Sepsis
von altgriechisch: σήψη ("sipsi") - Fäulnis
Synonym: Blutvergiftung (Laienbegriff)
Englisch: sepsis
Definition
Die Sepsis ist ein lebensbedrohliches Multiorganversagen, dem eine fehlgesteuerte systemische Immunreaktion zugrunde liegt, die durch eine Infektion mit Krankheitserregern ausgelöst wird. Dabei handelt es sich meist um Bakterien, es können aber auch Viren, Pilze oder Parasiten ursächlich sein.
Hintergrund
Die Definition der Sepsis ist uneinheitlich und Gegenstand laufender Diskussionen. Ältere Definitionen der Sepsis basieren vor allem auf dem Nachweis von Krankheitserregern im Blut ("Bakteriämie"). Nach den Empfehlungen einer Konsensuskonferenz des American College of Chest Physicians (ACCP) und der Society of Critical Care Medicine (SCCM) aus dem Jahr 1991 liegt eine Sepsis vor, wenn ein systemisches inflammatorisches Response-Syndrom (SIRS) besteht und klinisch oder mikrobiologisch eine Infektion nachgewiesen werden kann.
Schuster und Werdan (2005) definieren Sepsis wie folgt: "Sepsis ist die Gesamtheit der lebensbedrohlichen klinischen Krankheitserscheinungen und pathophysiologischen Veränderungen als Reaktion auf die Aktion pathogener Keime und ihrer Produkte, die aus einem Infektionsherd in den Blutstrom eindringen, die großen biologischen Kaskadensysteme und spezielle Zellsysteme aktivieren und die Bildung und Freisetzung humoraler und zellulärer Mediatoren auslösen".[1]
Der Sepsis-3-Konsensus aus dem Jahr 2016 schlug vor, dass die Sepsis ein lebensbedrohendes (Multi-)Organversagen ist, das durch eine fehlgesteuerte Immunreaktion des Wirts auf eine Infektion ausgelöst wird. Die Definition nimmt dabei Abstand von den ursprünglich dominanten SIRS-Kriterien und basiert stattdessen auf dem SOFA-Score. Definitionsgemäß muss bei einer Sepsis ein Anstieg des SOFA-Score um 2 oder mehr Punkte vorliegen.[2][3]
Einteilung
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen:
- Bakteriämie
- Sepsis
- Pyämie bzw. Septikopyämie
- SIRS
Man kann zusätzlich nach Entstehung und Art der Sepsis unterscheiden:
- Urosepsis (z.B. bei Pyelonephritis)
- Kathetersepsis / Fremdkörpersepsis (z.B. durch Venenkatheter)
- Sepsis bei Wundinfekt
- Sepsis bei Knochenmarkinsuffizienz
- Cholangiosepsis (z.B. bei Gallensteinen)
- Tonsillogene Sepsis
- Sepsis bei Endokarditis
- Neugeborenensepsis
Pathophysiologie
Eine Sepsis entsteht durch das Eindringen von pathogenen Erregern bzw. deren Toxinen in den Blutkreislauf. Normalerweise ist das Immunsystem des Körpers in der Lage, diese lebensbedrohliche Störung zu verhindern, so dass in der Regel erst eine bestimmte Konstellation begünstigender Faktoren vorhanden sein muss. Zu ihnen zählen zum Beispiel:
- gestörte Immunabwehr
- massive Infektion mit hoher Erregeranzahl
- gesteigerte Pathogenität der Erreger
- Infektion schlecht abgrenzbarer Körperregionen (z.B. Abdomen)
In der initialen Phase einer Sepsis liegt unbehandelt ein hypodynames Initialstadium vor ("kalter Schock"). Typische Zeichen sind eine Hypotonie, ein niedriges Herzzeitvolumen und ein erhöhter systemischer Gefäßwiderstand.
Durch Entzündungsmediatoren kommt es anschließend zu einer Vasodilatation mit Reduktion des systemischen Widerstands. Dieses hyperdyname Schockstadium führt zu einem relativen intravasalen Volumenmangel. In einigen Fällen entsteht eine erhöhte Gefäßpermeabilität, die mit einem zusätzlichen absoluten Volumenmangel einhergeht. Typisch für diese Phase ist ein kompensatorisch gesteigertes Herzzeitvolumen. Der gesteigerte Katecholaminspiegel, die gestörte myokardiale Mikrozirkulation und eine verminderte Empfindlichkeit der kardialen β-Rezeptoren sorgen jedoch für eine relative Herzinsuffizienz (akute septische Kardiomyopathie).
