Diabetes mellitus (Hund)
Synonym: Zuckerkrankheit
Englisch: diabetes mellitus
Definition
Diabetes mellitus, kurz DM, ist eine metabolische Erkrankung des Hundes, die durch eine Hyperglykämie charakterisiert ist. Sie entsteht infolge einer gestörten Insulinproduktion und/oder Insulinwirkung.
Epidemiologie
Diabetes mellitus ist neben dem Hyperadrenokortizismus (Morbus Cushing) die häufigste Endokrinopathie beim Hund. Ein Großteil der betroffenen Hunde ist mittelalt bis alt (≥ 5 Jahre). Ein Auftreten bei jungen Tieren (< 1 Jahr) ist äußerst selten.
Die Geschlechtsverteilung erkrankter (unkastrierter) Tiere ist ungleich. Rund 72 % der erkrankten Hunde sind weiblich.[1]
Klassifzierung
Die Klassifikation des Diabetes mellitus beim Hund wird in Anlehung an die Klassifikation in der Humanmedizin durchgeführt und beinhaltet drei Formen:
- Diabetes mellitus Typ 1
- Diabetes mellitus Typ 2
- Sekundärer Diabetes mellitus
Ätiopathogenese
Diabetes mellitus Typ 1
Beim Diabetes mellitus Typ 1 liegt meist eine autoimmun bedingte Zerstörung der β-Zellen bei genetisch prädisponierten Tieren vor. Bei betroffenen Hunden können Antikörper gegen β-Zellen und verschiedene Inselzell-Komponenten (Insulin, Glutamatdecarboxylase, Tyrosinkinase IA-2) nachweisbar sein.[2] Des Weiteren ist das Risiko, an einem Diabetes mellitus zu erkranken, mit bestimmten Dog-Leukocyte-Antigen-Haplotyp assoziiert.[3]
Sehr junge Hunde (< 1 Jahr) mit Diabetes mellitus weisen meist keine autoimmune Zerstörung der β-Zellen auf. Hierbei handelt es sich größtenteils um eine β-Zell-Aplasie oder -Atrophie.
Der Diabetes mellitus Typ 1 zeichnet sich v.a. durch fehlende oder sehr geringe Insulinsekretion aus, wobei der Mangel irreversibel ist.
Diabetes mellitus Typ 2
Als Diabetes mellitus Typ 2 bezeichnet man die periphere Insulinresistenz der Gewebe (Muskulatur, Fettgewebe, Leber) bei gleichzeitig vorliegender β-Zell-Dysfunktion. Im Gegensatz zu Menschen oder Katzen kommt dieser Diabetes-Typ beim Hund nur äußerst selten vor.
Sekundärer Diabetes mellitus
Unter einem sekundären Diabetes mellitus fasst man Diabetes-Typen zusammen, die sich infolge anderer Erkrankungen oder Faktoren entwickeln. Hierzu zählen z.B. Pankreatitis, Pankreaskarzinom, Hyperadrenokortizismus (Morbus Cushing), Hypersomatotropismus (Akromegalie), Glukokortikoid-, Progestagen- oder STH-Applikation.
Bei intakten Hündinnen kann sich auch ein Diabetes mellitus im Diöstrus einstellen. Hierbei wird durch Progesteron die STH-Sekretion aus der Milchdrüse stimuliert. Sowohl Progesteron als auch STH haben diabetogene Eigenschaften, die letztendlich zur Ausbildung einer klinisch manifesten Erkrankung führen.
Physiologie
Der Blutglukosespiegel wird normalerweise durch zahlreiche Mechanismen innerhalb des physiologischen Rahmens gehalten. Kommt es zum Anstieg der Blutglukose (z.B. postprandial), so erfolgt eine Insulinausschüttung aus den β-Zellen des Pankreas.
