Muskeldystrophie Typ Duchenne
Synonyme: Duchenne-Krankheit, Dystrophia musculorum progressiva Duchenne
Englisch: Duchenne muscular dystrophy, DMD
Definition
Als Muskeldystrophie Typ Duchenne, kurz DMD, versteht man eine X-chromosomal-rezessiv vererbte Muskelerkrankung, die sich in der frühen Kindheit manifestiert und rasch zu Muskelschwäche, Atrophie der Muskulatur und Rollstuhlpflicht führt. Sie ist die häufigste Form der progressiven Muskeldystrophien im Kindesalter.
- ICD10-Code: G71.0 - Muskeldystrophie
Epidemiologie
Die Erkrankung betrifft einen von 3.500 männlichen Neugeborenen und manifestiert sich zwischen dem ersten und dem sechsten Lebensjahr.
Mädchen erkranken normalerweise nicht an einer DMD, da ein Gendefekt auf einem X-Chromosom durch das zweite X-Chromosom ausgeglichen werden kann.
Ätiopathogenese
Die Muskeldystrophie Typ Duchenne wird X-chromosomal-rezessiv vererbt. Eine Mutation im Dystrophin-Gen führt dazu, dass das Dystrophin in der Muskelzelle fehlt. Bei ungefähr 60-70% der Fälle handelt es sich dabei um eine Deletion, bei 35% um eine Punktmutation und bei ca. 5% um eine Duplikation.
In der histopathologischen Untersuchung sind die Muskelfasern degeneriert und nekrotisch. Zellkerne liegen zentral. Endomysium und Perimysium sind fibrosiert. Die Abnahme an Muskelgewebe wird durch eine Vermehrung des Fettgewebes und des Bindegewebes kompensiert.
Klinik
Die Erkrankung beginnt im Beckengürtelbereich. Die betroffenen Patienten haben Probleme beim Gehen. Sie sind unsicher und stolpern häufig. Schnelles Laufen ist nicht möglich. Aufgrund der Schwäche der Oberschenkelmuskulatur können sich die Patienten kaum noch alleine aufrichten. Aus diesem Grund stützen sie sich beim Aufrichten mit den Händen am Oberschenkel ab, was auch als Gowers-Zeichen bezeichnet wird.
Da die Muskeldystrophie Typ Duchenne vor allem im Bereich der Waden zu einer Zunahme des Fettgewebes und des Bindegewebes führt, erscheinen diese sehr kräftig. Man spricht auch von Gnomenwaden. Zusätzlich werden häufig eine ausgeprägte Lendenlordose und Spitzfüße beobachtet.
Die Erkrankung zeigt einen rasch progredienten Verlauf. Im Laufe der Zeit führt die Erkrankung auch zu einer Muskelschwäche und Muskelatrophie an der oberen Extremität mit Scapula alata.
Die meisten Patienten sitzen zum Zeitpunkt des 12. Lebensjahres im Rollstuhl. Die Rollstuhlabhängigkeit führt zu einer progredienten Skoliose mit Reduktion der Vitalkapazität. Zusätzlich schränkt eine Schwäche der Atemmuskulatur die Atmung weiter ein.
Wenn die Patienten das zehnte Lebensjahr überschritten haben, wird die zuvor präklinische Kardiomyopathie klinisch relevant. Jeder dritte Patient weist eine Intelligenzminderung auf.
In einem fortgeschrittenen Stadium kommt es zu einer Areflexie. Faszikulationen, Fibrillationen und Sensibilitätsstörungen werden nicht beobachtet.
Diagnostik
Grundlegend sind Anamnese und klinische Untersuchung.
Die in der Elektromyographie erhaltenen Befunde weisen auf eine Muskelerkrankung hin. Es sollte ebenfalls eine Muskelbiopsie mit anschließender histopathologischer Untersuchung und Immunhistologie durchgeführt werden.
Im Urin wird vermehrt Kreatin ausgeschieden, während die Kreatininausscheidung reduziert sein kann.
Im Serum lassen sich erhöhte Konzentrationen der LDH, der Aldolase und der Transaminasen feststellen. CK und CK-MM sind stark erhöht. Asymptomatische weibliche Konduktorinnen weisen ebenfalls erhöhte CK-Werte auf.
