Respiratorische Insuffizienz
Synonyme: respiratorisches Versagen, Atemversagen, Ateminsuffizienz, Atmungsinsuffizienz
Englisch: respiratory failure
Definition
Als respiratorische Insuffizienz bezeichnet man eine Störung des pulmonalen Gasaustausches mit pathologisch veränderten Blutgaswerten. Die respiratorische Insuffizienz führt zu einer Unterversorgung des Körpers mit Sauerstoff (Hypoxämie) und ggf. zu einer erhöhten Konzentration von Kohlendioxid im Blut (Hyperkapnie).
ICD10-Codes
- J96 - Respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert
- J96.0 - Akute respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert
- J96.1 - Chronische respiratorische Insuffizienz, anderenorts nicht klassifiziert
- J96.9 - Respiratorische Insuffizienz, nicht näher bezeichnet
- J98.4 - Sonstige Veränderungen der Lunge
- J95.1 - Akute pulmonale Insuffizienz nach Thoraxoperation
- J95.2 - Akute pulmonale Insuffizienz nach nicht am Thorax vorgenommener Operation
- J95.3 - Chronische pulmonale Insuffizienz nach Operation
Einteilung
...nach Schweregrad
Hypoxische respiratorische Insuffizienz
Die hypoxische respiratorische Insuffizienz ist eine isolierte arterielle Hypoxämie mit Verminderung des Sauerstoffpartialdrucks unter einen Grenzwert von 60 mmHg (8,0 kPa) - bei normalem bis verringertem Kohlendioxid (Normokapnie). Die ältere Bezeichnung für diese Konstellation ist "respiratorische Partialinsuffizienz".
Ursache ist meist eine Störung des Gasaustausches in der Lunge, weshalb man auch von einer pulmonalen Insuffizienz bzw. einem Parenchymversagen spricht. Typische Ursachen für diese Form der respiratorischen Insuffizienz sind das Lungenödem und die Pneumonie. Therapeutisch steht zunächst eine Sauerstoffgabe im Vordergrund.
Die hypoxische respiratorische Insuffizienz wird im anglo-amerikanischen Sprachraum auch als "type 1 respiratory failure" bezeichnet.
Hyperkapnische respiratorische Insuffizienz
Bei der hyperkapnischen respiratorischen Insuffizienz liegt zusätzlich zur Hypoxämie eine Hyperkapnie, d.h. eine Erhöhung des Kohlendioxidpartialdruckes über 45 mmHg (6,0 kPa) vor. Die ältere Bezeichnung ist "respiratorische Globalinsuffizienz".
Bei dieser Form der respiratorischen Insuffizienz ist die Elimination des im Stoffwechsel gebildeten Kohlendioxids (CO2) vermindert. Ursächlich ist meist eine Störung der Atemmechanik, die dazu führt, dass Sauerstoff (O2) nicht genügend ein- und Kohlendioxid nicht genügend ausgeatmet werden kann. Man spricht deshalb auch von einer ventilatorischen Insuffizienz bzw. einem Pumpversagen. Die Retention des Kohlendioxids führt zu einer respiratorischen Azidose. Therapeutisch steht die Unterstützung der Atmung durch eine künstliche Beatmung im Vordergrund.
Die hyperkapnische respiratorische Insuffizienz nennt man im anglo-amerikanischen Sprachraum auch "type 2 respiratory failure".
...nach Verlauf
- Akute respiratorische Insuffizienz (ARI): Rascher Verlauf mit starker Dyspnoe, z.B. bei ARDS
- Chronische respiratorische Insuffizienz (CRI): Entwicklung über einen längeren Zeitraum, z.B. bei COPD oder Lungenfibrose. Durch die chronische Hypoxie wird die Erythropoetinausschüttung stimuliert, was sich in einer Polyglobulie und Hypertonie äußern kann.
...nach Manifestation
Pathophysiologie
Der Gasaustausch (O2-Aufnahme, CO2-Abgabe) findet in den Alveolen statt und wird als "äußere Atmung" bezeichnet. Einer Ateminsuffizienz liegt eine Störung eines oder mehrerer der 4 Teilprozesse des Gasaustausches zugrunde:
Ursachen können u.a. in der Verlegung der Atemwege, in zentraler oder peripherer Atemdepression oder in einer veränderten (auch altersphysiologischen) Lungenmorphologie liegen. Darüber hinaus tritt eine respiratorische Insuffizienz auch bei Sauerstoffmangel in der Umgebung, z.B. beim Aufenthalt in großen Höhen auf.
