Thrombozytose
Englisch: thrombocytosis
Definition
Unter einer Thrombozytose versteht man einen Anstieg der Thrombozytenzahl im Blut auf über 450.000/µl.
Das Gegenteil der Thrombozytose ist die Thrombozytopenie.
Nomenklatur
In der Literatur wird die Thrombozytose manchmal als vorübergehender Anstieg der Thrombozytenzahl definiert, während die Thrombozythämie als dauerhafte Erhöhung gilt. Die Begriffe werden jedoch auch synonym verwendet.
Einteilung
Primäre Thrombozytose
Von einer primären Thrombozytose spricht man, wenn eine genetische Veränderung der hämatopoetischen Stammzellen zu einer gesteigerten Thrombozytopoese im Knochenmark führt.
Die primäre Thrombozytose wird in der Regel durch eine autonome, klonale Proliferation der Thrombozyten im Rahmen einer myeloproliferative Erkrankung verursacht und ist von der sekundären (reaktiven) Thrombozytose abzugrenzen.
Den myeloproliferativen Erkrankungen liegen Chromosomenaberrationen (z.B. das Philadelphia-Chromosom) oder Treibermutationen (z.B. JAK2-Mutationen) zu Grunde. Durch die abnorm erhöhte Thrombozytenzahl kommt es im Rahmen einer primären Thrombozytose häufig zu thromboembolischen Ereignissen. Des Weiteren kann das Blutungsrisiko im Rahmen einer primären Thrombozytose deutlich erhöht sein.
Zu den myeloproliferativen Erkankungen zählen:
- Essentielle Thrombozythämie (ET)
- Polycythämia vera (PV)
- chronisch myeloische Leukämie (CML)
- primäre Myelofibrose (PMF)
- chronische Neutrophilenleukämie (CNL)
- chronische eosinophile Leukämie, nicht anderweitig spezifiziert (CEL-NOS)
- unklassifizierbare myeloproliferative Neoplasien (MPN,U)
Zusätzlich dazu können myelodysplastische Syndrome, myeloproliferativ-myelodysplastische Syndrome oder Mutationen im Thrombopoietin-Gen (THPO) eine primäre Thrombozytose verursachen.
Daneben existieren seltene kongenitale Formen (familiäre Thrombozytose), bei denen z.B. eine autosomal-dominante Mutation im MPL-Gen zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Thrombopoietin-Rezeptors führt.
Sekundäre Thrombozytose
Die meisten Thrombozytosen sind sekundärer bzw. reaktiver Natur. Es handelt sich dabei um eine passagere Erhöhung der Thrombozytenzahl als Reaktion auf eine zu Grunde liegende Erkrankung. Sie gehen im Vergleich zu den primären Thrombozytosen mit einem deutlich geringerem Risiko für thromboembolische Ereignisse und Blutungen einher.
Eine passagere sekundäre Thrombozytose ist eine meist milde Erhöhung ohne Krankheitswert als Folge eines vorübergehenden Zustands, z.B. bei:
- Schwangerschaft
- Eisenmangelanämie: vermutlich wirkt das kompensatorisch erhöhte Erythropoietin auch stimulierend auf die Thrombopoese
- akuten Infektionskrankheiten
- medikamentöser Therapie: Glukokortikoide, Erythropoetin
- Blutung
- chirurgischen Eingriffen (postoperativ)
Als chronische sekundäre Thrombozytose wird eine milde bis starke Erhöhung der Thrombozyten im Rahmen einer chronischen Erkrankung bezeichnet. Hierbei besteht zum Teil ein erhöhtes Thromboembolierisiko. Mögliche Ursachen sind:
- chronische Entzündungen: Rheumatoide Arthritis, Kollagenosen, Vaskulitiden, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Sarkoidose, Tuberkulose
- Paraneoplasien: vermutlich über Interleukin-6 und Thrombopoietin vermittelt
- Postsplenektomie, Hyposplenismus
Außerdem kann eine Thrombozytose als Zeichen einer hämatopoetischen Regeneration auftreten, z.B. nach Chemotherapie, Alkoholabstinenz bei Alkoholikern sowie nach Korrektur eines Vitamin-B12-Mangels oder Folsäuremangels.
