Kratom
Botanischer Name: Mitragyna speciosa
Synonyme: Katawn, Krton, Biak, Biak-Biak, Gra-tom, Mabog, Mambog, Mitragyne
Definition
Kratom ist die Bezeichnung für die aus den Blättern des in Südostasien beheimateten Baumes Mitragyna speciosa (Kratombaum) gewonnene Droge.
Hintergrund
Traditionell werden die frischen oder getrockneten Blätter gekaut, als Tee aufgegossen oder zu Pulvern und Extrakten verarbeitet. In den Ursprungsländern wird Kratom seit Jahrhunderten als stimulierendes Mittel zur Steigerung von Wachheit und Arbeitsleistung sowie zur Linderung von Beschwerden eingesetzt. In westlichen Ländern wird Kratom überwiegend als pflanzliches Produkt in Form von Pulvern, Kapseln oder Konzentraten konsumiert. Es zählt dort zu den sogenannten neuen psychoaktiven Substanzen (NPS) und unterliegt keiner einheitlichen Regulierung.
Verbreitung
Mitragyna speciosa ist ein in den tropischen Regionen Südostasiens verbreiteter Baum. Natürliche Vorkommen finden sich insbesondere in Thailand, Malaysia, Myanmar, auf den Philippinen sowie auf den indonesischen Inseln Borneo und Sumatra. Die Pflanze wächst bevorzugt in feuchtwarmen Niederungen, entlang von Flussläufen und in sumpfigen Waldgebieten.
Traditionell ist der Gebrauch von Kratom vor allem im ländlichen Raum Südthailands und Nordmalaysias verbreitet, wo Arbeiter die Blätter zur Reduktion von Ermüdung und zur Steigerung der Arbeitsfähigkeit nutzen.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Konsum über ethnobotanische Märkte, Online-Handel und spezialisierte Verkaufsstellen zunehmend nach Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Hier wird Kratom vor allem in Pulver- und Kapselform, seltener als Tee, angeboten.
Inhaltsstoffe
Die Blätter von Mitragyna speciosa enthalten ein komplexes Spektrum an über vierzig verschiedenen Indolalkaloiden. Das mengenmäßig wichtigste ist Mitragynin, dessen Anteil stark schwankt und je nach Herkunft bis zu zwei Drittel ausmachen kann. In deutlich geringeren Konzentrationen liegt 7-Hydroxymitragynin (7-OH) vor, das teils direkt in den Blättern enthalten ist, teils durch metabolische Umwandlung von Mitragynin entsteht. Weitere regelmäßig nachgewiesene Alkaloide sind Paynanthein, Speciogynin, Speciociliatin sowie verschiedene Corynantheidin-Derivate.
Neben den Alkaloiden enthält Kratom Blattbestandteile wie Flavonoide, Triterpene und andere sekundäre Pflanzenstoffe, die jedoch nach heutigem Kenntnisstand nur eine untergeordnete Rolle für die pharmakologische Wirkung spielen.
Die Zusammensetzung ist stark abhängig von Standort, Klima, Bodenbeschaffenheit, Alter der Blätter und Erntezeitpunkt. Handelsprodukte unterscheiden sich daher erheblich in ihrem Wirkstoffgehalt. Besonders problematisch sind Extrakte mit künstlich erhöhten Konzentrationen von Mitragynin oder 7-Hydroxymitragynin, die deutlich potenter und riskanter sein können als traditionelle Zubereitungen.
Pharmakodynamik
Die pharmakodynamischen Effekte von Kratom beruhen auf der Interaktion der Indolalkaloide mit verschiedenen Neurotransmittersystemen. Im Vordergrund stehen Bindungen an Opioidrezeptoren: Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin wirken als partielle Agonisten am μ-Opioidrezeptor, wobei 7-Hydroxymitragynin eine höhere Affinität und Potenz aufweist. In vitro-Studien zeigen zudem eine geringere Aktivität am κ- und δ-Opioidrezeptor. Eine besondere pharmakologische Eigenschaft von Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin ist das sogenannte biased signaling. Im Gegensatz zu klassischen Opioiden wie Morphin aktivieren diese Substanzen vorwiegend G-Protein-vermittelte Signalwege und in geringerem Maße β-Arrestin-abhängige Pfade. Theoretisch könnte dies mit einem veränderten Nebenwirkungsprofil zusammenhängen, insbesondere in Bezug auf Atemdepression oder Obstipation, jedoch existieren auch für Kratom dokumentierte Fälle schwerer Intoxikationen.
