Akute Höhenkrankheit
Synonyme: akute Höhenerkrankung, akute Bergkrankheit, AHK, D'Acosta-Krankheit
Englisch: acute mountain sickness, AMS
Definition
Unter einer akuten Höhenkrankheit, kurz AMS, versteht man ein primär neurologisches Syndrom infolge einer akuten Akklimatisierungsstörung des Körpers an die veränderten Druckverhältnisse bei einem Aufstieg in große Höhen (meist ab 2.500 Metern über dem Meeresspiegel).
Risikofaktoren
Die wichtigsten Risikofaktoren sind ein zu schneller Aufstieg sowie eine vergangene Höhenkrankheit in der Anamnese. Die Fitness spielt keine Rolle. Personen über 50 Jahren erkranken seltener als jüngere Menschen, vermutlich weil sich im Alter die reaktive Erhöhung der Herzfrequenz abschwächt und sich die Atemantwort verstärkt, sodass trotz Hypoxie die arterielle Sauerstoffsättigung konstant bleibt. Eine starke Abnahme der Sauerstoffsättigung und eine unzureichende Atemantwort bei Belastung sind unabhängige prädiktive Faktoren für eine schwere Höhenkrankheit. Weitere, seltene Risikofaktoren sind eine Schädigung des Karotissinus durch eine Strahlentherapie oder Operation im Halsbereich, Atemwegsinfektionen oder Dehydrierung.
Pathophysiologie
Die genaue Pathophysiologie ist zur Zeit (2022) unbekannt. Vermutet wird ein vasogenes Hirnödem als Grundlage der neurologischen Störungen. Die Hypoxie in den zerebralen Gefäßen führt kompensatorisch zu einer Vasodilatation mit Anstieg der Gehirnperfusion und des zerebralen Blutvolumens. Die respiratorische Hypokapnie in großen Höhen wirkt dem zwar entgegen, jedoch überwiegt die Vasodilatation. Der gesteigerte mikrovaskuläre Druck und eine massive Hyperperfusion ziehen eine mechanische Störung der Kapillaren mit Flüssigkeitsaustritt nach sich.
Die mitochondriale Dysfunktion bei Hypoxie führt zur osmotischen Zellschwellung, Laktatazidose, Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies und zur Freisetzung von Faktoren, welche die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke stören (Histamin, Arachidonsäure, VEGF, Adenosin und Stickoxid). Hierdurch werden die Autoregulationsmechanismen des Gehirn gestört und weitere kapillare Lecks entstehen. Im späteren Stadium werden Zytokine freigesetzt, die für Fieber und eine weitere Störung der Blut-Hirn-Schranke verantwortlich sind.
Die messbare Zunahme des Durchmessers der Nervenscheide des Nervus opticus bei Auftreten einer AMS, lässt auf die pathophysiologische Rolle eines erhöhten Hirndrucks schließen. Das Auftreten von Kopfschmerzen wird als multifaktoriell induzierte Beeinträchtigung des trigeminovaskulären Systems angesehen. Das Ansprechen auf NSAR und Glukokortikoide liefert einen indirekten Hinweis auf eine Beteiligung des Arachidonsäurestoffwechsels und auf eine Entzündungsreaktion. Durch eine Ausschüttung von Antidiuretischem Hormon aus dem Hypophysenhinterlappen sowie vermehrte Sekretion von Aldosteron aus der Nebennierenrinde kommt es zur vermehrten Natrium- und Wasserretention in der Niere. Das Hirnödem wird durch die verminderte Diurese noch verstärkt.
Symptomatik
Die akute Höhenkrankheit umfasst ein primär neurologisches Syndrom, das meist 6 bis 12 Stunden nach dem Aufstieg in große Höhen auftritt. Das Leitsymptom sind dumpfe, klopfende Kopfschmerzen, die häufig nachts auftreten, sodass es zum Aufwachen kommt. Anstrengungen intensivieren den Schmerz. Weitere Symptome sind Übelkeit, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Schwäche, Schwindel, Schlaflosigkeit oder Oligurie.
Komplikation
Vermutlich haben eine AMS und ein Höhenhirnödem (high altitude cerebral edema, HACE) die gleiche Pathophysiologie, wobei das HACE als Endstadium eines Kontinuums angesehen werden kann. Bei Patienten mit einem HACE kann man ein vasogenes (interstitielles) Hirnödem MR-tomographisch an einer erhöhten Signalintensität in der weißer Substanz, v.a im Bereich des Spleniums des Corpus callosum, erkennen. Ein schwerer Verlauf entsteht, wenn das vasogene in ein zytotoxisches (intrazelluläres) Hirnödem übergeht. Mikroblutungen durch Zytokine oder Schädigungen der Kapillaren durch erhöhten hydrostatischen Druck können ein HACE begünstigen.
Leitsymptome sind eine Rumpfataxie mit Gehunfähigkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen. Im Verlauf können Bewusstseinsstörungen auftreten, die in ein Koma übergehen können. Ohne adäquate Therapie ist der Verlauf letal, mit Therapie beträgt die Letalität noch 40%. Eine Komplikation des HACE sind Läsionen des Globus pallidum mit resultierendem Parkinson-Syndrom.
Differenzialdiagnosen
Eine akute Höhenkrankheit muss abgegrenzt werden von Erschöpfungszuständen, Dehydratation, Hypothermie, Veisalgie nach Alkoholeinnahme und Hyponatriämie.
