Telomeropathie
Synonyme: Telomerkerkrankung, Telomer-Spektrum-Erkrankung
Englisch: telomeropathy
Definition
Telomeropathien sind genetische Erkrankungen, die durch einen beschleunigten Verlust der Chromosomenenden (Telomere) gekennzeichnet sind.
Hintergrund
Telomere sind die Endstücke der Chromosomen in eukaryoten Zellen. Sie verkürzen sich bei jeder Zellteilung (Endreplikationsproblem) und limitieren somit die Teilungsfähigkeit menschlicher Zellen. Die Verkürzung ist assoziiert mit dem Auftreten von Erkrankungen und einem Anstieg der Mortalität im Alter. Es ist aber noch (2021) ungeklärt, ob und inwieweit der normale Alterungsprozess und die Entstehung von Krankheiten durch die Telomerverkürzung beeinflusst wird.
Ätiopathogenese
Bei den Telomeropathien führen Keimbahnmutationen zu einer unzureichenden Reparatur oder zu einem inadäquaten Schutz der Telomere. Entsprechend sind die Telomere bei betroffenen Patienten im Vergleich zu gesunden Personen gleichen Alters viel kürzer. Die Folgen sind Zelltod, fehlerhafte Zellteilung und Chromosomeninstabilität. Im Gewebe kommt es zu einer defekten Regeneration, einer Fibrose, einem Ersatz durch Fettgewebe sowie zu einer erhöhten Krebsneigung. Hauptsächlich sind blutbildendes Knochenmark, Leber, Lunge sowie Epithelien von Darm und Haut betroffen.
Genetik
Derzeit sind 13 Gene identifiziert, die bei Telomeropathien eine Rolle spielen:
- Telomerase-Komplex:
- DKC1: X-chromosomaler Erbgang
- TERT: autosomal-dominanter (AD) oder autosomal-rezessiver Erbgang (AR)
- TERC: AD, AR
- NOP10: AR
- NHP2: AR
- WRAP53: AR
- Shelterin:
- Andere:
In einigen Familien zeigt sich eine Antizipation: Durch Weitergabe kurzer Telomere mit den Spermien und Oozyten manifestiert sich der klinische Phänotyp bei nachfolgenden Generationen immer früher.
Umweltfaktoren
Telomeropathien sind bezüglich der betroffenen Gewebe und des Schweregrades hochvariable Erkrankungen. So kann ein Familienmitglied schwer betroffen sein, während ein enger Verwandter mit derselben Mutation asymptomatisch ist. Entsprechend scheinen Umweltfaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Virusinfektionen zu dieser interindividuellen Heterogenität beizutragen.
Klinik
Dyskeratosis congenita
Die Dyskeratosis congenita fällt i.d.R. bis zum 20. Lebensjahr durch zumindest zwei Befunde der mukokutanen Trias auf:
In schweren Verlaufsformen weisen Neugeborene eine Kleinhirnhypoplasie (Hoyeraal-Hreidarsson-Syndrom) oder eine exsudative Retinopathie (Revesz-Syndrom) auf. Die häufigsten Mutationen betreffen die Gene DKC1, TINF2, TERT und TERC. Die Telomere liegen unterhalb des ersten Perzentils der entsprechenden Altersgruppe.
Die meisten Patienten entwickeln eine Knochenmarkinsuffizienz mit Transfusionspflichtigkeit und notwendiger Knochenmarktransplantation. In bis zu 20 % d.F. entsteht eine Lungenfibrose, in 10 % eine Lebererkrankung.
Aplastische Anämie
Eine aplastische Anämie kann in Verbindung mit einer Dyskeratosis congenita oder ohne sie auftreten, wobei i.d.R. die Gene TERT, TERC und RTEL1 betroffen sind. Häufig ist eine leichte bis mittelschwere makrozytäre Anämie und/oder Thrombozytopenie bei normaler Leukozytenzahl. Es kann aber auch eine akut auftretende, schwere aplastische Anämie entstehen. Das Knochenmark ist hypozellulär.