Ventilation und Perfusion
Störungen der Ventilation und Perfusion können bedingt sein durch:
- Änderung (Abnahme) der Atemfrequenz und/oder des Atemzugvolumens
- Abnahme der Vitalkapazität; Vergrößerung des Totraums (hier kein Gasaustausch) zulasten der alveolären Ventilation
- Änderungen der elastischen und viskösen Atemwegswiderstände
- verringerte Lungendehnbarkeit (Compliance), z.B. durch Surfactant-Mangel oder erhöhte Resistance
Bei restriktiven Lungenerkrankungen ist die Lungenoberfläche reduziert. Obstruktive Lungenerkrankungen führen zur Erhöhung des Strömungswiderstandes in den Atemwegen.
Diffusion
Diffusionsstörungen können bedingt sein durch:
- eine Zunahme der Diffusionsstrecke (Pneumonie, Aspiration, ARDS, Fibrose, Ödem, Sarkoidose, Vaskulitiden)
- Verkürzung der Blutkontaktzeit (Emphysem, Fibrose, Anämie, Sepsis, Herzzeitvolumen-Zunahme)
- Reduzierung der Oberfläche für den Gasaustausch (Fibrose, Resektionen, Atelektase, Pleuraerguss, Pneumo- oder Hämatothorax, Zwerchfellhochstand)
Distribution
Störungen der Distribution (Verteilungsstörungen) verändern das Ventilations-Perfusions-Verhältnis. Ursächlich sind z.B.:
- Hypoventilation (zentrale Atemstörung mit global verminderter Lungenbelüftung)
- regionale Ventilations-Verteilungs-Störung (periphere Atemstörung), Rechts-Links-Shunt (Totalatelektase, Lungenembolie)
- Totraumventilation (Belüftung ohne Durchblutung, z.B. bei Status asthmaticus, Lungenembolie, Hypovolämie, Lungenemphysem, Schmerz)
Klinik
Die Klinik der respiratorischen Insuffizienz ist abhängig von ihrem Verlauf. Bei einer akuten respiratorischen Insuffizienz sind die Symptome in der Regel ausgeprägter, während bei einer chronischen respiratorischen Insuffizienz Kompensationsmechanismen einsetzen, welche die Symptome abmildern.
Frühphase
In der Frühphase versucht der Körper durch Steigerung der Atemfrequenz (Tachypnoe), des HZV (Tachykardie) und des Blutdrucks die Ateminsuffizienz zu kompensieren. Das Atemzugvolumen nimmt ab. Zusätzlich setzt der Patient die Atemhilfsmuskulatur ein. Vegetative Symptome wie Schwitzen und gesteigerte psychomotorische Erregbarkeit als Zeichen eines erhöhten Sympathikotonus können ebenfalls auftreten.
In Abhängigkeit von der Ursache sind ggf. zusätzliche Symptome wie Stridor oder Rasselgeräusche vorhanden.
Verlauf
Im Verlauf nimmt die Dyspnoe zu und der Patient wird zyanotisch. Die fortschreitende Hypoxie verursacht eine Abnahme des HZV (Bradykardie) und des Blutdrucks.
Spätphase
Die Spätphase ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Hyperkapnie mit Erschöpfung, Bradypnoe und Bradykardie mit Blutdruckabfall. Es kommt zum Versagen einzelner Organsysteme. Als neurologische Symptome treten Unruhe, Verwirrtheit, Krampfanfälle, Flapping Tremor und Bewusstseinsstörungen (CO2-Narkose) bis zum Koma auf.
Diagnose
Die Diagnostik beinhaltet unter anderem labordiagnostische Tests und Funktionstests (arterielle BGA, Spirometrie, Ganzkörperplethysmografie) sowie die Beurteilung der Röntgenmorphologie (Röntgen-Thorax im Stehen und im Liegen). Die Art der gewählten Maßnahmen ist von der Akuität des Krankheitsbildes abhängig.
Von einer arteriellen Hypoxie spricht man bei einem paO2 < 60 mmHg. Eine Hyperkapnie liegt bei einem paCO2 > 45 mmHg, eine Hypokapnie bei einem paCO2 < 35 mmHg vor.
Therapie
Die Therapie richtet sich primär nach der zugrunde liegenden Erkrankung bzw. Ursache. Diese wird entsprechend behandelt, um die Lungenfunktion zu verbessern. Abhängig von der Art der respiratorischen Insuffizienz muss eine Sauerstoffgabe (z.B. HFOT) oder eine künstliche Beatmung (z.B. NIV, BIPAP) durchgeführt werden.
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