Über das Opioidsystem hinaus beeinflussen die Alkaloide auch adrenerge, serotonerge und dopaminerge Signalwege. Die Stimulation von α₂-Rezeptoren trägt zur analgetischen und sedierenden Wirkung bei, während serotonerge und dopaminerge Effekte möglicherweise für Stimmungsaufhellung und Angstreduktion verantwortlich sind. Diese Multirezeptor-Aktivität erklärt den typischen Dosis-Effekt-Verlauf: In niedrigen Dosierungen überwiegen stimulierende und wachheitssteigernde Wirkungen, in mittleren bis hohen Dosierungen treten sedierende, analgetische und opioidähnliche Eigenschaften in den Vordergrund.
Neben diesen beiden dominanten Substanzen finden sich weitere Alkaloide wie Paynanthein, Speciogynin und Speciociliatin, die strukturell eng verwandt sind. Sie tragen vor allem zu muskelrelaxierenden und sedierenden Effekten bei, besitzen aber eine deutlich geringere Rezeptoraffinität. Einzelne Verbindungen wie Corynantheidin oder dessen Isomere zeigen sogar teilweise antagonistische Eigenschaften an Opioidrezeptoren, sodass das Gesamtwirkprofil des Pflanzenextrakts durch eine komplexe Mischung aus agonistischen und modulierenden Einflüssen entsteht.
Pharmakokinetik
Nach oraler Aufnahme wird Mitragynin rasch resorbiert. Der Wirkungseintritt liegt meist innerhalb von 15 bis 30 Minuten, die maximale Plasmakonzentration wird nach etwa einer bis zwei Stunden erreicht. Die Bioverfügbarkeit ist variabel und hängt von Zubereitung, Dosis und individuellen Faktoren wie Magenfüllung oder gleichzeitiger Einnahme anderer Substanzen ab.
Die Eliminationshalbwertszeit von Mitragynin ist in Humanstudien uneinheitlich beschrieben. Werte zwischen sieben und 24 Stunden werden berichtet, was auf Unterschiede in Dosis, Untersuchungsmethodik und individueller Metabolisierung zurückgeführt wird. Für 7-Hydroxymitragynin werden kürzere Halbwertszeiten angenommen. Die Wirkung hält typischerweise zwei bis fünf Stunden an, bei hochdosiertem oder regelmäßigem Konsum auch länger.
Der Metabolisierung erfolgt hauptsächlich über Cytochrom-P450-Enzyme, insbesondere CYP3A4, daneben CYP2D6 und CYP2C9. Durch diese Enzymwege entsteht aus Mitragynin unter anderem 7-Hydroxymitragynin, das pharmakologisch potenter ist und zur Gesamtwirkung wesentlich beiträgt. Aufgrund der metabolischen Beteiligung mehrerer CYP-Isoenzyme besteht ein erhebliches Potenzial für pharmakokinetische Wechselwirkungen, insbesondere bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die über diese Enzyme verstoffwechselt werden.
Die renale Elimination spielt eine untergeordnete Rolle, da Mitragynin überwiegend hepatisch metabolisiert wird. Bei Leberfunktionsstörungen kann daher verstärkt eine Akkumulation auftreten. Daten zu Plasmaproteinbindung und Verteilungsvolumen sind bislang limitiert, lassen aber auf eine relativ breite Gewebeverteilung schließen.
Darreichungsformen
In den Herkunftsländern Südostasiens werden die Blätter von Mitragyna speciosa traditionell frisch gekaut oder als Teeaufguss zubereitet. Dieser Konsum erfolgt meist in niedrigen bis mittleren Dosen, die vor allem stimulierende und ermüdungsreduzierende Effekte hervorrufen sollen. Auch das Mischen der Blätter mit anderen Pflanzenbestandteilen ist regional verbreitet, beispielsweise in Thailand als Ersatz für Betelnuss.
