Frakturheilung
Synonyme: Knochenheilung, Bruchheilung
Definition
Als Frakturheilung bezeichnet man den Heilungsprozess eines Knochendefekts.
Hintergrund
Fraktur
Eine Fraktur (von lat. frangere - "brechen") ist definiert als vollständige Durchtrennung des Knochens durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkung, welche die Elastizität und die Festigkeit des Knochens überschreitet. Es kommt zur Bildung zweier oder mehrerer Bruchstücke und ggf. dem Verlust der stabilisierenden Funktion.
Fissur
Eine Fissur (von lat. fissura - "Spalte", "Riss") oder Knochenriss ist definiert als unvollständige Unterbrechung der Knochenstruktur.
Ablauf der Frakturheilung
Knochenbrüche (Frakturen) können auf zwei Weisen heilen.
Primäre (direkte) Frakturheilung
Wenn der Knochen ohne Zerstörung des Periosts bricht oder wenn die Frakturenden in Kontakt bleiben, sind die Bedingungen für eine primäre Frakturheilung gegeben. Sie läuft ohne sichtbare Kallusbildung ab. Beträgt der Frakturspalt weniger als 1 mm, wächst erst kapillarreiches Bindegewebe in den engen Frakturspalt ein.
Osteoprogenitorzellen aus dem Endost und Periost lagern sich um die Kapillaren und bilden Osteone, die zunächst parallel zur Bruchoberfläche gerichtet sind. Später werden diese Osteone durch Erosionstunnel zur Längsachse des Knochens hin umstrukturiert. Nach ca. drei Wochen ist die Funktionsfähigkeit des Knochens weitgehend wiederhergestellt.
Sekundäre (indirekte) Frakturheilung
Ähnlich wie die Wundheilung läuft die sekundäre Frakturheilung unter Bildung eines Kallus in fünf Phasen ab. Sie stellt die regelhafte Frakturheilung dar. Die fünf Phasen der indirekten Frakturheilung sind:
- Verletzungsphase (Fraktur)
- Entzündungsphase (inflammatorische Phase)
- Granulationsphase
- Phase der Kallushärtung
- Phase des Umbaus (Modeling und Remodeling)
Verletzungsphase
Die Gewalteinwirkung auf den Knochen verursacht eine Verletzung von Periost, Kortikalis und Knochenmark. Es entsteht ein Hämatom im Frakturspalt.
Entzündungsphase
Während der inflammatorischen Phase infiltrieren Makrophagen, Granulozyten und Mastzellen in das Hämatom und sezernieren dort unter anderem Histamin und Heparin.
Im Frakturhämatom befinden sich pluripotente Stammzellen mesenchymaler Herkunft, die zu Osteoblasten, Fibroblasten und Chondroblasten ausdifferenzieren. In das Hämatom sezernierte Zytokine und Wachstumsfaktoren sind wichtig für die Steuerung der Zellinfiltration, Angiogenese und Zelldifferenzierung.
Granulationsphase
Nach Abklingen der Entzündungsphase wird der Bluterguss, in dem sich jetzt bereits ein Netz von Fibrin und Kollagen gebildet hat, durch Granulationsgewebe mit Fibroblasten, weiterem Kollagen und Kapillaren ersetzt (weicher Kallus). Dies geschieht etwa 4 bis 6 Wochen nach der Fraktur.
Osteoklasten bauen nicht durchblutete Knochensubstanz ab, Osteoblasten bauen neuen Knochen im Bereich der Knochenhaut auf.
Phase der Kallushärtung
In dieser Phase erfolgt die Aushärtung des gebildeten Kallus durch Mineralisation. Es entsteht der Geflechtknochen, dessen Struktur anfangs durch die einsprossenden Kapillaren vorgegeben ist und sich im weiteren Verlauf an der Richtung der Belastungsachse orientiert. Die Dauer der Phase der Kallushärtung wird mit 3 bis 4 Monaten angegeben, wobei der Knochen dann wieder der physiologischen Belastung standhält.
Modeling und Remodeling
Der Geflechtknochen wird in Lamellenknochen umgewandelt. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Knochenstruktur bezieht sich hierbei auf die reguläre nutritive Versorgung des Knochens mit Havers- und Volkmann-Kanalsystem. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Knochenstruktur, einschließlich eines Markraumes, ist der weitergehende Vorgang des Remodelings und bei regelrechtem Heilungsvorgang nach 6 bis 24 Monaten abgeschlossen.
