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Vitamin-B12-Mangel

Englisch: vitamin B12 deficiency

1. Definition

Ein Vitamin-B12-Mangel ist eine Form des Vitaminmangels, bei dem der Körper weder genügend biologisch aktives Vitamin B12 (Cobalamin) gespeichert hat, noch genügend Vitamin B12 zugeführt wird.

2. ICD-10-Code

  • D51.- Vitamin-B12-Mangelanämie
  • D53.8 Mangel an sonstigen näher bezeichneten Vitaminen des Vitamin-B-Komplexes
  • F02.8 Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheitsbildern
  • G32.0 Subakute kombinierte Degeneration des Rückenmarks bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

3. Physiologie

3.1. Funktion

Cobalamin ist Kofaktor für zwei Enzyme:

Cobalamin ist sekundär an vielen Stoffwechselwegen von Fettsäuren, Aminosäuren und Nukleinsäuren beteiligt und hat damit einen wichtigen Einfluss auf die Zellreifung und -teilung, besonders auf die Hämatopoese, die Myelinsynthese und die Syntheseleistung der epithelialen Geweben.

3.2. Bedarf

Der durchschnittliche tägliche Bedarf an Vitamin B12 beträgt etwa 2 µg. Die einzige relevante Quelle für den Menschen sind tierische Lebensmittel (Fisch, Fleisch, Milchprodukte, Eier). Normalerweise ist in der Leber und in der Muskulatur so viel Vitamin B12 gespeichert, dass der Bedarf für durchschnittlich 2 bis 4 Jahre gedeckt ist.

3.3. Resorption

Mit der Nahrung aufgenommenes Cobalamin wird überwiegend im Ileum aktiv resorbiert. Dafür ist Intrinsic Factor (IF) aus den Parietalzellen des Magens notwendig. Weiterhin unterliegt Cobalamin dem enterohepatischen Kreislauf.

3.4. Transport

Transcobalamin I befördert überschüssiges Cobalamin zur Leber, während Transcobalamin II die Zellen des Körpers mit Cobalamin versorgt.

4. Ätiologie

Grundsätzlich kann ein erhöhter Bedarf an Vitamin B12 im Rahmen einer Schwangerschaft, bei Neugeborenen und Säuglingen, bei Leukämie und chronischen Infektionskrankheiten sowie nach wiederholter Hämodialyse zur Exazerbation eines subklinischen Vitamin-B12-Mangels führen.

Häufig liegt dem Mangel eine Malabsorption zu Grunde und nur selten eine inadäquate Nahrungsaufnahme. Weitere seltene Ursachen können unter anderem bestimmte Medikamente und Toxine sowie genetische Erkrankungen sein.

4.1. Malabsorption

4.2. Nutritive Ursachen

Ein nutritiv bedingter Cobalaminmangel kann bei Veganern auftreten, die auf jegliche tierische Produkte verzichten. Da der enterohepatische Kreislauf von Cobalamin intakt ist, entwickelt sich der Mangel meist nicht bis zu einer Anämie. Selten können auch Armut, Anorexie, chronischer Alkoholabusus oder psychiatrische Erkrankungen zu einer inadäquaten Nahrungsaufnahme führen.

Säuglinge von Müttern mit Cobalaminmangel werden mit zu geringen Körpervorräten geboren. Da die Muttermilch nur wenig Vitamin B12 enthält, entwickeln sie im 3. bis 6. Lebensmonat eine megaloblastäre Anämie, eine Wachstumsretardierung, eine mangelhafte psychomotorische Entwicklung und weitere neurologische Komplikationen. Der Mangelzustand kann sich u.a. durch häufiges Schreien ("Schrei-Baby") bemerkbar machen.

