Lidocain
Handelsnamen: Dentinox®, EMLA®, Licain®, Lidbree®, Xylocain®, Xylocitin®, Xyloneural® u.a.
Synonym: lidocainum
Englisch: lidocaine, lignocaine
Definition
Lidocain ist ein Arzneistoff aus der Klasse der Natriumkanalblocker, der vor allem als Lokalanästhetikum sowie als Antiarrhythmikum verwendet wird.
Chemie
Lidocain ist ein Säureamid mit der Summenformel C14H22N2O. Die molare Masse beträgt 234,34 g/mol. In Fertigarzneimitteln liegt Lidocain meist als Hydrochlorid vor. Für die Rezeptur stehen sowohl die Lidocainbase als auch Lidocainhydrochlorid zur Verfügung.
Wirkmechanismus
Lidocain diffundiert in seiner nichtprotonierten, lipidlöslichen Form durch die Nervenzellmembran und wird intrazellulär protoniert. In dieser Form bewirkt es eine reversible Blockade der spannungsabhängigen Natriumkanäle. Dadurch wird der für die Depolarisation der Nervenzellmembran notwendige schnelle Na+-Einstrom unterdrückt. Die axonale Reizleitung der Nervenfaser ist unterbrochen, die Schmerzweiterleitung wird blockiert.
Pharmakokinetik
Lidocain verteilt sich nach parenteraler Applikation schnell im Gewebe und erreicht so die Zielnerven. Es wird im Cytochrom-450-System der Leber durch Glucuronidierung zu Monoethylglycinxylidid (MEGX) und anderen Substanzen metabolisiert. Diesen Metaboliten nutzt man auch, um Leberfunktionsstörungen aufzudecken (MEGX-Test). Weniger als 10 % der Ursprungsdosis werden unverändert über den Urin ausgeschieden.
Indikationen
Anästhesie
Lidocain kommt im Rahmen der Regionalanästhesie zur Schmerzausschaltung bei operativen ärztlichen Eingriffen oder im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung zum Einsatz. Hier wird es zur Oberflächenanästhesie, zur Infiltrationsanästhesie und zur Leitungsanästhesie eingesetzt.
Herzrhythmusstörungen
Als Na+-Kanal-blockierendes Antiarrhythmikum der Gruppe Ib (nach Vaughan-Williams) wirkt Lidocain bevorzugt an inaktivierten Na+-Kanälen. Aufgrund der erhöhten Affinität des Lidocains zu Na+-Kanälen bei höherem Ruhemembranpotential ist es besonders bei hochfrequenten Aktionspotentialfolgen und bei geschädigten Myokardzellen wirksam.
Die Blockierung der Na+-Kanäle führt zu einer verminderten Erregbarkeit der Herzmuskelzellen und einer verminderten Depolarisations- und Fortleitungsgeschwindigkeit. Lidocain wird bei ventrikulären Tachykardien und ventrikulären Extrasystolen direkt nach einem Herzinfarkt verwendet. Man kann es auch als Antidot bei Digitalisintoxikationen anwenden, da Herzglykoside ebenfalls durch ihre positiv bathmotrope Wirkung am Ventrikel tachykarde Rhythmusstörungen hervorrufen können.
Lidocain findet zudem Anwendung im Rahmen von Reanimationen als Alternative zu Amiodaron.
Intraossärer Zugang
Nach Anlage eines intraossären Zugangs kann es bei der ersten Injektion über die intraossäre Kanüle zu einem starken Schmerzreiz kommen. Daher wurde die intraossäre Applikation eines Lokalanästhetikums (z.B. Lidocain 1 % ohne Konservierungsstoff und ohne Adrenalin: 20 bis 40 mg bei Patienten > 40 kgKG) empfohlen, um die durch den intramedullären Druck verursachten Schmerzen zu reduzieren.[1]
Aufgrund von Zwischenfällen wird in einer Stellungnahme mehrerer Fachgesellschaften die Anwendung von Lidocain bei Anlage eines intraossären Zugangs in der Kindernotfallmedizin nicht mehr empfohlen.[2][3]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Darreichungsformen
Zur Oberflächen-, Infiltrations- und Leitungsanästhie wird Lidocain als 0,2 bis 2%ige Injektionslösung angewendet. Außerdem sind lidocainhaltige Cremes, Gele, Lösungen, Salben sowie Pumpsprays im Handel.