Formen der Frakturheilung
Regelrechte Frakturheilung
Geht die Frakturheilung mit einem Knochenwachstum am Frakturspalt einher, das für die Wiederherstellung der ursprünglichen Funktion ausreichend ist, spricht man von einer klinischen Frakturheilung ("clinical union"). Sie wird durch die Stabilität in der klinischen Untersuchung, die fehlenden Schmerzen sowie die regelrechte Funktion definiert.
Als radiologische Frakturheilung ("radiographic union") wird die Situation in der Bildgebung bezeichnet, bei welcher der verknöcherte Kallus die Frakturlinie überbrückt und die Fragmente vereinigt. Dabei sind im anteroposterioren und lateralen Bild mindestens 3 von 4 Kortikalisbereichen überbrückt. Der Kallus weist zumindest annähernd die Dichte der normalen Knochen auf. Das trabekuläre Muster ist wiederhergestellt. Die klinische Frakturheilung geht der radiologischen meist voraus. Die bildgebenden Befunde korrelieren nicht gut mit der Frakturstabilität.
Gestörte Frakturheilung
Bei der gestörten Frakturheilung unterscheidet man zwischen:
- Fehlender Frakturheilung (Non-Union): Der Heilungsprozess ist zum Erliegen gekommen, ohne dass die Frakturfragmente von reifem Knochen überbrückt werden. Bei einer Non-Union kann sich eine Pseudarthrose entwickeln, also ein falsches Gelenk, das eine weitere Heilung ausschließt, bis die dazwischenliegende Synovialis entfernt ist.
- Verzögerter Frakturheilung (Delayed Union): Keine klinische oder radiologische Frakturheilung im erwarteten Zeitraum. Eine adäquate Behandlung (z.B. verbesserte Immobilisation oder Rehabilitationsanweisung) kann zur definitiven Frakturheilung führen.
- Frakturheilung in Fehlstellung (Mal-Union): Kosmetisch oder funktionell inakzeptable Frakturheilung mit Angulation und/oder Rotation der Fragmente, falscher Länge oder Gelenkinkongruenz.
Ein Sonderfall stellt die fibröse Frakturheilung (Fibrous Union) dar. Dabei handelt es sich um eine klinisch erfolgreiche Frakturheilung, jedoch überbrückt kein Knochen sondern fibröses Gewebe den Frakturspalt. Im Verlauf wird dieser meist mit Knochen aufgefüllt.
Radiologie
Konventionelles Röntgen
Regelrechte Frakturheilung
Die akute Fraktur zeigt sich im Röntgenbild durch eine scharf abgrenzbare, irregulär berandete Aufhellungslinie, meist mit assoziierter Weichteilschwellung. Die ersten Zeichen der Frakturheilung sind eine Verbreiterung des Frakturspalts (Resorption des toten Knochens) und eine Unschärfe der Frakturänder, meist nach 10 bis 14 Tagen.
Im Verlauf erscheint ein fluffiges, kalzifiziertes, unreifes Kallusgewebe um und über den Frakturspalt, der weiche bzw. Primärkallus. Dieser ist bei Kleinkindern meist nach 10 Tagen, bei Erwachsenen nach 2 Wochen erkennbar. Bevor der Knochen zentral durch Kallus verbunden wird, erstreckt sich ein Bogen von peripherem Kallus über den Frakturspalt. Große Mengen an peripherem Kallus etwickeln sich bei Frakturen von:
- langen Röhrenknochen
- Diaphysen
- großen Frakturspalten
- unzureichender Immobilisation
Bei kurzen Röhrenknochen, Tuberositae, Karpal- und Tarsalknochen ist die periphere Kallusbildung geringer ausgeprägt.
Frakturen von spongiösem Knochen und intraartikuläre Frakturen entwickeln keinen peripheren Kallus. Bei dieser primären Frakturheilung wird die Frakturlinie zunehmend unscharf abgrenzbar und evtl. entsteht sklerotischer Kallus im Markraum. Die periphere Kallusbildung erfordert ein Mindestmaß an Bewegung, sodass sie bei sehr starr fixierten Frakturen ausbleiben kann.
Aufgrund der Immobilisation zeigen sich spätestens nach 7 bis 8 Wochen Zeichen der Inaktivitäts-Osteoporose in Form von einer generalisierten Demineralisierung des Knochens an und distal der Fraktur.
Gestörte Frakturheilung
Im Falle einer Non-Union fehlt die knöcherne Überbrückung des Frakturspalts im erwarteten Zeitrahmen. Man unterscheidet zwischen:
- hypertropher Non-Union: viel peripherer Kallus, der die Frakturlinie nicht überschreitet
- atropher Non-Union: keine wesentliche Kallusbildung
Die Oberfläche der Frakturlinien wird mit Kortikalis überzogen, was eine spätere Frakturheilung ohne Operation unmöglich macht. Ein Materialversagen nach Osteosynthese ist hinweisend auf eine Non-Union oder eine unvollständige Frakturheilung.
