Primäre Ziliendyskinesie
Abkürzungen: PCD, pcD
Synonyme: primäre ciliare Dyskinesie, primäre ziliäre Dyskinesie, Kartagener-Syndrom
Englisch: primary ciliary dyskinesia, immotile ciliary syndrome, Kartagener syndrome
Definition
Die primäre Ziliendyskinesie, kurz pcD, ist eine genetisch bedingte Funktionsstörung der zilientragenden Zellen (Ziliopathie). Die mukoziliäre Clearance ist hierdurch erheblich eingeschränkt.
ICD10-Code: Q34.8
Epidemiologie
Genaue epidemiologische Daten zur primären Ziliendyskinesie sind derzeit (2020) nicht bekannt. Die Prävalenz wird auf 1/5.000 bis 1/20.000 geschätzt.
Ätiopathogenese
Die Dyskinesie der Zilien beruht in der überwiegenden Anzahl der Fälle auf einem Fehlen oder Funktionsverlust der äußeren Dynein-Arme. Diese sind für die Beweglichkeit der Zilien entscheidend. Andere Störungen lassen i.d.R. eine Restbewegung der Zilien zu. Die meisten bekannten Defekte werden autosomal-rezessiv vererbt. Selten wurden X-chromosomal-rezessive Vererbungsmuster beschrieben. Bisher ist nur ein Bruchteil der zugrundeliegenden Mutationen bekannt (z.B. DNAH5- und DNAI1-Gen)
Von der primären Ziliendyskinesie sind alle zilienbesetzten Zellen des Körpers betroffen. Dies sind vor allem Zellen des respiratorischen Flimmerepithels (Bronchien, Tuba auditiva, Nasennebenhöhlen).
Durch das Fehlen eines gerichteten Zilienschlags während der Embryonalphase kommt es bei etwa der Hälfte der betroffenen Patienten zu Lageanomalien der inneren Organe (Lateralitätsanomalie im Sinne eines Situs inversus totalis bzw. partialis oder einer Dextrokardie). Diese Variante wird als Kartagener-Syndrom bezeichnet. Die restlichen 50 % entwickeln zufällig eine regelrechte Körpersymmetrie (Situs solitus).
Bei männlichen Patienten besteht durch eine Dyskinesie der Spermien meistens eine Infertilität - entsprechend können Störungen der Fertilität bei Frauen durch eine Unbeweglichkeit der Zilien in der Tuba uterina auftreten. Auch die Zilien im Ependym, der Retina und in der Niere können betroffen sein.
Symptomatik
Im Rahmen der gestörten mukoziliären Clearance kommt es durch Sekretretention vermehrt zu Obstruktionen und Infektionen der Atemwege. Leitsymptome sind ein von Geburt bestehendes persistierendes Husten und eine chronische Rhinorrhö. Ungefähr drei Viertel der Patienten haben ein Atemnotsyndrom. Otitiden und Otorrhö werden bei über 50 % d.F. beoachtet. Weiterhin führen rezidivierende Pneumonien bereits im Kindesalter zu Bronchiektasen (v.a. im Mittellappen bzw. in der Lingula). Typisch sind auch Sinusitiden.
Des Weiteren kann ein Hydrocephalus durch den fehlenden Zilienschlag der Ependymzellen auftreten. Weitere Komorbiditäten sind:
- gastroösophagealer Reflux (30 %)
- allergisches Asthma bronchiale (8 %)
- partielle Immundefekte, z.B. Hypogammaglobulinämie, IgG-Mangel (2-6 %)
- Herzfehlbildungen, Ventrikulomegalie
- Transposition der großen Gefäße
- Nierenfehlbildungen
- Ösophagusatresie, Gallengangsatresie
- Asplenie, Polysplenie
- Retinitis pigmentosa
- Asthenospermie
- Extrauteringravidität
Diagnostik
Als Screeningverfahren eignet sich ab dem 5. Lebensjahr eine nasale Messung von Stickstoffmonoxid (NO). Dabei gilt eine Unterschreitung von 50-100 ppb NO als verdächtig für das Vorliegen einer pcD. Weiterhin ist in jedem Alter eine nasale Bürstenbiopsie und eine direkte visuelle Beurteilung der Zilienfunktion im Phasenkontrastmikroskop möglich.
Bei jedem klinischen Verdacht (z.B. Sinus inversus, positive Familienanamnese, Asthenospermie, typische Atemwegssymptome) ist unabhängig vom Ergebnis des Screenings eine sorgfältige erweiterte Diagnostik in spezialisierten Zentren indiziert. Hierbei wird meist eine Bronchoskopie mit Zangenbiopsien durchgeführt. Das gewonnene Material wird mittels einer Hochfrequenzvideomikroskopie und einer Elektronen- und einer Immunfluoreszenzmikroskopie beurteilt.
Molekulargenetische Untersuchungen dienen der Bestätigung eines vermuteten Defekts. Der Saccharin-Test oder eine szintigraphische Clearance-Untersuchung gelten als obsolet.
Zur Abgrenzung von Differenzialdiagnosen sind ggf. weitere Untersuchungen notwendig (z.B. Pilocarpin-Iontophorese, 2-Punkt-pH-Metrie, Allergiescreening)
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnosen der primären Ziliendyskinesie sind z.B.:
- Mukoviszidose
- Immundefekte
- Fehlbildungen der Atemwege
- ösophagotracheale Fisteln
- chronischer Fremdkörper
- COPD
- Analgetikaasthma
Therapie
Eine kausale Therapiemöglichkeit besteht bisher nicht. Die Krankheitsmanifestationen werden symptomatisch behandelt. Dazu wird vor allem die Retention von Sekreten in den Atemwegen bekämpft. Dies erfolgt durch:
- reichliche Flüssigkeitsaufnahme
- Gabe eines Mukolytikums (z.B. N-Acetylcystein).
- Inhalation von β2-Sympathomimetikum (z.B. Salbutamol)
- regelmäßige Physiotherapie
Die Wirksamkeit von Mukolytika bei pcD ist umstritten, da sie keine Wirkrationale haben. Bei Infektionen der Atemwege sollte die Gabe eines Antibiotikums erfolgen, um sekundäre Schäden durch die Entzündung zu minimieren und somit der Entstehung von Pneumonien und Bronchiektasen vorzubeugen.
Bei früher Diagnose, adäquater symptomatischer Therapie und guter Compliance des Patienten ist für die Betroffenen ein verhältnismäßig normales Leben möglich.
Literatur
- Ahrens P. Die primäre ziliäre Dyskinesie, Pneumologe 9, 217–230 (2012), abgerufen am 08.10.2020
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