Mit der internationalen Verbreitung hat sich das Spektrum der Darreichungsformen stark erweitert. Am häufigsten werden die getrockneten Blätter zu Pulver vermahlen und als lose Ware oder in Kapseln verkauft. Diese Form ermöglicht eine standardisierte Dosierung, ist jedoch hinsichtlich des Wirkstoffgehalts sehr variabel. Neben Pulvern werden zunehmend auch Flüssigextrakte, Tinkturen, Harze oder sogenannte "Kratom-Shots" angeboten. Diese Produkte weisen oft einen deutlich höheren Anteil an Mitragynin oder sogar angereichertem 7-Hydroxymitragynin auf und können wesentlich stärkere Wirkungen sowie ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen und Abhängigkeit entfalten.
Ein weiterer Unterschied besteht zwischen traditionellen Teezubereitungen und modernen Extrakten darin, dass bei letzteren durch veränderte Extraktionsverfahren das Verhältnis der Alkaloide verschoben werden kann. Während im Tee das natürliche Alkaloidspektrum relativ ausgewogen bleibt, sind hochkonzentrierte Präparate häufig auf eine Steigerung des Mitragynin- oder 7-Hydroxymitragynin-Gehalts ausgelegt. Dadurch unterscheidet sich das pharmakologische Profil teils deutlich von der ursprünglichen Anwendungspraxis.
Wirkprofil
Die Wirkungen von Kratom werden überwiegend aus traditioneller Anwendung, Nutzerberichten und Beobachtungsstudien abgeleitet. In den Herkunftsländern Südostasiens wird Kratom seit Jahrhunderten vor allem von Landarbeitern konsumiert, um Müdigkeit zu verringern und die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern. In niedrigen Dosen berichten Konsumenten von erhöhter Wachheit, gesteigerter Aufmerksamkeit und einer milden Euphorie. Diese Effekte sind in ethnopharmakologischen Untersuchungen mehrfach dokumentiert, wurden jedoch bislang nicht in kontrollierten klinischen Studien systematisch überprüft.
Bei mittleren bis höheren Dosierungen werden vor allem schmerzlindernde und sedierende Eigenschaften beschrieben. Teilweise wird auch über eine Reduktion von Angst und eine Verbesserung der Schlafqualität berichtet. Einzelne Beobachtungsstudien legen nahe, dass Kratom von Personen mit chronischen Schmerzen oder psychischen Belastungen als alternatives oder ergänzendes Selbstmedikationsmittel eingesetzt wird.
Kratom wird auch im Zusammenhang mit Substanzgebrauchsstörungen zur Linderung von Entzugssymptomen nach dem Absetzen von Opioiden oder anderen psychoaktiven Substanzen eingesetzt. Kontrollierte klinische Daten, die diesen Nutzen belegen könnten, liegen jedoch nicht vor. Zudem bestehen Hinweise, dass Kratom selbst ein Abhängigkeitspotenzial entwickelt und Entzugssymptome auslösen kann.
Nebenwirkungen
Die Einnahme von Kratom kann eine Vielzahl von Nebenwirkungen hervorrufen, die stark von der Dosis und der Darreichungsform abhängig sind. Bei niedrigen bis mittleren Dosierungen stehen vor allem vegetative Beschwerden im Vordergrund, insbesondere Übelkeit, Erbrechen, Mundtrockenheit, Obstipation, Schwindel und gelegentlich Kopfschmerzen. Auch eine leichte Tachykardie oder Blutdruckschwankungen werden häufig beschrieben. Diese Effekte ähneln teilweise den Nebenwirkungen klassischer Stimulanzien oder Opioide.
Bei regelmäßigem oder höher dosiertem Gebrauch treten zunehmend chronische Nebenwirkungen auf. Dazu gehören Gewichtsverlust, Anorexie, Schlafstörungen, Hautveränderungen wie eine diffuse Hyperpigmentierung, Tremor sowie eine generelle Abnahme von Leistungsfähigkeit und Vitalität. Viele Konsumenten berichten über eine zunehmende Toleranzentwicklung, die mit einer schrittweisen Dosissteigerung einhergeht.