Rezepturen
- Lidocain-HCl 4,0 % in Wolff-Basiscreme® ad 100,0 g
- Lidocain-HCl 4,0 % in Linola® Fett Creme ad 100,0 g
- Lidocain-HCl 4,0 % in Linola® Creme ad 100,0 g
- Lidocain-HCl 2,0 % in Ultrabas Salbe® ad 100,0 g
- Lidocain-Base 4,0 % in Hydrophobes Basisgel DAC ad 100,0 g
- Lidocain-HCl 4,0 % in Hypromellose-Haftpaste 40 % (NRF S.42) ad 20,0 g
Nebenwirkungen
Nebenwirkungen von Lidocain bei Gabe von therapeutischen Dosen sind sehr selten. Erst bei einer zu hohen Dosierung kann es zu systemischen und kardialen Nebenwirkungen kommen. Dazu zählen:
- Negative Inotropie
- Unruhe
- Benommenheit
- Krämpfe
- Koma
Eine Methämoglobinämie kann nach Anwendung von Lidocain- und Prilocain-haltigen Cremes (LP-Cremes) in exzessiver Dosierung und bei wiederholter Anwendung auf einem großen Hautareal oder bei längerer als der empfohlenen Einwirkzeit auftreten.[4][5] Bei gleichzeitiger Anwendung anderer MetHb-Bildner oder Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase(G6PDH)-Mangel kommt es zur Wirkungsverstärkung. Frühgeborene und Säuglinge in den ersten Lebensmonaten sind besonders gefährdet, weil das noch zirkulierende fetale Hämoglobin leichter als die adulte Form oxidiert wird und die Aktivität der NADH-Cytochrom-b5-Reduktase in den ersten vier bis sechs Lebensmonaten im Vergleich zum Erwachsenen deutlich vermindert ist.
Kontraindikationen
Lidocain ist kontraindiziert bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff bzw. anderen Lokalanästhetika vom Säureamidtyp. Weitere Kontraindikationen sind ausgeprägte Hypotonie sowie ein kardiogener oder hypovolämischer Schock. Die Verabreichung von Lidocain in der Schwangerschaft sollte nur unter strenger Indikationsstellung erfolgen.
Die Empfehlung einer intraossären Off-Label-Therapie mit Lidocain bei pädiatrischen Patienten wurde teilweise unkritisch in deutsche und europäische Leitlinien (AWMF und ERC) übernommen.[6][7]
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) weist darauf hin, dass die intraossäre Anwendung von Lidocain zur Schmerztherapie bei pädiatrischen Patienten eine nicht sachgerechte, potenziell gefährliche Off-Label-Empfehlung ist. Es besteht ein nichtvertretbares Risiko systemischer Wirkungen.[8]
Toxikologie
Vergiftungen können durch parenterale oder perorale Überdosierung auftreten. Lidocain wirkt toxisch, da auch Na+-Kanäle in anderen Organen, wie z.B. im ZNS und im Myokard, blockiert werden. Die Überdosierung von Lidocain kann tödlich verlaufen. Zu den Symptomen zählen:
- massive Hypotension
- Apnoe
- Krampfanfälle
- Koma
- Asystolie, Kreislaufstillstand
Außerdem kann es durch Anwendungsfehler topischer Applikationsformen zu einer Methämoglobinämie kommen (siehe oben).[9]
Toxikokinetik
Lidocain wird enteral gut resorbiert, unterliegt jedoch einem ausgeprägten First-Pass-Metabolismus. Die orale Bioverfügbarkeit wird für die Altergruppe der 20- bis 34-Jährigen mit circa 13 %, für 73- bis 87-Jährige mit 27 % angegeben. Andere Quellen geben 35 % an. Es folgt eine rasche Distribution in Lunge, Leber, Gehirn und Herz. Im weiteren Verlauf kann eine Akkumulation im Muskel- und Fettgewebe beobachtet werden. Mögliche Komplikationen einer Reanimation ergeben sich daraus, dass das Pharmakon nur langsam aus dem Myokard ausgewaschen wird.