Das EKG zeigt pathologische Q-Zacken in den inferolateralen Ableitungen (aVL, V5 und V6). Darüber hinaus können Veränderungen der ST-Strecke und eine T-Inversion auftreten. Rhythmus- und Leitungsstörungen sind häufig, sodass Episoden von absoluter Arrhythmie mit Vorhofflimmern oder ein hochgradiger AV-Block möglich sind.[1]
In einer molekulargenetischen Untersuchung lassen sich häufig Deletionen nachweisen.
Therapie
Antisense-Oligonukleotide
Seit einigen Jahren können Kinder mit Muskeldystrophie Typ Duchenne mit dem so genannten Exon-Skipping behandelt werden, bei dem einzelne Exone "übersprungen" werden. Diese Therapie basiert auf Antisense-Oligonukleotiden, z.B. auf Eteplirsen. Eteplirsen wird vor allem bei DMD-Patienten eingesetzt, bei denen eine Deletion des Exon 50 vorliegt. Sie unterbricht die Dystrophin-Synthese, da der Anschluss von Exon 51 an Exon 49 zu einer Unterbrechung des offenen Leserahmens der mRNA führt.
Eteplirsen bindet in der prä-mRNA an das Exon 51 und verhindert so, dass es beim Zusammenbau der Messenger-RNA berücksichtigt wird. Stattdessen wird beim Splicing das nächste Exon, nämlich Exon 52, an das Exon 49 angehängt. Der Leserahmen kann so wieder eingehalten werden und es entsteht eine verkürzte, aber teilweise funktionsfähige Dystrophin-Variante. Der schwer verlaufende Typ Duchenne kann bei geeigneten Patienten in den etwas milder verlaufenden Typ Becker überführt werden.
Gentherapie
Im Juni 2023 erhielt Delandistrogen-Moxeparvovec eine FDA-Zulassung für die Behandlung der DMD. Dieser Arzneistoff ist ein virales Vektorpräparat, das eine verkürzte Version des Dystrophin-Gens enthält. Die Verabreichung erfolgt ab 4 Jahren einmalig intravenös.[2] Erste Follow-up-Studien zeigen eine Stabilisierung oder gar Verbesserung der Motorik.[3]
Symptomatische Behandlung
Abgesehen von der Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden, die nur bei einem Teil der Patienten eine Besserung hervorruft, kann die Erkrankung nur symptomatisch behandelt werden. Großer Bedeutung kommt dabei der Physiotherapie zu, die bestehende Muskelfunktionen erhalten und ggf. auch verbessern soll. Weiterhin können Gelenkkontrakturen verhindert werden.
Die Progression der Erkrankung kann mit Glukokortikoiden etwas verzögert werden. Wenn die Patienten über längere Zeit mit Glukokortikoiden behandelt werden, sollte ein besonderes Augenmerk auf die Ernährung gelegt werden. Wichtig hierbei ist es, Übergewicht zu vermeiden und die Nahrung anzupassen, da es im späteren Verlauf auch zu Schluckstörungen kommt. Eine ausgewogene Ernährung mit genügend Proteingehalt und Ballaststoffen ist sehr wichtig, da diese über längere Zeit ein Sättigungsgefühl erhalten.
Bis Mitte 2024 war Ataluren für die Behandlung der DMD zugelassen.
Die Kardiomyopathie sollte ebenfalls behandelt werden, soweit dieses möglich ist. Eine Herztransplantation kann nötig werden.
Quellen
- ↑ Tang L, Shao S, Wang C. Electrocardiographic features of children with Duchenne muscular dystrophy. Orphanet J Rare Dis. 2022 Aug 20;17(1):320. doi: 10.1186/s13023-022-02473-9. PMID: 35987773; PMCID: PMC9392256.
- ↑ Hoy, Delandistrogene Moxeparvovec: First Approval. Drugs, 2023.
- ↑ Zaidman et al., Delandistrogene Moxeparvovec Gene Therapy in Ambulatory Patients (Aged ≥4 to <8 Years) with Duchenne Muscular Dystrophy: 1-Year Interim Results from Study SRP-9001-103 (ENDEAVOR). Annals of Neurology, 2023.