Schwerwiegende Komplikationen sind sowohl in Fallberichten als auch in toxikologischen Serien dokumentiert. Hierzu zählen vor allem Krampfanfälle, psychotische Episoden, starke Sedierung bis hin zu Bewusstseinsverlust und Atemdepression. Besonders problematisch ist die potenzielle Hepatotoxizität: Mehrere Fälle einer akuten, häufig cholestatischen Leberschädigung wurden nach Kratomkonsum beschrieben, die sich nach Absetzen meist zurückbildete, jedoch teils zu längerfristigen Einschränkungen führte.
Das Risiko schwerer Verläufe steigt deutlich bei hochkonzentrierten Extrakten sowie bei gleichzeitiger Einnahme anderer Substanzen, insbesondere Alkohol, Benzodiazepinen oder klassischen Opioiden. In diesen Kontexten sind auch tödliche Intoxikationen berichtet worden.
Abhängigkeitspotenzial
Kratom besitzt ein relevantes Abhängigkeitspotenzial, das in zahlreichen Beobachtungsstudien und Fallberichten dokumentiert ist. Bei regelmäßigem Konsum kann es innerhalb weniger Monate zu einer Toleranzentwicklung kommen, die häufig mit einer allmählichen Dosissteigerung einhergeht. Die Entzugssymptomatik ähnelt der klassischer Opioide, ist aber in der Regel milder ausgeprägt. Typische körperliche Symptome sind Muskel- und Gelenkschmerzen, Tremor, vegetative Beschwerden wie Schwitzen, Rhinorrhoe, Durchfall und Schlafstörungen.
Psychische Symptome umfassen Reizbarkeit, Unruhe, Angst, Dysphorie und ein starkes Craving. Der Entzug tritt meist innerhalb von 12 bis 24 Stunden nach der letzten Einnahme ein und kann mehrere Tage bis Wochen anhalten, abhängig von Dosis, Konsumdauer und individueller Disposition. Therapeutische Erfahrungen zur Behandlung einer Kratomabhängigkeit sind bislang begrenzt. In Fallberichten wurde eine symptomorientierte Therapie beschrieben, teilweise unter Verwendung von Clonidin, Benzodiazepinen oder klassischen Opioidrezeptoragonisten wie Methadon oder Buprenorphin. Eine standardisierte oder evidenzbasierte Entzugsbehandlung existiert jedoch nicht. Auch psychotherapeutische Interventionen wie kognitive Verhaltenstherapie werden in Analogie zur Behandlung anderer Substanzgebrauchsstörungen eingesetzt.
Rechtliches
Die rechtliche Einordnung von Kratom ist international uneinheitlich und in ständiger Entwicklung.
In Deutschland unterliegt Kratom derzeit (2025) nicht dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Es ist allerdings kein zugelassenes Arzneimittel, sodass ein Vertrieb mit gesundheitsbezogenen Angaben unzulässig ist. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat wiederholt vor der Anwendung gewarnt, insbesondere aufgrund fehlender wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweise und dokumentierter Gesundheitsrisiken. Der Verkauf erfolgt rechtlich in einer Grauzone. In der Europäischen Union besteht keine einheitliche Regelung. Einige Länder wie Frankreich, Dänemark, Lettland und Polen haben Kratom oder seine Hauptalkaloide explizit verboten. Andere Länder tolerieren den Handel, solange keine arzneiliche Bewerbung erfolgt.
In den USA ist Kratom auf Bundesebene nicht als kontrollierte Substanz eingestuft. Die Food and Drug Administration (FDA) stuft es jedoch nicht als Nahrungsergänzungsmittel oder zulässige Lebensmittelzusatz ein und hat mehrfach Importwarnungen und Verbraucherhinweise veröffentlicht. Einige Bundesstaaten und Kommunen haben den Verkauf oder Besitz von Kratom verboten, während andere den Handel regulieren. Die Debatte über eine mögliche Einstufung unter das Controlled Substances Act wird seit Jahren geführt.
Literatur
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- BfArM warnt vor der Anwendung von Kratom. BfArM, 01.07.2025, abgerufen am 21.08.2025
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