Lymphatische Filariose
Definition
Unter der lymphatischen Filariose, kurz LF, versteht man eine Erkrankung, die vorwiegend das Lymphsystem betrifft und durch Wuchereria bancrofti, Brugia malayi und Brugia timor hervorgerufen wird.
Epidemiologie
Ungefähr 110 Millionen Menschen sind mit Wuchereria bancrofti infiziert, insbesondere in den Tropen und Subtropen in Asien, auf den pazifischen Inseln sowie in Afrika, Südamerika und der Karibik. Der Parasit hat eine nächtliche Periodik, d.h. dass die Mikrofilarien tagsüber kaum in der Blutzirkulation anzutreffen sind, in der Nacht jedoch in großer Zahl. Bei der subperiodischen Form, die nur auf den pazifischen Inseln vorkommt, findet man den ganzen Tag über Mikrofilarien im Blut mit einem Maximum am Nachmittag. Die natürlichen Vektoren für Wuchereria bancrofti sind Stechmücken (Culex-Arten in städtischer Umgebung sowie Anopheles- oder Aedes-Arten in ländlichen Gegenden).
Lymphatische Filariosen, die durch Brugia malayi verursacht werden, kommen v.a. in Ostindien, Indonesien, Malaysia und den Philippinen vor. Auch hier unterscheidet man eine nächtliche von einer subperiodischen Form. Erstere wird v.a. in an Reisfelder angrenzenden Gebieten durch Mansonia- und Anopheles-Mücken, letztere in Waldgebieten durch Coquillettidia- und Mansonia-Mücken übertragen. Im Gegensatz zu Wuchereria bancrofti besitzt Brugia malayi mit Katzen noch einen weiteren Endwirt.
Brugia timori kommt nur auf Inseln in Südost-Indonesien vor, weist eine nächtliche Periodik auf und wird durch Anopheles-Mücken übertragen.
Entwicklungszyklus
Die infektiösen Larven der Erreger werden über Stechmücken übertragen und entwickeln sich im Endwirt zu adulten Würmern (Makrofilarien). Diese leben in den afferenten Lymphgefäßen sowie im Sinus der Lymphknoten und führen zur Dilatation der Lymphgefäße. Weiterhin kommt es zur Infiltration mit Plasmazellen, eosinophilen Granulozyten und Makrophagen sowie zur Endothelproliferation mit Schlängelung der Lymphgefäße und Zerstörung der Klappen. Die Folge ist eine chronische Stauung mit Lymphödem und Hautveränderungen. Die Zerstörung der Lymphgefäße beginnt erst mit dem Absterben des Wurms, das zu einer granulomatösen und fibrösen Reaktion führt.
Die Makrofilarien produzieren Larven, die sogenannten Mikrofilarien, die sich nächtlich oder subperiodisch im Blut aufhalten und eine Scheide tragen. Anschließend werden sie von dem Vektor aufgenommen und entwickeln sich innerhalb von 1-2 Wochen zu infektiösen Larven.
Alle Entwicklungsstadien weisen einen intrazellulären bakteriellen Endosymbionten (Wolbachia) auf.
Klinik
In Endemiegebieten zeigen die meisten Infizierten lediglich eine asymptomatische Mikrofilariämie, eine Mikrohämaturie und eine Proteinurie. Die dilatierten, geschlängelten Lymphgefäße sind durch bildgebende Verfahren, die skrotalen Lymphangiektasien bei Männern mit Wuchereria-bancrofti-Infektion mittels Sonografie nachweisbar. Nur ein geringer Anteil verläuft akut oder entwickelt ein chronisches Stadium.
Die akute Adenolymphangitis (ADL) manifestiert sich mit hohem Fieber, Lymphangitis, Lymphadenitis und einem transienten, lokalen Ödem. Die Lymphangitis geht von einem befallenen Lymphknoten aus und verläuft retrograd. Der Lymphstrang induriert und ist entzündlich verändert. Gleichzeitig kann eine Thrombophlebitis vorliegen. Bei Brugia kann sich auch ein lokaler Abszess entlang des betroffenen Lymphgefäßes entwickeln und an die Oberfläche rupturieren. Betroffen sind meist die obere und untere Extremität. Bei Wuchereria bancrofti kann das genitale Lymphsystem befallen sein, was sich z.B. in Form einer Funikulitis oder Epididymitis sowie mit skrotalen Schmerzen manifestiert.
In Endemiegebieten kann außerdem eine Dermatolymphangioadenitis (ADLA) autreten, das mit Fieber, Schüttelfrost, Myalgien und Kopfschmerzen einhergeht. Weiterhin zeigen sich ödematöse, gut abgrenzbare Plaques, Blasenbildung, Ulzerationen und Hyperpigmentation.
Werden die Lymphgefäße weiter zerstört, entsteht aus dem transienten Lymphödem eine lymphatische Obstruktion mit bleibenden Schäden, die sich als Elephantiasis manifestieren. Es kommt zur Verdickung der Subkutis und zur Hyperkeratose. Eine bakterielle Superinfektion kann vorkommen. Bei Obstruktion des retroperitonealen Lymphsystems, führt der erhöhte Druck zur Ruptur der renalen Lymphgefäße mit Chylurie (v.a. intermittierend mit morgendlichem Maximum).