Diagnose
Die AMS ist eine klinische Diagnose. Zur Diagnosestellung und im Rahmen von Studien wird der 1991 erarbeitete und 2018 revidierte Lake-Louise-AMS-Score verwendet:[1]
Symptom | Schweregrad |
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Kopfschmerzen |
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Gastrointestinale Symptome |
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Müdigkeit, Schwäche |
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Benommenheit, Schwindel |
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Für die Diagnose einer AMS werden milde Kopfschmerzen (1) sowie eine Gesamtpunktzahl von mindestens 3 vorausgesetzt. Einige Autoren sprechen bei 3 bis 5 Punkten von einer milden AMS, bei 6-9 Punkten von einer moderaten und bei 10-12 Punkten von einer schweren AMS, wobei diese Einteilung willkürlich ist.
Prophylaxe
Die beste Prophylaxe ist ein langsamer Aufstieg mit ausreichend Zeit für die Akklimatisierung. Generell wird ab 2.500 Metern ein Anstieg der Schlafhöhe von maximal 400 Metern pro Tag empfohlen. Außerdem sollte für jeden dritten Tag einen Ruhetag eingeplant werden. Weitere protektive Faktoren sind eine Übernachtung auf mittlerer Höhe vor dem Aufstieg in große Höhen sowie ein Aufenthalt in großer Höhe in vergangenen 2 Monaten. Desweiteren sollten Personen, die sich in großer Höhe aufhalten, über die Symptome einer AMS Bescheid wissen. Hilfreich ist eine ausreichende, aber nicht übermäßige Flüssigkeitszufuhr zur Vermeidung einer Dehydrierung durch Hyperventilation und Schwitzen.
Eine medikamentöse Prophylaxe ist indiziert bei Personen mit vorausgegangenen AMS sowie in Situationen, in denen kein langsamer Aufstieg möglich ist. Dabei ist Acetazolamid das Mittel der Wahl. Als renaler Carboanhydrasehemmer führt es zur Bikarbonatdiurese mit metabolischer Azidose und Hyperventilation. Einen Tag vor dem Aufstieg sollte es für eine Dauer von 2 bis 3 Tagen in einer Dosis von 2 x 125 bis 250 mg/d eingenommen werden. Eine häufige Nebenwirkung sind Parästhesien in den Extremitäten. Auch Dexamethason ist in einer Dosis von 4 mg alle 12 Stunden prophylaktisch wirksam. Ibuprofen scheint ebenfalls zu helfen, eine generelle Empfehlung kann bei unzureichender Datenlage noch nicht ausgesprochen werden. Keine Evidenz gibt es für Ginkgo biloba, Spironolacton, Medroxyprogesteron, Magnesium, Kalziumantagonisten, Antazida, Kokablätter und Soroche-Pillen (Kombination aus ASS, Koffein und Paracetamol).
Therapie
Bei einer leichten AMS genügen Ruhe und die Gabe von Analgetika (z.B. Ibuprofen 3 x 600 mg pro Tag). Generell sollte der Betroffene die Höhe unterschreiten, auf der die ersten Symptome aufgetreten sind. Ab einer mittelschweren AMS helfen meist der sofortige Abstieg sowie Acetazolamid (250 mg alle 12 Stunden) und Sauerstoff (2 bis 4 Liter pro Minute). Hier kann außerdem Dexamethason (4 mg alle 6 Stunden) gegeben werden.
Treten neurologische Symptome auf, die auf HACE hindeuten, ist ein sofortiger Abstieg entscheidend. Falls dies nicht möglich ist, sollte der Patient mit Sauerstoff versorgt oder in einer tragbaren Überdruckkammer untergebracht werden. Zudem ist die Gabe von Dexamethason (8 mg p.o./i.m./i.v., dann 4 mg alle 6 Stunden) indiziert, bis die Person abgestiegen ist oder die Symptome vollständig abgeklungen sind. Darüber hinaus kann zusätzlich ggf. Acetazolamid verabreicht werden.[2]
Quiz
Literatur
- Suttorp N. et al., Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016
- Jin J. Acute Mountain Sickness, JAMA. 2017 Nov 14;318(18):1840. doi: 10.1001/jama.2017.16077., abgerufen am 22.06.2019
- Dekker MCJ et al. Mountain neurology, Pract Neurol. 2019 Jun 8. pii: practneurol-2017-001783, abgerufen am 22.06.2019
- Jensen JD, Vincent AL. High Altitude Cerebral Edema (HACE), StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2019-2018 Dec 24., abgerufen am 22.06.2019
- Imray C et al., Acute Mountain Sickness: Pathophysiology, Prevention, and Treatment, Progress in Cardiovascular Diseases 52 (2010) 467-484, abgerufen am 22.06.2019
Quellen
- ↑ Roach RC et al.The 2018 Lake Louise Acute Mountain Sickness Score, High Alt Med Biol. 2018 Mar;19(1):4-6. doi: 10.1089/ham.2017.0164. Epub 2018 Mar 13.abgerufen am 22.06.2019
- ↑ Luks AM et al. Acute high-altitude sickness, Eur Respir Rev 2017;26: 160096.
Bildquelle
- Bildquelle für Quiz: Rohit Tandon, Unsplash
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