Ertrinken
Synonyme: Ertrinkungsunfall, Ertrinkungstod
Definition
Beim Ertrinken handelt es sich um eine Form des Erstickens aufgrund einer Aspiration von Flüssigkeit mit nachfolgender Asphyxie.
Nomenklatur
Einige Autoren unterscheiden zwischen dem typischen Ertrinken und dem atypischen Ertrinken. Letzterer Begriff wird jedoch nicht einheitlich verwendet und umfasst Fälle von Badetod sowie plötzliche natürliche und primär nicht ertrinkungsbedingte, nicht natürliche Todesfälle im Wasser, bei denen die typischen morphologischen Befunde bei der Obduktion fehlen oder nur gering ausgebildet sind.
Von einem Beinahe-Ertrinken spricht man, wenn ein Betroffener aus dem Wasser geborgen und erfolgreich reaniminiert wird.
Epidemiologie
Ertrinken ist die häufigste Todesursache im Wasser. Bei Kindern im Alter von 1 bis 5 Jahren stellt es die häufigste, im Alter von 5 bis 10 Jahren nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste nicht natürliche Todesursache dar. Ein weiterer Häufigkeitsgipfel besteht im Alter von 15 bis 19 Jahren. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen.
Kinder unter einem Jahr ertrinken in Badewannen, Toiletten und Eimern. Die meisten Kinder ertrinken in privaten Swimming-Pools.[1]
Ursachen
Unfreiwilliges Ertrinken ohne Einwirkung fremder Hand wird in Deutschland unabhängig von der konkreten Ursache als Unfall angesehen, sodass es sich um einen nicht natürlichen Tod handelt. In der Regel wird Wasser aspiriert, bei industriellen Unfällen sind z.B. auch andere Flüssigkeiten denkbar.
Dabei beeinflussen verschiedene Bedingungen den Ablauf von Todesfällen im Wasser:
- exogene Faktoren: z.B. Wassertiefe, sehr kalte oder warme Wassertemperaturen, Brandung, Wellen, Strömung
- endogene Faktoren: Lebensalter, Nichtschwimmer, Sprung/Sturz ins Wasser, Apnoe-Streckentauchen (Schwimmbad-Blackout), Überhitzung nach stärkerer Sonneneinstrahlung, Erschöpfung, Panik, Wirkung von Alkohol oder anderen Substanzen, Epilepsie, evtl. Füllungszustand des Magens
Weitere Ursachen eines Ertrinkungstodes sind:
- Suizid (selten): z.B. durch Sprung aus großer Höhe, Ertrinken in der Badewanne nach Einnahme von sedierenden Medikamenten
- Tötungsdelikte (Raritäten): z.B. Ertränken in der Badewanne
Pathophysiologie
Wie bei anderen Erstickungsformen ist der Ertrinkungstod Folge eines hypoxischen Hirnschadens. 1-3 ml Flüssigkeit pro kgKG beeinträchtigt bereits den Gasaustausch in der Lunge. Nach wenigen Minuten treten irreversible Zellschädigungen auf, wobei sich nach ca. 10 Minuten ein globaler Zelluntergang ausbildet, der zum Tod führt.
Theoretisch unterscheidet man zwischen fünf Stadien:
- Inspiration: meist reflektorisch ausgelöst beim plötzlichen Kontakt mit kaltem Wasser ("Überraschungseinatmung")
- willkürliches Anhalten der Atmung (i.d.R. nicht länger als eine Minute)
- Dyspnoe: Anstieg der CO2-Konzentration führt zur Stimulation des Atemzentrums mit unwillkürlichem Wiedereinsetzen der Atmung, sodass Wasser in Kontakt mit dem Kehlkopf kommt. Dies führt zu Husten, sodass erhebliche Mengen an Flüssigkeit verschluckt werden. Dabei kann es auch zu Erbrechen kommen. Durch den Sauerstoffmangel tritt eine Bewusstlosigkeit ein, sodass vermehrt Wasser in die Trachea und Bronchien aspiriert wird. Die Erhöhung des Atemwiderstandes führt zu einem akuten Lungenemphysem (Emphysema aquosum) und zu einem Lungenödem (Oedema aquosum).
- Krampfstadium: tonisch-klinische Krämpfe durch zerebrale Hypoxie
- Apnoe: präterminale Atempause, dann finale Schnappatmung, schließlich Atemstillstand (während der Herzschlag noch einige Zeit erhalten bleiben kann)
Typischerweise kommt es nur selten zu einem "Überlebenskampf" im Wasser, meist versinken die Betroffenen schnell im Wasser. Entgegen früherer Lehrmeinung spielt das Volumen der aspirierten Flüssigkeit sowie die Osmolarität des Wassers keine entscheidende pathophysiologische Rolle.
Rechtsmedizin
Postmortales Intervall
Postmortal sinkt der Leichnam zum Boden des Gewässers und richtet sich meist in Bauchlage aus. In bewegten Gewässern resultieren daraus charakteristische Schleifspuren an Stirn, Handrücken, Knien und Zehen (sog. Treibverletzungen).
