Melkersson-Rosenthal-Syndrom
nach dem schwedischen Neurologen Ernst Melkersson und dem deutschen Neurologen Curth Rosenthal
Englisch: Melkersson-Rosenthal syndrome
Definition
Das Melkersson-Rosenthal-Syndrom, kurz MRS, ist eine entzündliche Erkrankung aus der Gruppe der orofazialen Granulomatosen, die sich durch die Trias aus Lippenschwellung (Cheilitis granulomatosa), Faltenzunge (Lingua plicata) und peripherer Fazialisparese auszeichnet.
Epidemiologie
Das MRS gilt als seltene Erkrankung, die vornehmlich im Rahmen von Fallbeschreibungen erfasst ist. Belastbare epidemiologische Daten zur Inzidenz liegen bisher (2025) nicht vor. Die Erkrankung manifestiert sich vorwiegend um das 20. Lebensjahr, die Altersspanne ist jedoch sehr groß und reicht von Einjährigen bis ins Senium.[1][2]
Die Angaben zur Geschlechtsverteilung sind aktuell (2025) uneinheitlich. Teilweise wird eine höhere Prävalenz bei Frauen berichtet,[3][4] andere Analysen verneinen dies.[2] Eine systematische Auswertung publizierter Fallberichte zeigte ein Überwiegen männlicher Patienten.[1]
Ätiologie
Die genaue Ursache des Melkersson-Rosenthal-Syndroms ist zur Zeit (2025) unbekannt. Diskutiert werden unter anderem Störungen des angeborenen Immunsystems sowie entzündliche oder infektionsallergische Reaktionen auf verschiedene Antigene. Auch eine hereditäre Ursache ist möglich. Einige Fallberichte beschreiben eine familiäre Häufung mit Hinweisen auf ein autosomal-dominantes Erbmuster mit unvollständiger Penetranz.[5] In einer Familie konnte bei Betroffenen eine Substitutionsmutation (c.68C>G, p.Pro23Arg) für den auch kutan exprimierten Fettsäuretransporter FATP1 nachgewiesen werden.[6]
Das Melkersson-Rosenthal-Syndrom wurde unter anderem im Zusammenhang mit folgenden Erkrankungen beschrieben:[2][3]
- Granulomatöse Erkrankungen
- Down-Syndrom
- Psoriasis
- Immunthyreoiditiden
- Multiple Sklerose
- Diabetes mellitus
Diese Assoziationen sind jedoch weder systematisch gesichert noch pathophysiologisch verstanden.
Symptomatik
Das Syndrom zeichnet sich durch eine schubweise auftretende Klinik mit einer Trias folgender Symptome aus:
- Periphere Fazialislähmung: Anfallsartig auftretend, ein- oder beidseitig, häufig intermittierend mit symptomfreien Intervallen
- rezidivierende, schmerzlose, nicht eindrückbare Gesichts- und Lippenschwellungen
- Cheilitis granulomatosa: Schwellung einer oder beider Lippen ("Tapirmaul"). Bei längerem Verlauf zeigt sich eine Fissur in der Mittellinie.
- Makrulie: Hypertrophie der Gingiva
- Glossitis granulomatosa: Schwellung der Zunge
- Uranitis granulomatosa: Schwellung des Gaumens
- Pareiitis granulomatosa: Schwellung der Wange
- Lingua plicata: Faltenzunge mit tiefen Falten bzw. Fissuren auf dem Zungenrücken
Häufig liegen initial jedoch nur ein oder zwei der oben genannten Symptome vor, eine vollständige Trias kann auch erst nach Jahren bestehen.[1][2]
Zusätzlich sieht man beim Melkersson-Rosenthal-Syndrom – vor allem bukkal und lingual – multiple Ulzera der Mundschleimhaut. Sie können tief, mit erhabenem Randwall oder oberflächlich in der Form von Aphthen auftreten. Häufig sind sie von einer geschwollenen und geröteten Mundschleimhaut bzw. Gingiva begleitet.