Bei einem Teil der Patienten kommt es im Verlauf der Sepsis zur Dekompensation in eine hypodyname Schockphase: Das Herzzeitvolumen sinkt, der Gefäßwiderstand steigt erneut an.
Unbehandelt führt die Gewebshypoxie infolge der Mikrozirkulationsstörung zum (Multi-)Organversagen, insbesondere der Lunge, Niere und Leber.
Erreger
Eine Sepsis kann durch eine Vielzahl verschiedener Erreger ausgelöst werden. Hauptverantwortliche Bakterien für eine Sepsis sind - nach Häufigkeit sortiert:
- Staphylococcus aureus
- Escherichia coli
- Bakterien der Gattungen Klebsiella, Enterobacter, Serratia
- Pseudomonia species
- Streptococcus viridans, Streptococcus faecalis und Streptococcus pneumoniae
Bei immunsupprimierten Patienten ist das in Frage kommende Erregerspektrum deutlich größer, da hier auch Mikroorganismen pathogen werden können, die bei immunkompetenten Personen keine Rolle spielen.
Leitsymptome
- warme, trockene Haut in der hyperdynamen Phase
- blasse, kühle Haut während der hypodynamen Phasen
- intermittierendes hohes Fieber
- Tachypnoe
- Oligurie bis Anurie
- Bewusstseinsstörungen (Verwirrtheit, Unruhe, Somnolenz)
- Diarrhoen
- Nausea, Erbrechen
- Schüttelfrost
- Tachykardien
- Hypotension
- Schock
siehe auch: SIRS, Septischer Schock, Bakteriämie
Diagnose
Neben klinischen und organspezifischen Untersuchungen umfasst die Diagnostik vor allem die Fokussuche und Mikrobiologie:
- Blutkulturen
- Blutbild, Fibrinogen, Quick, PTT, Kreatinin, Elektrolyte, Laktat, CK, GOT, Amylase, Lipase
- Blutgasanalyse
Diagnosekriterien
Eine schwere Sepsis liegt vor, wenn alle der folgenden drei Kriterien erfüllt sind:[4]
Nachweis eines infektiösen Ursprungs der Inflammation
Es muss mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:
- mikrobiologisch gesicherte Infektion
- klinisch gesicherte Infektion
- Procalcitonin > 2,0 µg/l
Nachweis einer systemischen inflammatorischen Wirtsreaktion (SIRS)
Es müssen mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt sein:
- Hypo- (< 36°C) oder Hyperthermie (> 38°C)
- Tachykardie (> 90/min)
- Tachypnoe (> 20/min) und/oder arterieller pCO2 < 4,3 kPa (33 mmHg) und/oder maschinelle Beatmung
- Leukozytose > 12.000/µl oder Leukopenie < 4.000/µl und/oder Linksverschiebung > 10% unreife Neutrophile (Stabkernige) im Differentialblutbild
Infektionsbezogene Organdysfunktion
Es muss mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein
- Akute Enzephalopathie (reduzierte Vigilanz, Unruhe, Desorientiertheit, Delir ohne Beeinflussung durch Psychotropika)
- Thrombozytopenie (Thrombozyten < 100.000/µl oder Thrombozytenabfall > 30% in 24 Std. ohne Blutverlust als Ursache)
- Arterielle Hypoxämie (paO2 < 10kPa (75 mmHg) unter Raumluft, paO2/FiO2 < 33 kPa (250 mmHg) ohne manifeste pulmonale o. kardiale Erkrankung als Ursache)
- Arterielle Hypotension (systolischer arterieller Blutdruck < 90 mmHg oder mittlerer arterieller Blutdruck < 70 mmHg über mind. 1 Stunde trotz adäquater Volumenzufuhr bei Abwesenheit anderer Schockursachen)
- Renale Dysfunktion (Urinausscheidung < 0,5 ml/kg/Std. über zumindestens eine Stunde trotz ausreichender Volumensubstitution und/oder Anstieg des Serumkreatinins > 2x über den Referenzbereich des jeweiligen Labors
- Metabolische Azidose (Basendefizit > 5,0 mEq/l oder eine Plasma-Laktat-Konzentration > 1,5x oberhalb des Referenzbereichs des jeweiligen Labors)
Verlaufparameter
Wichtige Verlaufsparameter bei einer Sepsis sind u.a.