Im Verlauf sorgt die Gasentwicklung im Rahmen von Fäulnisprozessen zum Wiederauftauchen. Der Fäulnisgrad nach 2 Wochen im Wasser entspricht dem von einer Woche an der Luft und dem nach 8 Wochen im Erdgrab (Casper-Regel).
Je nach Leichenliegezeit finden sich weitere Veränderungen: Beispielsweise bildet sich nach wenigen Tagen die sog. Waschhaut an Händen und Füßen aus, die bis zur kompletten Ablösung der Haut führen kann. Weiterhin können Fraßdefekte durch Wassertiere vorkommen.
Leichenschau
Feinblasiger weißer Schaum vor Mund und/oder Nase (Schaumpilz) kann der einzige äußere Hinweis auf einen Ertrinkungstod sein. An der Luft trocknet der Schaum oft ein, sodass nur geringe Spuren perioral vorhanden sein können.
Die sichere Diagnose Ertrinken kann nur bei gleichzeitigem Vorhandensein folgender Obduktionsbefunde gestellt werden:
- akutes Lungenemphysem (Emphysema aquosum) oft bei gleichzeitig bestehendem intraalveolären Ödem (Oedema aquosum): Lungen berühen sich häufig bereits vorne im Mediastinum, nach Fingerdruck persistierende Eindellungen (aufgehobenes Retraktionsvermögen der Lungenoberfläche)
- feinblasiger weißer Schaum in den Atemwegen, evtl. mit Schaumpilzbildung, selten feste Partikel (z.B. Sand)
Weiterhin existieren hinweisende Befunde:
- Svechnikov-Zeichen: erhöhtes Flüssigkeitsvolumen in den Stirn- oder Keilbeinhöhlen, jedoch nicht immer vorhanden und auch bei anderen Todesursachen möglich
- Einblutungen in die Mastoidzellen: jedoch sind postmortale Blutaustritt infolge von Hypostase ebenfalls möglich
- Paltauf-Flecken: rötliche, hämolysierte Petechien unter der Pleura visceralis
- Aspiration von erbrochenem Speisebrei (selten)
- Wydler-Zeichen: verwässerter Mageninhalt zeigt nach dem Umfüllen in ein Glasgefäß eine Dreischichtung (weißer Schaum, Flüssigkeit, feste Nachrungsbsestandteile)
- Sehrt-Risse: seltene Schleimhautrisse am Mageneingang durch Erbrechen
Als unspezifische Befunde gelten z.B.:
- flüssiges Leichenblut
- hämoglobinimbibierte Gefäßwände
- akute Blutfülle der inneren Organe (häufig nicht der Milz)
Weiterhin ist zu beachten, dass durch Reanimationsversuche die ursprünglichen Befunde verändert werden können. Nach einer Leichenliegezeit von wenigen Tagen im Wasser kommt es infolge von Autolyse und Fäulnis zur Beseitigung der typischen Ertrinkungszeichen.
Weitere Diagnostik
Folgende Zusatzuntersuchungen haben einen hinweisenden Charakter für die Diagnose:
- Diatomeen-Nachweis: Beim Ertrinken in biologischen Gewässern können Diatomeen (Kieselalgen) aspiriert und anschließend in den Blutkreislauf und die Organe gelangen. Der Nachweis kann aus den Lungen, aus der Flüssigkeit der Nasennebenhöhlen, aus Blut, Knochenmark, Leber und Niere sowie im Einzelfall aus Magen- und Duodenalinhalt erfolgen. Die genaue Bestimmung der Art kann Hinweise auf die Örtlichkeiten erbringen. Problematisch ist das ubiquitäre Vorkommen von Diatomeen.
- mikroskopischer Nachweis zerrissener elastischer Fasern in den Alveolarsepten
Beinahe-Ertrinken
Kann der Betroffene geborgen werden, ist eine sofortige Reanimation im Rahmen der ersten Hilfe erforderlich. Bei einem bewusstlosen, jedoch noch lebenden Patienten kann es zunächst einmal zu starken Hustenanfällen kommen. In der Auskultation der Lungen zeigen sich Rasselgeräusche, Der Sauerstoffmangel ist erkennbar an livide verfärbten und kalten Extremitäten und Lippen. Auch eine Tachykardie kann beobachtet werden.
Initial ist zunächst eine Blutgasanalyse erforderlich. Auch ein Blutbildbefund, sowie die Bestimmung von Laktat und des Blutzuckers sollten im weiteren Verlauf im Labor erhoben werden. Mit Hilfe eines Röntgen-Thorax kann ein ARDS abgegrenzt werden.
Der Betroffene sollte warm gehalten werden. Handelt es sich um einen Unfall in Süßwasser, können Keime in die Lunge gelangt sein, weshalb eine prophylaktische Antibiotika-Therapie eingeleitet werden muss. Pneumonien stellen jedoch eine seltene Komplikation des Beinahe-Ertrinkens dar. Häufig tritt dagegen eine milde Nierenfunktionsstörung mit erhöhtem Serumkreatinin auf.
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