Bei einer fibrösen Union zeigt sich trotz persistierender Aufhellung im Röntgenbild eine klinisch regelrechte Frakturheilung.
Computertomographie
Die Computertomographie (CT) wird häufig zur initiale Beurteilug von Frakturen eingesetzt, insbesondere bei intraartikulären Frakturen und zur Operationsplanung. Die CT ist die Methode der Wahl bei klinischer und röntgenologischer Unklarheit über das Vorliegen einer regelrechten Frakturheilung. Dabei kann zum einen festgestellt werden, ob und welcher Anteil des Frakturspalts durch Kallus überbrückt wird.
Der früheste "Beweis" einer zunächst regelrechten Frakturheilung ist eine erste Schicht von peripherem Kallus, der die Frakturlinie vollständig überquert. Der anfänglich unreife Kallus ist dichter als der Frakturspalt, jedoch noch nicht so dicht wie normaler Knochen.
Magnetresonanztomographie
Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist i.d.R. wenig hilfreich zur Beurteilung der Frakturheilung. Jedoch können mittels MRT Komplikationen erkannt werden, welche die Frakturheilung behindern können, z.B. Infektionen oder eigeklemmtes Gewebe.
Die Pseudarthrose zeigt sich durch nicht Kontrastmittel-aufnehmende Flüssigkeit im Spalt zwischen den nicht-vereinigten Frakturfragmenten.
Therapie
Die Therapie einer Fraktur ist von vielen Faktoren abhängig, unter anderem von ihrem Ausmaß und ihrer Lokalisation. Die genauen Therapien werden deshalb unter dem jeweiligen Frakturtyp besprochen.
Bei der Erstversorgung ist – neben der Prüfung der Vitalfunktionen – die Ruhigstellung und Fixierung der betroffenen Körperpartie die wichtigste Maßnahme. Für die Notfallversorgung von Frakturen kommen unter anderem aufblasbare oder konfektionierbare Schienen (z.B. SAM®-Splint) in Frage.
Grundlage einer regelrechten Frakturheilung ist die Stabilität und die ausreichend nahe Apposition der Fragmente. Die Reposition kann sowohl geschlossen als auch offen (chirurgisch) erfolgen. Die Stabilisierung erfolgt geschlossen (Schlingen, Gips, Schiene), perkutan (Fixateur externe, Kirschner-Drähte) oder offen-chirurgisch. Zu den chirurgischen Osteosyntheseverfahren zählen u.a.:
- Schraubenosteosynthese
- Plattenosteosynthese
- Zuggurtungsosteosynthese
- Marknagelung
- Verriegelungsnagelung
- Fixateure externe
Im Falle einer Mal-Union ist eine Revisionsoperation notwendig (z.B. Osteotomie, Realignment, Knochentransplantation). Bei einer Non-Union kommen, je nach Alter, Klinik, Lokalisation und bisherigem Verlauf, mehrere Behandlungen in Frage, beispielsweise ein chirurgisches Débridement. Dabei soll die frische Knochenoberfläche, oft kombiniert mit einer Knochentransplantation und der Gabe von BMP und anderen Wachstumsfaktoren, die endgültige Frakturheilung fördern. Weitere Behandlungsmethoden, wie die die extrakorporale Stoßwellentherapie, das Tissue Engineering oder die Gentherapie werden derzeit (2022) erforscht.
Prognose
Die Dauer und Effektivität der Frakturheilung ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Eine verzögerte Heilung ist zu erwarten bei:
- hochenergetischen Verletzungen mit mehrfragmentären Verletzugen und deutlicher Beteiligung der Weichteile
- distaler Drittel des Humerus, Ulna und Tibia (weniger gute Vaskularisation)
- Segmentale Frakturen
- Spalt zwischen Frakturfragmenten, insbesondere > 5 mm
- Unzureichene Immobilisation
- Infektionen
- Pathologische Frakturen (z.B. bei Neoplasie, Morbus Paget, fibröser Dysplasie oder Strahlungsnekrose)
- Intraartikuläre Fraktur
- fortgeschrittenes Alter, Osteoporose, verminderte Muskelmasse
- andere Behandlungen: z.B. Strahlentherapie, Chemotherapie, NSAR, Bisphosphonate (umstritten)
- Rauchen
- Komorbiditäten: z.B. Diabetes mellitus, Unterernährung
Literatur
- Dijkman BG et al. When is a fracture healed? Radiographic and clinical criteria revisited, J Orthop Trauma. 2010;24 Suppl 1:S76-S80, abgerufen am 18.10.2022