- Blutkulturen
- RR, wenn möglich kontinuierlich (arterielle Druckmessung), mittlerer arterieller Druck (MAP) ≥ 65 mmHg
- zentralvenöse O2-Sättigung
- ZVD (zentralvenöser Druck) > 8–12 mmHg
- Wedge-Druck (PCWP = Pulmonary Capillary Wedge Pressure, Verschlussdruck)
- Lungenödem
- Lungenfunktion: pO2/FiO2-Verhältnis
- Peripherer Widerstand (Nachlast, afterload, total vascular resistance, TVR)
- Nierenfunktion: Kreatinin
- Hb, Hämatokrit > 24–30 % (Hb 8–10 g/dL)
- Harnstoff (Anstieg bei gleichbleibendem Kreatinin → Hinweis auf katabole Stoffwechsellage)
- DIC: Thrombozyten
- Glasgow Coma Scale
- Leberfunktion: Bilirubin
- Gewebsoxygenierung: Lactat
- Glucose
- Procalcitonin
Therapie
Sepsis-Patienten sollten intensivmedizinisch behandelt und überwacht werden. Die sogenannten "Sepsis-Bündel" fassen die wichtigsten Maßnahmen zusammen:[5]
- Innerhalb der ersten drei Stunden:
- Messung Laktat-Spiegel
- Blutkulturen vor Antibiotikagabe, dann Breitspektrum-Antibiotika
- Elektrolytlösungen (30 ml/kgKG) bei Hypotension oder Laktat über 4 mmol/l
- Innerhalb der ersten sechs Stunden:
- Vasopressoren, falls die Hypotension nicht auf eine initiale Volumengabe anspricht, um einen mittleren arteriellen Blutdruck (MAP) von über 65 mmHg zu erzielen
- Bei anhaltender Hypotension nach initialer Volumengabe oder initialem Laktat über 4 mmol/l erneute Beurteilung des Volumenstatus und Gewebeperfusion (kapilläre Füllungszeit, Pulsqualität, Hautbefund, ZVD-Messung, Echokardiographie etc.)
Initiale Kreislaufstabilisierung
Innerhalb der ersten drei Stunden werden Elektrolytlösungen infundiert (mindestens 30 ml/kgKG). Die weitere Volumengabe ist abhängig von der Hämodynamik. Eine Zielwert-orientierte Gabe (early-goal directed therapy, EGDT) der Leitlinien 2012 (unter anderem ZVD 8 - 12 mmHg) wird nicht mehr gefordert, da neuere Studien den Stellenwert der EGDT nicht bestätigen konnten.
Antimikrobielle Therapie
Die antimikrobielle Therapie sollte möglichst innerhalb der ersten Stunde nach Diagnose eines septischen Schocks oder einer schweren Sepsis begonnen werden. Das Untersuchungsmaterial für Blutkulturen (mindestens 1 Blutkultur aus peripheren Venen und je eine aus jedem Lumen jedes Gefäßzuganges älter als 48 Stunden) sowie gegebenenfalls weitere Kulturen (z.B. Urin, Wundsekret, Bronchialsekret) muss vorher gewonnen werden. Empirisch wird ein Breitspektrumantibiotikum intravenös und/oder Antimykotika bzw. Virustatika verabreicht. Meist ist eine Therapiedauer von 7 bis 10 Tagen ausreichend. Procalcitonin-Spiegel sind hilfreich, den möglichen Endzeitpunkt einer antimikrobiellen Therapie zu erkennen.
Fokuskontrolle
Eine zügige Diagnose und Beseitigung des septischen Fokus ist entscheidend. Falls intravaskuläre Katheter eine potenzielle Sepsisquelle darstellen, müssen sie entfernt werden.
Volumentherapie
Bei schwerer Sepsis bzw. septischem Schock werden Elektrolytlösungen empfohlen. HAES oder Gelatine werden nicht mehr verwendet. Falls notwendig, kann Humanalbumin zusätzlich gegeben werden. Die Volumengabe erfolgt solange, bis sich die Hämodynamik bessert. Zur Beurteilung sind dynamische Verfahren geeignet (z.B. Schlagvolumenvariation).