4.3. Medikamentös-toxische Ursachen

Diverse Medikamente bzw. Toxine können einen Vitamin-B12-Mangel verursachen. Dazu zählen insbesondere:

4.4. Genetische Ursachen

5. Epidemiologie

Die Prävalenz eines Vitamin-B12-Mangels bei jungen Erwachsenen wird auf 5 bis 10 % geschätzt. Bei älteren Erwachsenen steigt die Prävalenz auf 10 bis 30 %.[1] Als weitere Risikogruppen gelten:

  • chronisch Kranke
  • Schwangere und Stillende
  • Säuglinge

6. Klinik

Ein Vitamin-B12-Mangel kann asymptomatisch sein oder eine Vielzahl an Manifestationen verursachen, die zusammen oder vereinzelt vorliegen können. Den hämatologischen und neurologischen Störungen kann eine längere Periode mit diffusen Allgemeinsymptomen wie Leistungsabfall oder Inappetenz vorausgehen.

Ein Vitamin-B12-Mangel äußert sich in etwa 2/3 der Fälle zunächst oder überwiegend durch neurologische und/oder neuropsychiatrische Symptome. Gerade bei älteren Patienten ist es ratsam, bei Anzeichen von Altersdemenz und/oder Depression an einen Vitamin-B12-Mangel als Ursache zu denken.

6.1. Hämatologisches Syndrom

Die meist asymptomatischen Patienten werden zufällig bei einer Blutuntersuchung durch ein erhöhtes MCV entdeckt. Bei schwereren Verläufen fallen die typischen Anämiesymptome auf (Abgeschlagenheit, verminderte Leistungsfähigkeit, Müdigkeit, Kopfschmerz, Belastungsdyspnoe, Tachykardie, Schwindel). Bei intramedullärer Hämolyse kann ein diskreter Ikterus entstehen.

Weiterhin kann eine Thrombozytopenie zu Einblutungen führen, die vor allem bei gleichzeitigem Vitamin-C-Mangel oder mangelernährten Alkoholikern auftreten. Die Anämie, geringe Leukozytopenie sowie die verminderte Funktion der Phagozyten bei Vitamin-B12-Mangel prädisponieren für Infektionen des Respirations- und Urogenitaltrakts.

6.2. Neurologisch-psychiatrisches Syndrom

Ein Mangel an Vitamin B12 führt zu verschiedenen neurologischen Manifestationen, wobei der genaue Pathomechanismus unklar ist. Vermutet wird eine Akkumulation von S-Adenosylhomocystein im zentralen Nervensystem. Die neurologischen Symptome des Vitamin-B12-Mangels können den Patienten subjektiv schon stark beeinträchtigen, bevor sie mit objektiven Messmethoden festgestellt werden können. Äußert sich ein Vitamin-B12-Mangel zuerst durch psychiatrische Symptome, werden sie vom Untersucher häufig falsch interpretiert.

6.3. Weitere Manifestationen

Neben dem Knochenmark und dem Nervensystem ist auch das Epithel von Mund, Magen, Dünndarm, Respirations- und Urogenitaltrakt betroffen. Dies zeigt sich zum Beispiel in Form einer Hunter-Glossitis mit glatter, roter Zunge und Zungenbrennen. Weitere möglichen Symptome sind Mundwinkelrhagaden, Burning-Mouth-Syndrom, Aphthen, Anorexie bzw. Gewichtsverlust, Diarrhö oder Obstipation, Infertilität, subfebrile Temperaturen sowie eine reversible melaninbedingte Hyperpigmentierung der Haut.

Aufgrund des erhöhten Plasmaspiegels von Homocystein steigt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (Venenthrombose, Myokardischämie, Lungenembolie).

7. Diagnostik

7.1. Klinische Chemie

  • Gesamt-Vitamin-B12: Kein zuverlässiger Indikator, insbesondere bei niedrig-normalem Serumspiegel (156 - 400 pmol/l) ist ein funktioneller Mangel nicht ausgeschlossen
  • Holo-Transcobalamin: Ist bei Vitamin-B12-Mangel vermindert und kann als frühester Indikator dienen. Bei Niereninsuffizienz können die Werte falsch hoch sein.
  • Homocystein: Ein erhöhtes Homocystein zeigt einen funktionellen B12-Mangel an. Der Parameter ist aber wenig spezifisch, da Homocystein bei Niereninsuffizienz, Folsäuremangel, Pyridoxin-Mangel, Alkoholismus, Rauchen, Hypothyreose sowie bei Therapie mit Glukokortikoiden oder Ciclosporin A ebenfalls erhöht ist.
  • Methylmalonsäure: Erhöhte Methylmalonsäure zeigt einen funktionellen B12-Mangel an. Der Wert kann bei Niereninsuffizienz schwanken.

