätze im Vordergrund[3]
- kognitive Verhaltenstherapie (KVT) in Kombination mit anderen Verfahren
- motivationale Gesprächsführung
- systemische multidimensionale Familientherapie (MDFT)
Es gibt bisher (2024) keine für die Behandlung einer Abhängigkeit zugelassene Pharmakotherapie. N-Acetylcystein, Buspiron, Dronabinol, Gabapentin, Nabiximol, Topiramat, Valproinsäure, Vareniclin bewirkten kurzfristig in kontrollierten klinischen Studien eine Reduktion des Cannabiskonsums, aber keine dauerhafte Abstinenz.[2][3]
Bei akuten Cannabisvergiftungen (Drogennotfall) sind Maßnahmen der Giftentfernung von untergeordneter Bedeutung. Im Vordergrund steht die Stabilisierung der Vitalfunktionen und die psychologische Führung des Patienten. Bei starker psychomotorischer Erregung und Krampfneigung können Benzodiazepine (z.B. Midazolam, Lorazepam, Diazepam) eingesetzt werden. Bei psychotischen Störungen können Neuroleptika (z.B. Haloperidol) eingesetzt werden.[4]
Prognose
Die langfristigen Abstinenzraten der Cannabis-abhängigen Patienten liegen unter 50 %.[2]
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz. BMG, abgerufen am 28.02.2024
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 Gorelick DA. Cannabis-Related Disorders and Toxic Effects. N Engl J Med. 2023
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Walther L et al. Evidenzbasierte Behandlungsoptionen der Cannabisabhängigkeit. Dtsch Arztebl Int 2016
- ↑ Heinemeyer G, Fabian U. Der Vergiftungs- und Drogennotfall. 3. Aufl., Berlin, Wiesbaden 1997