Symptome
Patienten mit milder Thrombozytose sind sehr häufig asymptomatisch. Bei sekundären Thrombozytosen treten Thromboembolien meist aufgrund einer thrombogenen Grunderkrankung oder bei weiteren Risikofaktoren auf.
Bei der essentiellen Thrombozythämie führt die sehr hohe Thrombozytenzahl neben Mikrozirkulationsstörungen (Erythromelalgie, Schwindel, Kopfschmerzen) zu Thromboembolien, insbesondere viszerale Thrombosen, z.B. Mesenterialvenenthrombosen. Bei sehr stark erhöhten Werten tritt zusätzlich ein erhöhtes Blutungsrisiko auf. Erklärt wird dieses Phänomen durch die stärkere Bindung des von-Willebrand-Faktors an die Thrombozyten (erworbenes Willebrand-Jürgens-Syndrom).
Diagnostik
Labor
Eine persistierende Thrombozytose sollte sorgfältig abgeklärt werden - vor allem, wenn es bereits zu einer Thromboembolie gekommen ist oder wenn Hinweise auf eine myeloproliferative Erkrankung vorliegen.
Neben Anamnese und körperlicher Untersuchung ist das Labor richtungsweisend. Typische Untersuchungen sind:
- mikroskopisches Differenzialblutbild
- Ausschluss eines Eisenmangels (z.B. Serumferritin)
- Entzündungsparameter (z.B. ESR, CRP).
Liegt ein Eisenmangel vor, sollte dieser als Erstes ausgeglichen werden. Falls die Thrombozytose weiterhin besteht, erfolgt eine weitergehende Diagnostik. Bei Verdacht auf eine chronische Entzündung sollte eine Fokus- (und Tumor-)Suche erfolgen.
Differenzialdiagnostisch müssen myeloproliferative Erkrankungen und insbesondere die ET bedacht werden. Bei hinreichendem Verdacht erfolgt eine molekulargenetische Stufendiagnostik: Zuerst wird EDTA-Blut auf das Vorliegen einer JAK2-Mutation (z.B. JAK2-V617F-Punktmutation) untersucht. Falls negativ, sollten CALR- und MPL-Mutationen ausgeschlossen werden. Bei einer klassischen chronischen myeloischen Leukämie lässt sich in 90 % der Fälle ein BCR-ABL-Fusionsgen nachweisen. Eine abschließende Knochenmarkbiopsie ist obligat.
Weitere mögliche Genmutationen im Zusammenhang mit einer Thrombozytose sind z.B. Mutationen von Calreticulin bei essentieller Thrombozythämie, oder Mutationen von TET2 als allgemeiner Hinweis auf eine klonale Erkrankung.
Bildgebung
Mittels Sonographie kann eine eventuelle Hepato- und Splenomegalie als indirekter Hinweis auf eine myeloproliferative Erkrankung festgestellt werden. Zudem kann eine CT oder MRT im Rahmen einer Tumor- oder Entzündungssuche eingesetzt werden. Zur Diagnostik von Entzündungen der größeren Arterien (z.B. bei Riesenzellarteriitis) kann ein PET-CT angefertigt werden.
Knochenmarkdiagnostik
Falls kein Ausschluss einer primären Knochenmarkerkrankung gelingt, ist eine Knochenmarkdiagnostik mit zytologischer und histologischer Untersuchung indiziert.
Therapie
Hauptziel der Therapie ist die Prävention von Thromboembolien. Diesbezüglich sollten folgende Maßnahmen empfohlen werden:
- Gewichtsnormalisierung
- regelmäßige Bewegung
- Vermeidung von Exsikkose und langem Sitzen
- Tragen von Kompressionsstrümpfen je nach Situation
- Patientenaufklärung über Symptome einer Thrombose
- Therapie von kardiovaskulären Risikofaktoren
Im Rahmen einer essentiellen Thrombozythämie kann je nach Symptomen und Risikoprofil eine Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern (z.B. ASS) oder Zytoreduktiva (Hydroxyurea) angewendet werden.
siehe Hauptartikel: Essentielle Thrombozythämie
Literatur
- Schoenenberger, Ronald A. et al.: Internistische Notfälle (2009)
- Gadner, Gaedicke, Niemayer, Ritter: Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Thieme Verlag
- Onkopedia; abgerufen am 08.02.2021
- Kreuzer, Karl-Anton: Referenz Hämatologie, Thieme, 2019, S.139 ff.
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