7.2. Blutbild

7.3. Bildgebung

Bei Vorliegen einer funikulären Myelose sollte eine MRT durchgeführt werden. In der T2-Wichtung und in der FLAIR-Sequenz zeigen sich Signalanhebungen in den Hintersträngen und im zerebralen Marklager (zerebrale Leukenzephalopathie).

7.4. Knochenmarkuntersuchung

In unklaren Fällen kann eine Knochenmarkbiopsie notwendig sein: Hier zeigt sich eine ineffektive Hämatopoese, wobei die Stammzellen intakt sind. Physiologischerweise beträgt das Verhältnis der granulopoetischen zu erythropoetischen Zellen 3 : 1, bei Vitamin-B12-Mangel verschiebt sich dieser G-E-Index zugunsten der Erythropoese. Megaloblasten zeigen sich mit einem breiten Zytoplasma, großen Zellkernen mit lockerer Chromatinstruktur und Kernabspaltungen. Aufgrund einer Störung der Granulopoese erkennt man Riesen-Metamyelozyten und große stabkernige Granulozyten.

7.5. Weitere Diagnostik

Außerdem sollte eine Ursachenabklärung erfolgen, z.B. durch Bestimmung von IF-Autoantikörpern, Parietalzell-Antikörpern (PCA) oder mittels Schilling-Test.

8. Therapie

Neben der Vitamin B12-Substitution sollte die Grunderkrankung therapiert werden. Falls eine kausale Therapie nicht möglich ist, muss Cobalamin lebenslang substitutiert werden. Dabei existieren verschiedene Strategien:

In Deutschland wird meist initial 6 x 1.000 µg Hydroxocobalamin in Abständen von 3 bis 5 Tagen intramuskulär injiziert. Dies reicht in der Regel zum Auffüllen des Leberspeichers. Die lebenslange Erhaltungstherapie erfolgt mit 1.000 µg intramuskulär alle 3 Monate, sofern die kausale Therapie nicht möglich ist. In gewissen Situationen, z.B. bei perniziöser Anämie oder funikulären Myelose, können auch höhere Dosierungen notwendig sein.[2]

Die Therapie kann kann auch per os erfolgen. Dazu wird meist Cyanocobalamin verwendet. Resorptionsstörungen kann man durch die Erhöhung der oralen Dosis auf das 1.000fache überwinden, also Milligram statt Mikrogramm, um die dauerhaften Injektionen zu vermeiden.

Während der Substitutionstherapie sollten Folsäure, Kalium und Eisen kontrolliert und gegebenenfalls substitutiert werden, da aufgrund der gesteigerten Erythropoese ein vermehrter Bedarf besteht. Eine passagere Thrombozytose unter Therapie kann auftreten. Bei sehr hohen Werten kann aufgrund des erhöhten Thromboembolierisikos die Gabe von ASS erwogen werden.

Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.

9. Literatur

  • Review im Deutschen Ärzteblatt, Stand 2008, frei zugänglich.
  • Suttorp N. et al., Harrisons Innere Medizin, Hrsg. 19. Auflage. Berlin: ABW Wissenschaftsverlag; 2016
  • Herold, G.: Innere Medizin 2019. Köln: Gerd Herold, 2018

10. Quellen

  1. Herrmann W, Obeid R Causes and Early Diagnosis of Vitamin B12 Deficiency, Dtsch Arztebl Int 2008; 105(40): 680-5, abgerufen am 06.08.2019
  2. Suttorp N, Möckel M, Siegmund B, Dietel M: Harrisons Innere Medizin, Georg Thieme Verlag KG 2020.

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