Zwischen den einzelnen Mahlzeiten, bei längerer Nahrungskarenz (z.B. Fasten), bei erhöhtem Energiebedarf (z.B. sportliche Aktivitäten) sowie bei Hypoglykämie bewirken verschiedene Stresshormone (Glukagon, Adrenalin, Cortisol und STH) einen Glukoseanstieg bzw. verhindern einen bedrohlichen Abfall des Blutglukosespiegels über gegenregulatorische Mechanismen (Glukoneogenese u.ä.).
Pathophysiologie
Beim Diabetes mellitus kommt es zu einem Insulinmangel bei gleichzeitiger Glukagonsekretion, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf unterschiedliche Stoffwechselprozesse hat:
- Kohlenhydratstoffwechsel: Steigerung der Glukoneogenese und Glykogenolyse bei gleichzeitig vermindertem Glukoseeintritt in die Zellen (v.a. Muskulatur und Fettgewebe). Infolge dessen kommt es zur Hyperglykämie, Glukosurie und osmotischer Diurese mit Wasser- und Elektrolytverlust.
- Fettstoffwechsel: gesteigerte Lipolyse mit daraus resultierender Lipämie und zunehmender Leberverfettung.
- Proteinstoffwechsel: erhöhter Proteinabbau, der zu einer weiter ansteigenden Blutglukose aufgrund gesteigerter Glukoneogenese aus glukoplastischen Aminosäuren führt. Betroffene Tiere leiden an Abmagerung, Schwäche und schlechter Wundheilung.
Klinik
Anhand der Klinik und dem Schweregrad der Symptome wird zwischen einer unkomplizierten und einer komplizierten Verlaufsform unterschieden.
Unkomplizierte Verlaufsform
Betroffene Tiere werden meist wegen der vier klassischen Diabetes-Symptome vorstellig:
Zusätzlich können die Hunde adipös, normalgewichtig oder gar mager sein, wobei das Haarkleid unabhängig von der Körperkondition stumpf wirkt. Oftmals ist auch eine Hepatomegalie palpierbar.
Manche Hunde werden auch erst aufgrund des plötzlichen Verlustes des Sehvermögens auffällig. Die Visusminderung entwickelt sich v.a. durch die diabetische Katarakt, die binnen weniger Tage entstehen kann. Nach etwa sechs Monaten ist sie bei etwa 50 %, nach 1,5-jähriger Krankheitsdauer bei etwa 80 % der Hunde vorhanden. Da die Gefahr einer Linsen-induzierten Uveitis besteht, sollte der Krankheitsverlauf engmaschig kontrolliert werden.
Das Allgemeinbefinden ist bei der unkomplizierten Form oft nur wenig beeinträchtigt. Ob zusätzliche Symptome vorhanden sind, hängt v.a. von der Krankheitsdauer und -schwere sowie von möglichen begleitenden oder auslösenden Erkrankungen (z.B. Pankreatitis, Infektionen) ab.
Komplizierte Verlaufsform
Bei einigen Hunden entwickelt sich eine komplizierte Verlaufsform, die durch eine plötzlich auftretende hochgradige Störung des Allgemeinbefindens aufgrund einer diabetischen Ketoazidose ausgelöst wird. Die diabetische Ketoazidose ist eine akute Stoffwechselentgleisung, die sich meist bei Tieren entwickelt, bei denen der Diabetes mellitus nicht erkannt wurde. Typische Symptome der komplizierten Verlaufsform sind:
- Anorexie
- Apathie
- Erbrechen
- abdominaler Schmerz
- Dehydratation
- Schwäche
- Stupor
- Koma und Tod möglich
Diagnose
Sowohl Anamnese als auch klinische Untersuchung sind hinweisend. Die Diagnose wird anhand einer Untersuchung des Blutes und des Urins gestellt:
- erhöhte Blutglukosekonzentration (> 180 mg/dl)
- erhöhte Fruktosaminkonzentration (> 400 µmol/L)
- Glukosurie
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch sind alle mit Polyurie und Polydipsie (PU/PD) einhergehenden Erkrankungen auszuschließen, z.B.:
- Hyperadrenokortizismus
- Escherichia coli-induzierte Zystitis
- Pyelonephritis
- Chronische Niereninsuffizienz
- Pyometra
- Hepatpathie
- Paraneoplastisches Syndrom
- Hyperkalzämie
Therapie
Begleitende Therapie
Die Therapie eines caninen Diabetes mellitus umfasst meist auf folgende Maßnahmen:
- Absetzen diabetogener Medikamente (z.B. Glukokortikoide, Progestagene) und möglichst umgehende Kastration bei sich im Diöstrus befindenden Hündinnen.