ATC-Codes
- A01AE01- Lokalanästhetika für die orale Lokalbehandlung; A01AE51 Lidocain, Kombinationen
- C01BB01 - Antiarrhythmika, Klasse Ib
- C05AD01 - Mittel zur Behandlung von Hämorrhoiden und Analfissuren zur topischen Anwendung; C05AD51 Lidocain, Kombinationen
- D04AB01- Antipruriginosa; D04AB51 Lidocain, Kombinationen
- N01BB02 - Lokalanästhetika, Amide; N01BB52 Lidocain, Kombinationen
- R02AD02 - Hals- und Rachentherapeutika; R02AD52 Lidocain, Kombinationen
- S01HA07 - Dekongestiva und Antiallergika
- S02DA01 - Andere Otologika; S02DA51 Lidocain, Kombinationen
Literatur
- Moll & Straub: Lidocain statt Glucose in: Deutsche Apotheker Zeitung, Nr. 43 | 24.10.2019.
Quellen
- ↑ S1-Leitlinie Die intraossäre Infusion in der Notfallmedizin. AWMF Registernummer 001 - 042, abgerufen am 18.09.2024
- ↑ AkdÄ. Intraossäre Gabe von Lidocain zur Schmerztherapie bei pädiatrischen Patienten – eine nicht sachgerechte, potenziell gefährliche Off-Label-Empfehlung, Dtsch Arztebl 2022
- ↑ Hoffmann F et al. Stellungnahme zum Einsatz von Lidocain zur Reduktion des Injektionsschmerzes beim Legen eines intraossären Zugangs in der Kindernotfallmedizin. Dtsch Ärzteblatt 2024, abgerufen am 18.09.2024
- ↑ Sahu KK, Brown R, Mishra AK, Lal A, George SV. Topical agents causing methemoglobinemia. Am J Emerg Med. 2020 May;38(5):1041-1042
- ↑ McAlpine R. A case report of topical local anaesthetic cream inducing methaemoglobinaemia with an over-the-counter medication. J Clin Pharm Ther. 2022 Jan;47(1):119-120
- ↑ Helm M, Gräsner JT, Gries A et al.: Die intraossäre Infusion in der Notfallmedizin. Aktualisierte Handlungsempfehlungen des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Notfallmedizin (WAKN) und des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kinderanästhesie (WAKKA) der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/001–042l_S1_Der-intraossaere-Gefaesszugang-in-der-Notfallmedizin_2018–02.pdf (letzter Zugriff: 1. Oktober 2022). S1-Leitlinie, AWMF-Register-Nummer: 001–042. Stand: November 2017.
- ↑ Van de Voorde P, Turner NM, Djakow J et al.: European Resuscitation Council Guidelines 2021: Paediatric Life Support. Resuscitation. 2021; 161: 327–387.
- ↑ AkdÄ. Intraossäre Gabe von Lidocain zur Schmerztherapie bei pädiatrischen Patienten – eine nicht sachgerechte, potenziell gefährliche Off-Label-Empfehlung. Dtsch Arztebl 2022; 119(48): A-2157-8
- ↑ Methämoglobinämie durch Lokalanästhetika, Deutsche Apotheker Zeitung, 2012
Weblinks
- Lidocain. Monographie Gelbe Liste, zugegriffen: 17.02.2023
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