Aconitin
Synonyme: Aconitinum, Acetylbenzoylaconin
Englisch: aconitine
Definition
Aconitin ist ein Alkaloid mit neurotoxischer Wirkung und wird von Giftpflanzen der Gattung Aconitum gebildet.
Vorkommen
Aconitin ist das Hauptalkaloid vieler Pflanzenarten der Gattung Eisenhut, etwa des Blauen Eisenhutes (Aconitum napellus). Einige Arten synthetisieren Aconitin kaum oder gar nicht, etwa Wolfs-Eisenhut (Aconitum vulparia).
Chemie und Eigenschaften
Aconitin weist eine Diterpenstruktur auf, die Summenformel lautet C34H47NO11, die Molekülmasse beträgt 645,75 g/mol. Die Substanz liegt bei Raumtemperatur als farb- und geruchloser, kristalliner Feststoff vor. Der Schmelzbereich liegt bei 192 bis 196 °C; bei diesen Temperaturen setzt die Zersetzung des Moleküls ein. Aconitin ist optisch aktiv, die spezifische Drehung beträgt bei Lösung in Chloroform [α]D (20°C) +14 bis +17°. Die Substanz ist löslich in Ethanol, Diethylether, Benzol, wenig löslich in Wasser und sehr schwer löslich in Chloroform. Durch Hydrolyse (Verseifung) wird die Verbindung in Bezoylaconin und Aconin gespalten. Dieser Vorgang führt bei Lagerung von getrocknetem Pflanzenmaterial zu einer Abnahme der Toxizität. Der Identitätsnachweis kann durch Farbreaktion mit Dragendorff's Reagenz nach Munier (orange) sowie mittels Dünnschichtchromatographie erfolgen, letztere Methode eignet sich bedingt auch für einen Giftstoffnachweis in Erbrochenem.
Toxikologie
Pharmakokinetik
Aconitin wird rasch resorbiert, besonders nach peroraler, aber auch nach kutaner Applikation. Die Distribution erfolgt im gesamten Körper, Aconitin ist plazentagängig und überwindet die Blut-Hirn-Schranke. Die oben erwähnte hydrolytische Spaltung des Aconitins findet auch im Zuge des Metabolismus statt. Die Exkretion erfolgt biliär über den Faeces und renal über den Urin, circa 2 % der aufgenommenen Aconitinmenge werden unverändert über den Urin ausgeschieden. Eine Kumulation findet nicht statt.
Wirkmechanismus
Aconitin wirkt in erster Linie als Neurotoxin, sowohl im peripheren (PNS) als auch zentralen Nervensystems (ZNS). Die massive Neurotoxizität wird durch einen Agonismus an spannungsaktivierten Natriumkanälen vermittelt. Nach der Bindung an einen Rezeptor des Natriumkanals öffnet sich der Kanal und die Permeabilität für Natriumionen steigt. In der Folge wird der Natriumeinstrom während der Depolarisation verlängert und die Repolarisation verlangsamt, wodurch es zu verlängerten Aktionspotentialen kommt. Motorische und sensible Nervenendigungen und -zentren des PNS und ZNS sowie reizbare Membranen werden initial erregt, schließlich gelähmt. An der motorischen Endplatte kommt es ebenso zu einer Blockade der Reizweiterleitung. Sensible Nervenfasern werden schneller als die motorischen Nervenfasern gelähmt. Somit setzt unter Umständen eine Areflexie bei noch erhaltenen willkürlich-motorischen Fähigkeiten ein.
Neben neuronalen Rezeptorstellen existieren auch an Herzzellen entsprechende Rezeptorstellen an Natriumkanälen, die Aconitin binden. Zentralnervöse Mechanismen führen zu Bradykardie mit Hypotonie. Zudem treten anticholinerge Effekte auf. Am Herzen führt Aconitin durch eine Kombination verschiedener Mechanismen gegebenenfalls zu Herzrhythmusstörungen bis hin zur Asystolie.
Lokal kommt es zu einer Reizwirkung, was sich nach peroraler Aufnahme insbesondere an den Schleimhäuten des Gastrointestinaltraktes äußert.
Wirkung
Nach peroraler Aufnahme von Aconitin-haltigem Pflanzenmaterial setzen die ersten Anzeichen einer Intoxikation nach wenigen Minuten ein. Zunächst kommt es zu Reizungen der Mund- und Rachenschleimhäute. Erste systemische Beschwerden sind Parästhesien, die in der Peripherie beginnend Richtung Rumpf wandern oder perioral auftreten. Es folgen Lähmungserscheinungen bis hin zur Paralyse, verbunden mit massiven Schmerzzuständen im Rahmen einer Anaesthesia dolorosa. Weitere Symptome sind Nausea, Emesis, Diarrhoe, Koliken, Hypothermie, Mydriasis, Arrhythmien, Atemdepression. Letale Dosen führen zum Tod durch zentrale Atemlähmung, teilweise bei erhaltenem Bewusstsein oder durch Asystolie.
Die Dosis letalis wird für einen erwachsenen Menschen mit 3 bis 6 mg Aconitin, entsprechend 2 bis 15 g Eisenhutwurzelstock (Tubera Aconiti, Aconituum napellus) angegeben.
Die Hydrolyseprodukte des Aconitins sind weitaus weniger toxisch als Aconitin selbst. Aconin wirkt den kardiotoxischen Effekten des Aconitins als Antagonist entgegen und Benzoylaconin besitzt eine narkotische Wirkung.
Therapie der Vergiftung
Erbrechen herbeiführen (Emetika), resorptionsvermindernde Maßnahmen (Aktivkohle, Natriumsulfat, Magenspülung mit Kaliumpermanganat-Lösung 0,02 bis 0,1 %, zum Schluss ca. 300 ml Kaliumpermanganat-Lösung im Magen belassen), ggf. Schocktherapie/ Plasmaexpander/ Glucoselösung und intensivmedizinische Betreuung (künstliche Beatmung). Gegen die Arrhythmien kann Phenytoin und bei Krämpfen Diazepam verabreicht werden. Darüber hinaus erfolgt die Therapie symptomatisch. Gegen Schmerzzustände kann die Gabe von Opioidanalgetika indiziert sein, wobei entsprechende Neben- und Wechselwirkungen mit dem Toxin zu beachten sind. Die Gefahr der Aspiration aufgrund der Lähmung der Hals- und Schluckmuskulatur ist zu beachten. Der Patient muss warmgehalten werden.
Die Applikation von Cholinesteraseinhibitoren erweist sich als nicht wirksam und die Gabe von Herzglykosiden ist kontraindiziert.
Literatur
- Roth, Daunderer & Kormann: Giftpflanzen - Pflanzengifte, 5. Aufl., Nikol Verlag.
- Mutschler et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen, 8. Aufl, Wissenschaftl. Verlagsgesellschaft.
- Wolf (Hrsg.): Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis - Bd. 3, Gifte, 1992, Springer Verlag.