- Einstellung einer individuell angepassten Insulintherapie, die ein Leben lang beibehalten werden muss.
- Durchführen einer genauen Fütterungsanamnese und Anpassung der Ernährung (Diätmanagement), orientiert an einer angemessenen konstanten Energiezufuhr (40 bis 80 kcal/kgKG des Idealgewichts), einer konstanten Futterzusammensetzung (Vermeidung von Mono- und Disacchariden, rohfaserreiche Diät), dem Einhalten konstanter Fütterungszeitpunkte und einer deutlichen Gewichtsreduktion bei adipösen Hunden (ca. 1 % des Körpergewichts pro Woche).
- Behandlung von Begleiterkrankungen (z.B. bakterielle Harnwegsinfektionen).
Insulintherapie
Die Insulintherapie wird mit kommerziell erhältlichen Wirkstoffen durchgeführt - die hinsichtlich ihrer Wirkungsdauer in kurz, mittellang und lang wirksame Insuline unterteilt werden.
Kurz wirksame Präparate kommen hauptsächlich in der Therapie des komplizierten Diabetes mellitus (diabetische Ketoazidose) zum Einsatz. Der Wirkungseintritt erfolgt etwa 15 bis 30 Minuten nach der intramuskulären Injektion, wobei die Maximalwirkung nach 1 bis 4 Stunden erreicht ist. Kurz wirksame Insuline besitzen jedoch nur eine 3- bis 6-stündige Wirkung, weshalb sie mehrmals täglich appliziert werden müssen.
Unkomplizierte Verlaufsformen sollten mit mittellang wirksamen Präparaten therapiert werden. Die Insuline der verschiedenen Tierarten unterscheiden sich in ihrer Aminosäuresequenz. Einzige Ausnahme stellt hier das Hundeinsulin dar, das mit demjenigen vom Schwein identisch ist. Aufgrund dessen ist für Hunde ein Schweineinsulin des sogenannten Lente-Typs (modifiziertes Insulin mit Zink) zugelassen, welches das Insulin der 1. Wahl darstellt (porcines Zink-Insulin). Die Wirkung setzt nach subkutaner Applikation zwischen 30 Minuten und 3 Stunden ein und entfaltet nach 2 bis 10 Stunden seinen Maximaleffekt. Die Wirkungsdauer liegt zwischen 4 und 24 Stunden. Alternativ steht auch ein Protamin-Zink-Insulin zur Verfügung, das aufgrund eines anderen Depotträger länger wirkt als porcines Zink-Insulin.
Literatur
- Hans G. Niemand (Begründer), Peter F. Suter, Barbara Kohn, Günter Schwarz (Herausgeber). Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Enke-Verlag, 2012.
Quellen
- ↑ Fall T et al. Diabetes mellitus in a population of 180,000 insured dogs: incidence, survival, and breed distribution, J Vet Intern Med. 2007 Nov-Dec;21(6):1209-16, abgerufen am 07.01.2020
- ↑ Davison LJ et al. Autoantibodies to GAD65 and IA-2 in canine diabetes mellitus, Vet Immunol Immunopathol. 2008 Nov 15;126(1-2):83-90, abgerufen am 07.01.2020
- ↑ Safra N et al. Expanded dog leukocyte antigen (DLA) single nucleotide polymorphism (SNP) genotyping reveals spurious class II associations, Vet J. 2011 Aug; 189(2): 220–226. Published online 2011 Jul 7, abgerufen am 07.01.2020