Neben den genannten Kardinalsymptomen sind eine Reihe weiterer Symptome im Zusammenhang mit dem MRS beschrieben:[2][3]
- Ausfalls- und Reizsymptome anderer Hirnnerven
- vergleichsweise häufig trigeminale Hypo-/Parästhesien
- seltener Beteiligung der Hirnnerven I, VIII (z.B. Schwindel, Tinnitus, Hörstörungen), IX (z.B. Dysphagie), XII
- Kopfschmerzen
- Hypogeusie
Diagnostik
Die Verdachtsdiagnose kann aufgrund des typischen klinischen Bildes gestellt werden, einheitliche Diagnosekriterien sind jedoch nicht vorhanden. Eine Diagnosesicherung erfolgt primär per Schleimhaut- oder Hautbiopsie, wobei meist die Lippen biopsiert werden.
Histologisch lassen sich einerseits unspezifische Granulome oder nicht-verkäsende Epitheloidzellgranulome nachweisen, andererseits häufig auch ein subepidermales bzw. subepitheliales Gewebsödem, lymphoplasmazelluläre, vor allem perivaskulär betonte Infiltrate sowie Epithelreaktionen (Hyperparakeratose, Akanthose, Spongiose).[7] Erfolgt die Biopsie jedoch außerhalb der symptomatischen Episoden, kann diese auch falsch-negativ ausfallen.[3]
Zum Ausschluss einer Sarkoidose bzw. eines Morbus Crohn werden zusätzlich ein Röntgen-Thorax und ggf. eine Kolonoskopie durchgeführt.
Therapie
Einheitliche, evidenzbasierte Therapieschemata sind derzeit (2025) nicht verfügbar.
Haupttherapieansatz ist die Verabreichung von Glukokortikoiden im Schub, meist peroral über einige Wochen. Bei orofazialen Ödemen können diese auch topisch verabreicht werden, z.B. in Form von intraläsionalen Triamcinolon- oder Betamethason-Injektionen.[3] Insbesondere bei Assoziation anderer immunologischer Erkrankungen wie einem Morbus Crohn (s.o.) oder bei Steroidrefraktärität wurde auch über eine Besserung der Symptomatik durch weitere immunsuppressive Substanzen (z.B. TNF-α-Antagonisten wie Infliximab und Adalimumab) berichtet.[3]
Bei persistierender Lippenschwellung kann außerdem eine operative Cheiloplastie erfolgen.[3]
Prognose
Der Verlauf der Erkrankung variiert. Sowohl Spontanremissionen als auch chronisch-protrahierte Verläufe sind beschrieben. Teilweise kann sich nach längerer Erkrankung auch eine dauerhafte Fazialisparese einstellen.[2] Rezidivierende orofaziale Ödeme können in eine Fibrose mit Entstellung des Gesichts übergehen.[3]
Literatur
- Fallbeschreibung mit Bildbeilage: Lacombe et al., Melkersson–Rosenthal Syndrome: an Unusual Cause of Facial Palsy, Deutsches Ärzteblatt International, 2021.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Tang et al., Retrospective analysis of 69 patients with Melkersson-Rosenthal syndrome in mainland China, International Journal of Clinical and Experimental Medicine, 2016.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 Okudo, Oluyide, Melkersson-Rosenthal Syndrome with Orofacial Swelling and Recurrent Lower Motor Neuron Facial Nerve Palsy: A Case Report and Review of the Literature, Case Reports in Otolaryngology, 2015.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 Dhawan et al., Management Strategies of Melkersson-Rosenthal Syndrome: A Review, International Journal of General Medicine, 2020.
- ↑ Orlando, Atkins, Melkersson-Rosenthal Syndrome, Archives of Otorhinolaryngology-Head & Neck Surgery, 1990.
- ↑ Lygidakis et al., Melkersson- Rosenthal's syndrome in four generations, Clinical Genetics, 1979.
- ↑ Xu et al., Exome sequencing identifies FATP1 mutation in Melkersson–Rosenthal syndrome, Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology, 2016.
- ↑ Gavioli et al., The histopathological spectrum of Melkersson-Rosenthal syndrome: Analysis of 47 cases, Journal of Cutaneous Pathology, 2020.