Bei diesen Patienten sind Immunsuppressiva im Allgemeinen ineffektiv. Weiterhin neigen sie nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation zu pulmonalen und hepatischen Komplikationen.
Lungenfibrose
Ungefähr 10-15 % der Patienten mit "idiopathischer" oder familiärer Lungenfibrose weisen eine Mutation in einem Telomerase-Gen auf. Die am häufigsten mutierten Gene sind TERT, TERC, RTEL1 und PARN. Vermutlich verhindert der Telomerdefekt die adäquate Proliferation und Regeneration der Pneumozyten Typ II. Die Lungenfibrose manifestiert sich i.d.R. jenseits des 50. Lebensjahres in Form einer restriktiven Ventilationsstörung mit reduzierter CO-Diffusionskapazität (DLCO) und diffusen interstitiellen Läsionen in der HR-CT. Histopathologisch findet sich meist eine interstitielle Pneumonie.
Hinweisend auf eine Telomeropathie sind bei diesen Patienten eine begleitende Leberzirrhose, eine Makrozytose, eine Zytopenie sowie eine positive Familienanamnese.
Lebererkrankungen
Telomerdefekte können zu verschiedenen Lebererkrankungen führen:
- Leberzirrhose
- noduläre regenerative Hyperplasie (NRH)
- nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH)
- hepatozelluläres Karzinom (HCC)
Weitere Manifestationen
Personen mit Telomerdefekt können ein myelodysplastisches Syndrom (MDS) oder eine akute myeloische Leukämie (AML) entwickeln. Die Messung der Telomerlänge ist hierbei durch das Vorhandensein unreifer Zellen im Blut, die sehr kurzen Telomere aufweisen, erschwert.
Ein unspezifischer Befund von Telomeropathien ist das frühzeitige Ergrauen der Haare.
Diagnostik
Erste Hinweise auf eine Telomeropathie liefert i.d.R. die (Familien-)Anamnese. Die Diagnose wird durch Messung der Telomerlänge in Leukozyten und anschließender DNA-Sequenzierung bestätigt.
Messung der Telomerlänge
Die Telomerlänge in Leukozyten des peripheren Blutes wird durch Flow-FISH und qPCR bestimmt. Die Länge wird bezogen auf die normalen Altersvariationen interpretiert:
- Telomerlängen < 10. Perzentil der Altersgruppe gelten als zu kurz
- Telomerlängen < 1. Perzentil gelten als sehr kurz
Dabei muss berücksichtigt werden, dass Telomere auch bei anderen Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen) sekundär aufgrund der chronischen Entzündung zu kurz sein können. Die Bestimmung der Telomerlänge in Abwesenheit einer Telomeropathie hat wie auch die Messung der Telomeraseaktivität keinen klinischen Nutzen und wird entsprechend nicht empfohlen.
Genetische Untersuchung
Weist ein Patient mit Verdacht auf eine Telomeropathie kurze oder sehr kurze Telomere auf, folgt eine genetische Untersuchung mittels Next-Generation-Sequencing. Dabei ist eine humangenetische Beratung erforderlich.
Therapie
Bei Patienten mit Telomeropathien sollten Toxine (z.B. Metallstäube, Busulfan und Amiodaron), ionisierende Strahlung, Alkohol und Nikotin vermieden werden. Patienten mit schwerer aplastischer Anämie können eine allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation erhalten. Bei Lungenfibrose kommt eine Lungentransplantation in Frage, wird aber v.a. aufgrund einer begleitenden Thrombozytopenie und anderer Begleiterkrankungen nur vereinzelt durchgeführt. In seltenen Fällen wurden Lebertransplantationen versucht. Weiterhin kommt Danazol zum Einsatz.
Links
- Uniklinik Aachen - Zentrum für Telomeropathien, abgerufen am 01.03.2021
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