Eine Filarieninfektion bei Reisenden unterscheidet sich deutlich: Bei wiederholten Stichen über einen Zeitraum von 3-6 Monaten kann eine akute lymphatische oder skrotale Entzündung mit/ohne Urtikaria und Angioödem entstehen. Die akuten Attacken sind kurz und gehen i.d.R. nicht mit Fieber einher. Mit zunehmender Expositionsdauer gegenüber infizierten Stechmücken verlaufen die Attacken schwerer und führen zur permanenten lymphatischen Entzündung und Obstruktion.
Diagnostik
Bei Verdacht einer lymphatischen Filariose kann mittels Sonografie des Skrotums, der Lymphknoten und der Mammae versucht werden, die adulten Würmer in dilatierten Lymphgefäßen nachzuweisen. Die Würmer zeigen dabei ein charakteristisches Bewegungsmuster. Eine Lymphszintigrafie zeigt Veränderungen des Lymphgefäßsystems an, wird jedoch eher zu Forschungszwecken eingesetzt. Eine Eosinophilie, erhöhte IgE-Werte im Serum sowie Filarien-Antikörper unterstützen die Diagnose. Dabei besteht aber eine Kreuzreaktion zwischen Filarien-Antigen und Antigenen von anderen Helminthen. Weiterhin ist die Seropositivität nicht beweisend für eine aktive Infektion. Schnelltests für spezifische Antigene von Wuchereria bancrofti und Brugia malayi weisen eine Spezifität von > 98 % auf.
Die Diagnose wird durch den Direktnachweis der Mikrofilarien im peripheren Blut (EDTA-Blut), in der Hydrozelenflüssigkeit oder ggf. in anderen Körperflüssigkeiten gestellt. Die Untersuchung erfolgt mikroskopisch nach der Konzentration durch einen Filter mit 3 µm großen Poren oder nach einer 2%igen Formalinfixation (Knott-Konzentrationstechnik). Die Blutentnahme sollte der Periodizität der Filarienart angepasst werden.
Einige Infizierte weisen jedoch keine Mikrofilariämie auf. In diesem Fall kann versucht werden, zirkulierende Antigene von Wuchereria bancrofti mittels ELISA oder immunchromatographischem Test nachzuweisen. Weiterhin existieren inzwischen PCR-Verfahren zur Detektion der DNA von Wuchereria bancrofti und Brugia malayi.
Therapie
Bei der lymphatischen Filariose wird auch bei asymptomatischen Patienten ein früher Behandlungsbeginn empfohlen. Diethylcarbamazin (DEC, 6 mg/kgKG/d p.o. für 12 Tage) wirkt makro- und mikrofilarizid und stellt eine etablierte Therapie bei der akuten lymphatischen Filariose dar. Es ist in Deutschland nicht zugelassen. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Fieber, Schüttelfrost, Arthralgien, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen im Sinne einer akuten Hypersensitivitätsreaktion gegen die freigesetzten Antigene oder einer inflammatorischen Reaktion auf Wolbachia. Daher sollte bei hoher Parasitenlast ein langsames Einschleichen der Dosis über 5 Tage erwogen werden.
Weiterhin kann das makrofilarizide Albendazol (2 x 400 mg/d p.o. für 21 Tage) verabreicht werden. Doxycyclin (2 x 100 mg/d 4-6 Wochen) wirkt gegen Wolbachia und zeigt makrofilarizide Effekte. Durch das langsamere Absterben der Makrofilarien treten dabei Nebenwirkungen der Therapie, die mit der raschen mikrofilariziden Wirkung von DEC assoziiert sind, seltener auf. Nach Ende der Behandlung mit Doxycyclin werden einmalig Albendazol (400 mg p.o.) und DEC (6 mg/kgKG) zur Therapie der verbleibenden Mikrofilarien verabreicht. Dieses Therapieschema wird zur Zeit (2020) in Europa als Therapie der ersten Wahl angesehen.
Die Wirkstoffe können auch z.T. untereinander oder mit Ivermectin (200 µg/kgKG) kombiniert werden. Supportiv kommen Analgetika, Antipyretika sowie ggf. Antibiotika (bei Sekundärinfektion) zum Einsatz. Bei chronischen Manifestationen stellen Hygiene, Prävention von bakteriellen Superinfektionen und Physiotherapie die wichtigsten Maßnahmen dar. Hydrozelen können chirurgisch behandelt werden. Eine medikamentöse Therapie kommt häufig nur bei Hinweisen auf eine aktive Erkrankung zum Einsatz, wobei Doxycyclin über 6 Wochen auch im chronischen Stadium eine Verbesserung des Lymphödems bewirken kann.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Prävention
Präventiv werden Maßnahmen zum Schutz vor infizierten Stechmücken empfohlen, z.B. durch Repellents, Kleidung oder Moskitonetze.
Massenbehandlungen zur Elimination der lymphatischen Filariose werden mit Albendazol in Kombination mit Diethylcarbamazin und/oder Ivermectin durchgeführt. Bei anhaltender Suppression der Mikrofilariämie kann die Übertragungskette unterbrochen werden. Die WHO hat hierzu 1997 ein Programm zur Ausrottung der lymphatischen Filariose ins Leben gerufen. Sie basiert auf der jährlichen Einmalgabe von DEC und Albendazol (außerhalb Afrikas) bzw. Albendazol und Ivermectin (Afrika). An diesem Programm haben bis Ende 2013 über 792 Millionen Menschen in 53 Ländern teilgenommen.
Literatur
- Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin, 2020 ABW Wissenschaftsverlag
- WHO-Programm
Weblinks
- Madanchi M, Itin P. Lymphatic Filariasis. New Engl J Med 2024 - Fallbericht mit Abb.
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