Vasopressoren und Inotropika
Ziel ist ein mittlerer arterieller Blutdruck von über 65 mmHg. Als Vasopressor der Wahl wird Noradrenalin eingesetzt. Falls nicht ausreichend, kann zusätzlich Vasopressin eingesetzt werden. Als Ultima ratio kommt Adrenalin zum Einsatz. Dopamin wird nicht mehr empfohlen. Bei anhaltender Hypoperfusion trotz Volumen- und Vasopressorgabe kann Dobutamin erwogen werden.
Glukokortikoide
Niedrigdosiertes Hydrocortison (200 mg/d i.v.) wird nur bei katecholaminrefraktärem septischen Schock angewendet. Es wirkt antiinflammatorisch und reduziert den Vasopressorbedarf. Für Dexamethason und hochdosierte Glukokortikoide gibt es keine Empfehlung.
Blutprodukte
Bei einer Hämoglobinkonzentration unter 7,0 g/dl sollten Erythrozytenkonzentrate gegeben werden (Ziel-Hb 7,0 - 9,0). Erythropoetin oder Antithrombin III sind nicht empfohlen. Fresh Frozen Plasma kommt nur bei Blutungen oder invasiven Eingriffen in Frage. Thrombozytenkonzentrate kommen bei einer Thrombozytenzahl unter 10.000/mm3 oder unter 20.000 bei hohem Blutungsrisiko zum Einsatz. Bei aktiver Blutung, Operation oder invasivem Eingriff wird eine Thrombozytenzahl von über 50.000 gefordert.
Sonstige Aspekte
- allgemein gilt die Tarragona-Strategie
- Bei Sepsis-induziertem ARDS ist eine Beatmung notwendig:
- Tidalvolumen von 6 ml/kgKG, oberes Druckniveau unter 30 cmH2O bei Erwachsenen, höherer PEEP zum Vermeiden von Atelektasen
- Leichte Hyperkapnie wird toleriert
- Bauchlage (prone over supine position) und Lagerungstherapie bei Oxygenierungsindex unter 150 mmHg
- bei maschineller Beatmung 30 bis 45° Oberkörperhochlagerung zur Vermeidung von Aspiration und Ventilator-assoziierter Pneumonie
- Adäquate Analgesie
- Eine Sedierung sollte insbesondere bei Beatmungspatienten minimiert werden; falls notwendig tägliche Unterbrechung
- Blutzuckerkontrolle: intravenöse Insulingabe bei einem Blutzucker über 180 mg/dl mit Zielwert unter 180 mg/dl; Messung alle 1 bis 2 Stunden bis stabil, dann alle 4 Stunden
- Hämodialyse oder Hämofiltration bei Sepsis mit akutem Nierenversagen
- Venöse Thrombembolieprophylaxe
- Niedermolekulares Heparin sofern keine aktive Blutung oder eine HIT vorliegt
- Alternativ unfraktioniertes Heparin (insbesondere bei hochgradiger Niereninsuffizienz)
- Stressulkusprophylaxe bei Risikofaktoren für eine gastrointestinale Blutung, in der Regel mit Protonenpumpenhemmer
- Ernährung:
- Immer enterale Ernährung einer parenteralen Ernährung vorziehen
- Erste Tage falls möglich niederkalorisch Ernährung mit Glukose i.v. und enteraler Kost
- Keine Empfehlung für Omega-3-Fettsäuren, Selen i.v., Glutamin oder Arginin
- Bikarbonat wird nur noch bei einer metabolischen Azidose mit pH-Wert unter 7,15 eingesetzt
- Intravenöse Immunglobuline werden nicht empfohlen
Quellen
- ↑ Schuster HP, Müller-Werdan U: Definition und Diagnose von Sepsis und Multiorganversagen in Sepsis und MODS, Springer Verlag Berlin Heidelberg (2005)
- ↑ Mervyn S et al.: The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3) JAMA. 2016;315(8):801-810. doi:10.1001/jama.2016.0287
- ↑ Epidemiologisches Bulletin, RKI, 9/2017
- ↑ Arbeitsgruppe Sepsis der European Society of Intensive Care Medicine: Kriterienkatalog für die Diagnose der Sepsis bei der Deutschen Sepsis Gesellschaft e.V.
- ↑ Surviving Sepsis Campaign (SSC) International Guidelines für Management of Sepsis and Septic Shock 2016, abgerufen am 09.07.2019